Inhaltsverzeichnis:
Kaum emotionale Ansprache
Engagement und Entschiedenheit
Um Menschen persönlich in Bewegung zu bringen, und genau darum geht es ja im Change Management, bedarf es eines Menschen – und zwar eines solchen, der für die Sache steht, mit voller Überzeugung und vollem Risiko für sie eintritt, der dafür kämpft, sie durchzusetzen. Eine so engagierte Vermittlung von Ideen und dem Willen, sie umzusetzen, ist auch über noch so kunstvoll animierte Beamer-Präsentationen nicht erreichbar, weil die entscheidende Frage offen bleibt, nämlich: Mit wie viel Ernsthaftigkeit, Entschiedenheit und persönlicher Risikobereitschaft steht unser oberster Chef bzw. unser Top-Management dahinter?
Das Bedürfnis nach wirklicher Führung
Kunstvolle Inszenierungen ersetzen keine Authentizität
Doch genau an dieser persönlichen “Greifbarkeit” lassen es Vorstände und Geschäftsführer allzu oft fehlen, wenn sie ihre Mannschaften von einem Vorhaben überzeugen und sie für eine engagierte Mitwirkung motivieren wollen. Stattdessen setzen sie gerade bei Großveranstaltungen und anderen wichtigen Anlässen auf kunstvolle Inszenierungen, die sich irgendwelche Kommunikations- oder PR-Agenturen ausgedacht haben, tragen dort Präsentationen vor, die erkennbar von externen Beratern erstellt wurden, und folgen insgesamt einer sorgfältig einstudierten Dramaturgie, die bei professioneller Gestaltung durchaus Eindruck auf das Publikum macht, aber die alles entscheidende Frage nach der Ernsthaftigkeit und Entschiedenheit offen lässt.
Vertrauen und Zutrauen
Letztlich wirken sie dabei eher wie Schauspieler, die ihre Rolle in einem auf ihre Person zugeschnittenen Theaterstück mehr oder weniger gekonnt abliefern, nicht wie Führer – ich verwende dieses “verbotene Wort” ganz bewusst –, die ihre Zuhörer aus ihrer persönlichen Überzeugung heraus für eine Sache begeistern wollen. Doch für die Entscheidung von Menschen, sich ihrer Führung anzuschließen, ist die sachliche Plausibilität der vorgebrachten Ideen nur notwendig, aber nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob sie darauf vertrauen, dass ihr oberster Chef sein volles Gewicht und seinen vollen Einsatz in die Waagschale werfen wird, um diese Ideen zu realisieren. Dieser Entschlossenheit können sich die Leute aber nur dann vergewissern, wenn sie die Person, den Menschen hinter der Idee spüren.
Teil von etwas Größerem sein
Viele Menschen möchten gerne Teil von etwas Größerem sein; sie sehnen sich danach, nicht nur ihre Arbeit zu machen, sondern Teil einer größeren Aufgabe zu sein, einen Beitrag zu ihr zu leisten und an deren Erfolg teilzuhaben. (Was politische und religiöse Demagogen zu allen Zeiten ausgenutzt haben.) Sie sehen, dass sie selbst zu klein, zu schwach und zu mutlos sind, um selbst solch eine große Idee zu entwickeln und die Tatkraft zu ihrer Realisierung aufzubringen. Genau deshalb sehnen sie nach Führern, die ihnen einen Weg zur Realisierung dieser Träume bieten.
Sehnsucht nach Führung
Natürlich liegen darin auch Gefahren – als gebrannte Kinder zucken wir Deutschen immer noch zusammen, wenn das Wort “Führer” ohne entwarnenden Vorsatz wie “Lokomotiv-” oder “Berg-” fällt. Dennoch wäre es falsch und verschleiernd, sich hier hinter dem englischen Wort “Leader” zu verstecken. Die Sehnsucht nach wirklicher Führung – im Gegensatz zu bloßem Management oder Vorgesetztentum – können wir nicht dadurch entschärfen, dass wir sie ignorieren – damit würden wir genau das Vakuum schaffen, das Demagogen beliebigen Raum lässt. Deshalb ist dieses Bedürfnis sehr viel besser aufgehoben, wenn wir ihn eine konstruktive Aufgabe bieten, als wenn wir es vernachlässigen und damit ein emotionales Vakuum hinterlassen.
Rede zielt auf Gefolgschaft
Ringen um Gefolgschaft
Ein ganz zentrales Element dieser Art von Führung ist die Rede. Nicht die von Adjutanten vorbereitete Folien-Präsentation, nicht das mehr oder weniger flüssige Ablesen eines vorbereiteten Manuskripts (die sogenannte “Vorlesung”, die spätestens seit Erfindung der Buchdruckerkunst obsolet ist), auch nicht die von Werbe– und PR-Agenturen inszenierte Show (obwohl die dazu gehören kann), sondern ein sorgfältig vorbereites, aber in freier Rede stattfindendes Ringen um die Herzen der Zuhörer, das zwei klare Ziele hat: Zustimmung und aktive Unterstützung – oder, wenn Sie so wollen: Gefolgschaft.
Verantwortete Identifikation
Mit dem Wort “Gefolgschaft” haben wir schwungvoll das nächste Fettnäpfchen betreten. Doch was hier gemeint ist, ist nicht blinde Hörigkeit unter freudiger Aufgabe jeder Eigenverantwortung, sondern Identifikation mit der Sache, Parteinahme und Engagement. Und zwar ein Engagement, das nicht auf den eigenen Nutzen schielt, sondern aus dem Glauben an die Sache heraus manche Anstrengungen und sogar mögliche Nachteile auf sich nimmt.
Ethische Maßstäbe
Ob diese Art von Gefolgschaft ethisch unbedenklich ist oder fragwürdig, hängt von zwei Dingen ab: Zum einen von der Qualität der Ziele, gegen die so lange nichts einzuwenden ist, wie sie nicht menschen– bzw. lebensfeindlich sind. Zum anderen von dem Grad von Eigenverantwortlichkeit und Verantwortungsbewusstsein, den sowohl der “Führer” als auch die, die sich seiner Führung anvertrauen, besitzen und bewahren.
Verantwortung von Führer und Geführten
Ernsthaftigkeit
Das Verantwortungsbewusstsein eines Führers beginnt damit, dass er Mitarbeiter nur für Ziele begeistert, an die er wirklich glaubt und vor allem: die er auch durchzuhalten bereit ist. Es gibt immer wieder Top-Manager (und Politiker), die sich selbst leichtfertig in eine Begeisterung hineinreden und dann von der eigenen Stimmung mitreißen lassen. Am Ende stehen die Mitarbeiter dann “wie ein Mann” hinter den verkündeten Zielen und Ideen und brennen darauf, sie umzusetzen. Doch nach den ersten Schritten entweicht allmählich die Luft aus dem Ballon, und der vermeintliche Führer lässt seine Ziele und Ideen ebenso schnell wieder fallen wie er sie verkündet hat. Und hinterlässt damit sich gerade bei den engagiertesten Mitarbeitern tiefe Enttäuschung. Sie fühlen sich von ihm verraten und verkauft – ein Totalschaden sowohl in Sachen Motivation als auch in Sachen Glaubwürdigkeit.
Irre-Führer
Solche Irre-Führer erkennt man als Außenstehender daran, dass im Unternehmen überwiegend mit zynischem Unterton von ihnen gesprochen wird. Sie machen auf Menschen, die sie noch nicht näher kennengelernt haben, oft einen starken Eindruck, doch die Insider winken ab: Nur ein Schwätzer, ein Schaumschläger, ein Spruchbeutel!
Führungsversagen
Doch Irre-Führung ist kein Versagen der Rede, sondern ein Versagen des Redners – er ist gescheitert wie Goethes Zauberlehrling, der die Geister, die er gerufen hat, nun nicht mehr los wird. Was beweist, dass der Möchtegern-Führer dem Instrument der Rede nur handwerklich, aber nicht moralisch gewachsen war. Zugleich zeigt es, dass die Rede ein sehr wirkungsvolles und gerade deshalb auch gefährliches Instrument ist, das man nicht nur technisch, sondern auch von seiner sozialen Tragweite her beherrschen muss.
Die Rede als Test des Führungswillens
Wesentlicher Unterschied
Aber was macht eigentlich diese besondere Führungspotenz der Rede aus? Weshalb hebt sie sich so signifikant sowohl von der “Vorlesung” als auch von einer Folien-Präsentation ab – obwohl ein Bild doch angeblich mehr sagt als tausend Worte?
Sowohl bei der Vorlesung als auch bei der Präsentation steht die Vermittlung von Inhalten im Mittelpunkt; sie zielen auf Akzeptanz, auf Zustimmung. Bei der Rede hingegen steht ein Mensch im Mittelpunkt, der einen Führungsanspruch erhebt. Er will nicht nur Zustimmung, er will, dass die Leute ihm folgen, und dafür kämpft er. Diesen Kampf kann er gewinnen, aber auch verlieren. Die Zuhörer spüren diesen Führungsanspruch: seine Überzeugung und seinen Willen (noch so ein gefährliches Wort). Und sie entscheiden im Laufe der Rede sehr intuitiv, ob sie ihm folgen.
Praktische Tipps
Infolgedessen lauten meine Tipps für eine gute Rede auch anders, als es in den meisten Rhetorik-Büchern steht:
- 1.
- Prüfen Sie, bevor Sie mit einer Rede einen Führungsanspruch erheben, sehr genau, ob Ihre Vision und Ihre Ziele einen so großen Nutzen für Ihr Geschäft bringen, dass sie nicht nur einen “großen Aufbruch” hergeben, sondern auch für das Durchstehen von Durststrecken und Krisen reichen.
- 2.
- Stellen Sie sich voll in den Dienst Ihrer Sache! Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie Sie wirken und ob sie eine formal gute Rede halten, sondern kämpfen Sie für Ihre Ziele und Ideen!
- 3.
- Haben Sie den Mut zur direkten Kommunikation und damit zur Unvollkommenheit: Verzichten Sie auf ein ausformuliertes Manuskript, weil das Vorlesen Sie unweigerlich von Ihren Zuhörern trennt! Beschränken Sie Ihre Notizen auf Stichworte, auf die Sie nur gelegentlich und “im Notfall” zurückgreifen.
- 4.
- Denken Sie mit dem Kopf der Zuhörer: Aus welchen Gründen sollten sich Ihre Mitarbeiter für Ihre Vision und Ihre Ziele begeistern und sich für sie einsetzen? Und vor allem: Weshalb sollten sie bereit sein, einen Preis dafür zu bezahlen?
- 5.
- Reden Sie nicht nur über das Angenehme, sondern auch über das Unangenehme: Welche Anstrengungen und Entbehrungen kommen auf die Leute zu, wenn sie sich auf dieses Unterfangen einlassen? Und warum ist es diesen Preis wert?
- 6.
- Kämpfen Sie nicht nur um den Verstand der Zuhörer, sondern vor allem um ihre Herzen! Was soviel heißt wie: Nicht bloß Sachargumente, auch Ideen, Bilder, eine Vision von Ihrem Zielzustand!
- 7.
- Sagen Sie Ihren Zuhörern, wie sie zum Erfolg Ihres Vorhabens beitragen können und weshalb ihr Beitrag gebraucht wird!
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.