HomeMethoden & WissenTop-Management & GeschäftsführungFührungsfehler: Wie Top-Manager Veränderungsprojekte und damit sich selbst in Gefahr bringen
Veränderungsprozesse sind äußerst anfällig für Führungsfehler.
Falsche und halbherzige Signale zu Beginn können einen Fehlstart verursachen, von
dem sich ein Projekt nur schwer oder im ungünstigsten Falle gar nicht mehr
erholt. Noch fatalere Auswirkungen können Führungsfehler in späteren
Phasen haben, insbesondere wenn sie das Projekt zu einem ohnehin
kritischen Zeitpunkt erwischen. Grund genug also, einmal der Frage
nachzugehen, was die häufigsten Führungsfehler im Change Management
sind und wie man sie vermeiden kann.

Hohe Anfälligkeit

Abschätzung der Erfolgschancen

Dass das Thema Führung für Veränderungsprojekte so große Brisanz hat, hat einen einfachen Grund: Jeder erfahrene Mitarbeiter weiß, dass der Erfolg von Veränderungsvorhaben nicht nur davon abhängig ist, wie sinnvoll und strategisch schlüssig sie sind, sondern auch und vor allem davon, wie entschlossen das Management hinter ihnen steht. Also beobachten die Mitarbeiter und Führungskräfte mit größter Aufmerksamkeit, welche Signale das Top-Management jenseits der üblichen Lippenbekenntnisse zu den laufenden Vorhaben sendet. Schließlich möchte sich niemand in einer Situation wiederfinden, in der er als Depp dasteht, weil er sich für eine Sache engagiert hat, vielleicht sogar gewisse persönliche Risiken eingegangen ist, die schon bald niemanden von denen, die sie ausgerufen haben, interessiert und mangels Unterstützung durch das Top-Management im Sande verläuft.

Die häufigsten Fehler beim Start

Startfehler:

Beim Start von Veränderungsvorhaben kommen folgende vier Fehler besonders häufig vor:

Leichtfertige Motivation

  • 1.
  • Leichtfertig gestartete Projekte mit kurzer Halbwertszeit. Viele Top-Manager haben die Fähigkeit, eloquent und begeisternd zu ihren Leuten zu sprechen. Zuweilen machen sie davon etwas zu leichtfertig Gebrauch, indem sie die Mannschaft aus einer spontanen Stimmung für Ziele, Vorhaben und Aufgaben begeistern, die ihnen kurze Zeit später gar nicht mehr so wichtig sind. Dies ist eine schwere Sünde wider die eigene Glaubwürdigkeit, auf die eine hohe Strafe steht: die Erosion der eigenen Einflusse. Wenn Mitarbeiter ein oder zwei Mal miterleben, dass ein ursprünglich als superwichtig tituliertes Projekt nach einigen Wochen oder Monaten “sanft einschlief”, sind sie für nichts mehr zu begeistern – jedenfalls nicht mehr durch diese Person.

Mangelnder Leidensdruck

  • 2.
  • Umsetzungsstart ohne Leidensdruck. Wer kein Problem sieht, hat auch keine Lust, sich mit dessen Lösung zu befassen. Die Tatsache jedoch, dass das Management einen Handlungsbedarf sieht, überträgt sich nicht automatisch auf die Mitarbeiter; es ist eine Illusion, dass man allein durch die Präsentation einiger Folien mit Zahlen und Grafiken den nötigen Leidensdruck vermitteln könnte. So lange die Mitarbeiter den aber nicht empfinden, werden sie kaum bereit sein, alles andere liegen und stehen zu lassen und sich auf die Veränderungen zu stürzen. Wenn Change-Vorhaben daher gestartet werden, ohne dass man sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht hat, den Betroffenen zuvor “das Problem zu verkaufen”, geraten sie in aller Regel genau dann ins Stocken, wenn es ernst wird und die ersten Entscheidungen oder Umsetzungsschritte anstehen.

Zu viel Delegation

  • 3.
  • Die Illusion der Delegierbarkeit. Oft glauben Manager, wenn sie für einen erfolgreichen Projektstart gesorgt hätten, hätten sie ihren Teil des Jobs getan und könnten sich nun darauf beschränken, sich in regelmäßigen Abständen berichten zu lassen. “Selbstverständlich” könne man sie ansprechen, wenn noch einmal irgendwo eine Rede gehalten werden muss, doch ansonsten möchten sie das Projekt nun in die Hände der nachgeordneten Ebenen legen und sich anderen Dingen zuwenden. Das jedoch ist das entscheidende Bisschen zu viel an Delegation; mit gewissem Recht verstehen Beteiligte wie Unbeteiligte als eigentliche Message: So wichtig ist das Projekt auch wieder nicht – die eigentlichen Prioritäten des Managements sind andere.

Hoffnung auf “Wunderwaffen”

  • 4.
  • Der Glaube an kommunikative Wunderwaffen. Ausgesprochen oder unausgesprochen wird sowohl von Change Managern selbst als auch von den oberen Hierarchieebenen immer wieder viel Hoffnung auf neuartige “Kommunikationstools” gesetzt. “Es muss doch noch andere Dinge geben als Info-Veranstaltungen, Newsletter und Gespräche.” Ja, es gibt sie, in jeder Preisklasse – von teuren Diagnosetools à la OCI® und “Great Place to Work”® über interne Werbekampagnen mit Plakaten, T-Shirts und Projektabzeichen in Gold, Silber und Platin bis hin zu aufwendig produzierten Videos und CBTs. Doch solche Tools, Events und Gimmicks nützen den beauftragten Agenturen in aller Regel weit mehr als dem Unternehmen, das die Rechnung bezahlt. Und sie beeindrucken das Top-Management meistens sehr viel mehr als die Mannschaft.

Kommunikation aus Sicht der Mitarbeiter

Perspektivenwechsel

Machen Sie, um diese Behauptung zu überprüfen, bitte ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie säßen irgendwo in der unteren Hälfte der Organisationspyramide – als Sachbearbeiter, Ingenieur oder als einer der viel geschmähten Mittel-Manager. Sie haben im Laufe der Jahre Ihre Erfahrungen gesammelt, etliche Stürme überstanden und auch schon so manches groß angekündigte, aber nach wenigen Monaten versandete Projekt erlebt. Mit Ihrem Job sind Sie mehr als ausgelastet, so dass Sie gut auf irgendwelche Projekte oder Zusatzaufgaben verzichten können. Frage: Wie müsste eine Broschüre, eine Werbekampagne oder ein Multimedia-Event gestaltet sein, um Sie für die Mitarbeit an dem neuen Projekt zu begeistern?

Nicht Tools …

Vermutlich müsste die Agentur, die das schafft, erst noch erfunden werden – gleich mit welcher Art von Tool oder Kampagne. Denn natürlich wissen Sie aus langjähriger Erfahrung, dass man für gutes Geld draußen im Markt eine Menge kaufen und so manche spektakuläre Show abbrennen kann, dass man aus alledem aber nur sehr begrenzt ableiten kann, wie sich das Management verhalten wird, wenn es wirklich ernst wird und es zum Beispiel darum ginge, die festgelegten Grundsätze auch gegenüber den “erfolgreichen Regelignoranten” durchzusetzen.

Wenn wir aber akzeptieren, dass auch die innovativsten Kommunikationstools kaum geeignet wären, uns selbst zu mobilisieren, dann stellt sich doch die Frage, aus welchem vernünftigen Grund dies bei anderen Menschen besser funktionieren sollte.

… sondern Gründe

Aber was könnte Sie dann überhaupt davon überzeugen, sich zu engagieren? Ideal wäre vermutlich, wenn drei Dingen zusammenträfen: Erstens, dass Sie vom Sinn des Vorhabens überzeugt sind, zweitens, dass Sie an seine Erfolgsaussichten glauben, und drittens, dass Sie von einem der Verantwortlichen persönlich angesprochen werden. Mit anderen Worten, die Frage, ob es gelänge, Sie zu gewinnen, hat sehr viel weniger mit den eingesetzten “Tools” zu tun als mit der Qualität der sachlichen und persönlichen Gründe.

Das Echo der Vergangenheit

Flammender Appell

Lassen Sie uns das Gedankenexperiment noch ein Stück weiter treiben: Nehmen Sie an, der Vorstandsvorsitzende, Bereichs- oder Werksleiter hält eine flammende Rede, in der er wörtlich erklärt, dass dieses neue Projekt, “von entscheidender Bedeutung für unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit letzten Endes für die Sicherheit der Arbeitsplätze von uns allen ist.” Er betont, dass dieses Projekt für ihn selbst wie für das Unternehmen “allerhöchste Priorität” hätte, und fordert alle Mitarbeiter nachdrücklich auf, es mit allen Kräften zu unterstützen. Wie würden Sie reagieren?

… und die Reaktionen

Mit großer Wahrscheinlichkeit würden Sie sich unwillkürlich die Frage stellen, ob Sie ähnliche Ankündigungen und Appelle auch schon in der Vergangenheit gehört haben und, wenn ja, was aus ihnen geworden ist. Alles Weitere würde von den Vorerfahrungen abhängen, die Sie mit vergleichbaren Projekten und vor allem mit der betreffenden Person in der Vergangenheit gemacht haben:

Kaum verhohlenes Interesse

  • Im günstigsten Fall würden Sie mit Stolz und einer gewissen Zufriedenheit an frühere Projekte zurückdenken, an denen Sie mitgearbeitet haben und von denen Ihr Unternehmen noch heute profitiert. In diesem Fall würden Sie einerseits ächzen angesichts der absehbaren Zusatzbelastung, wären aber andererseits doch ohne große Mühe für das neue Vorhaben zu gewinnen – und vielleicht würden sich im Stillen sogar darauf freuen, “mal wieder ein paar Bäume auszureißen”.

Abtauchen

  • Möglicherweise wäre Ihre Erinnerung aber auch von gescheiterten, versandeten oder eingeschlafenen Projekten geprägt und von Ihrer Enttäuschung darüber, dass die ganze Arbeit und all die guten Ideen und kreativen Vorschläge, die Sie und Ihre Kollegen damals in das Projekt gesteckt haben, zerrieben wurden zwischen Halbherzigkeiten, politischen Widerständen und dem mangelnden Mut der Geschäftsleitung zu unpopulären Entscheidungen. In diesem Fall würden Sie sich vermutlich ganz tief ducken, wenn Mitstreiter für neue Projekte gesucht werden, und Sie würden sich schon mal Argumente zurechtlegen, weshalb Sie wegen äußerst wichtiger anderer Verpflichtungen “leider, leider” nicht zu Verfügung stehen können.

Der Nachhall der Vergangenheit

Mit anderen Worten, die Reaktion der meisten Mitarbeiter und Führungskräfte auf neue angekündige Veränderungsprojekte ist nicht primär von deren Inszenierung und den dafür eingesetzten Tools und Methoden geprägt, sondern von dem “Nachhall der Vergangenheit”. Und wenn diese Vergangenheit bei ehrlicher Betrachtung nicht sonderlich rühmlich war, stehen Sie als Erstes vor der Aufgabe, Ihre skeptische Belegschaft davon zu überzeugen, dass es diesmal anders ist. Das jedoch können nur Sie selbst durch Ihren persönlichen Einsatz und Ihr Engagement machen – eingekaufte Marktschreier und kommunikative Wunderwaffen sind da eher im Weg.

Der gravierendste Führungsfehler: Das Projekt im Stich lassen

Rückzug oder Distanzierung

Das macht zugleich auf den schwersten Führungsfehler im Change Management überhaupt aufmerksam, nämlich, ein Veränderungsprojekt, die man irgendwann gestartet und für das man damit die Verantwortung (“Sponsorship”) übernommen hat, seinem Schicksal zu überlassen. Dabei ist es nur ein gradueller Unterschied, ob der verantwortliche Manager das Interesse an dem Projekt verloren hat und daher keine Zeit mehr für seine Unterstützung aufzubringen bereit ist oder ob er angesichts der entstandenen Widerstände und Konflikte auf Distanz zu den vorgebrachten Ideen und Vorschlägen – und damit natürlich auch zu dem Projektteam – geht. Durch letzteres gibt er das Projekt direkt zum “Abschuss” frei; im ersteren Fall entzieht er ihm “nur” seine Rückendeckung – und leitet damit ein langsames Dahinsiechen ein.

Ohnmacht

Im Resultat kommt beides ziemlich auf das Gleiche hinaus: Das Projekt hat keine Chance mehr, Veränderungen auch gegen Widerstand durchzusetzen, weil ihm damit die unterstützende Macht aus der Hierarchie abhanden gekommen ist. Seine Möglichkeiten, Veränderungen zu realisieren, beschränken sich daher auf das, was von den betroffenen Bereichen freiwillig akzeptiert wird. Nun ist aber kaum eine größere Veränderung denkbar, die nicht irgendjemandem an irgendeiner Stelle missfällt, sei es weil sie Ängste auslöst oder in Konflikt mit Eigeninteressen gerät. Ohne Rückendeckung von oben wird daher jedes Bemühen um Fortschritt zu einem mühseligen Ringen um Kompromisse, von denen die meisten mehr oder weniger faul und unbefriedigend sind.

Nachhaltige Demotivation

Was aber noch sehr viel belastender ist als das endlose Feilschen um Kompromisse, ist das Gefühl, von seinem Auftraggeber im Stich gelassen worden zu sein. Etliche Teammitglieder werden sich, sobald ihnen das bewusst wird, kaum mehr motivierbar sein; sie werden sich immer häufiger entschuldigen und schließlich gar nicht mehr zu den Sitzungen erscheinen. Doch selbst diejenigen, die das Projekt um der Sache selbst und ihrer Selbstachtung willen doch noch zu Ende führen, schwören sich, dass sie nie wieder für ein ähnliches Projekt zu Verfügung stehen. Entsprechend schwer wird es in Zukunft, gute Mitstreiter für neue Veränderungsvorhaben zu finden.

Die Vorgeschichte ist der Ausgangspunkt

Positive oder negative Erwartungen

Hier tritt sich eine grundlegende Gesetzmäßigkeit zutage: Die Vorgeschichte eines Unternehmens mit all ihren Erfolgen und Misserfolgen, mit allen ihren Enttäuschungen und Triumphen bildet den Ausgangspunkt jedes neuen Veränderungsvorhabens. Das ist der Grund, weshalb neue Projekte in dem einen Unternehmen entschlossen und voller Zuversicht angepackt werden, während sie bei dem anderen nur auf Skepsis, Abwarten und Fluchtreaktionen stoßen. In dieser Hinsicht reagieren Organisationen ganz ähnlich wie Einzelpersonen: Die einen haben eben die Lebenserfahrung, dass sie das, was sie entschlossen anpacken, auch zum erfolgreichen Abschluss bringen – die anderen “wissen” von vornherein, dass der ganze Aufwand eh nichts bringt: “Das löst sich ja doch wieder alles in Wohlgefallen auf!” Beide Prophezeiungen erfüllen sich mit großer Wahrscheinlichkeit selbst.

Persönliche Vorgeschichte

Diese Vorgeschichte hat auch einen personalen Aspekt: Jede Führungskraft und erst recht jeder Top-Manager hat aufgrund der Erfahrungen, die die Mitarbeiter bei vorausgegangenen Veränderungsvorhaben mit ihm gemacht haben, einen ganz bestimmten Ruf. Mitarbeiter, Führungskräfte und auch der Betriebsrat haben ein sehr viel klareres Bild als die Betreffenden oft ahnen, auf wessen Aussagen man sich verlassen kann und wer nur Wind macht. Jede Ankündigung, jede Entscheidung, jeder neue Appell wird vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen gewogen: Was war die Halbwertszeit der bisherigen Ankündigungen und Entscheidungen? Wie oft wurde zu Ende geführt, was mit Nachdruck und großer Emphase angekündigt worden war? Wie eng war der Zusammenhang zwischen Worten und Taten? Und daraus folgend: Lohnt es sich bei diesem Manager überhaupt zuzuhören oder ist das eh alles bloß Schall und Rauch?

Persönlicher Turnaround

So mancher Manager hat sich durch zurückliegende Führungsfehler in eine Situation gebracht, wo er für seine Initiativen nur noch junge und unerfahrene (so genannte “begeisterungsfähige”, sprich naive) Mitarbeiter gewinnen kann. Wer da Leichen im Keller hat, dem bleibt nur eine Wahl, wenn er sich nicht damit abfinden will, als “lahme Ente” keinen wirklichen Einfluss auf die Zukunft mehr zu haben: Er muss die Zahl seiner markigen Ankündigungen drastisch reduzieren, dafür aber die Initiativen, die er einleitet, mit eiserner Konsequenz (gegen sich selbst und andere) und bedingungsloser Beharrlichkeit bis zum Erreichen des Ziels durchziehen.

Die gute Nachricht dabei lautet: Ein solcher “Relaunch” der eigenen Glaubwürdigkeit ist möglich. Die schlechte: Er ist anstrengend und dauert – mindestens ebenso lange wie deren Erosion. Dennoch ist dies, wenn Sie nicht die Firma wechseln wollen, der einzige Weg zurück zur Führungsfähigkeit. Denn nur wenn Sie für die Mitarbeiter glaubwürdig sind und ihr Vertrauen haben, haben Sie die Chance, Veränderungsprozesse zum Erfolg zu führen. Denn nur dann werden die Mitarbeiter Ihrer Führung wirklich folgen.

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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