Inhaltsverzeichnis:
Getrieben statt treibend
Fremdbestimmung
Die größte Gefahr in solchen Situationen ist nicht, dass Dinge unerledigt bleiben, auf die irgend jemand mit Ungeduld wartet. Viel schwerwiegender ist die Gefahr, dass jene übergeordneten Aufgaben liegen bleiben, bei denen keiner auf eine Entscheidung dringt: grundlegende strategische Weichenstellungen, Ziel- und Terminvorgaben, aber auch die Ermutigung aller Mitstreiter. Wenn das Top-Management nur noch reagiert, führt es nicht mehr, sondern wird geführt. Damit droht dem gesamten Veränderungsvorhaben erst der Orientierungsverlust, dann die Verzettelung und schließlich das Scheitern. Gerade wenn der Druck sehr hoch ist und sich extrem viel zusammenballt, besteht die wichtigste Führungsaufgabe und -verantwortung darin, klare Prioritäten zu setzen – und auf diese Weise sicherzustellen, dass die wichtigen Aufgaben tatsächlich erledigt werden.
Prioritätensetzung in der Praxis
Unter Druck
Heimtückischerweise klappt das Prioriätensetzen oftmals gerade dann nicht, wenn man wirklich unter Druck steht. Denn eigentlich ist ja keines der Anliegen, die da an einen herangetragen werden, wirklich unwichtig. Die meisten Dinge sind überdies auch noch dringlich, weil immer irgendjemand einen Input braucht oder eine Entscheidung benötigt, ohne die er seine Aufgaben nicht weiterführen kann. Angesichts der übervollen, ständig anwachsenden To-Do-Liste und dem rasenden Zeitdruck kommt man überhaupt nicht mehr dazu, sich Gedanken zu machen. Wie soll man da Prioritäten setzen?
Doppelter Kraftakt
“Wenn es einfach wäre, könnte es jeder”, pflegt einer unserer Kunden bei solchen Gelegenheiten zu sagen. Was das Prioritäten-Setzen aber doppelt schwer macht, ist, dass dafür sowohl ein intellektueller als auch ein emotionaler Kraftakt erforderlich ist. Wobei sich der letztere oftmals als der noch schwierigere erweist. Machen Sie sich in solchen Situationen bewusst, dass die Option, alle Aufgaben zu erledigen, überhaupt nicht existiert. Sie haben nur die Wahl, welche Dinge Sie liegen lassen – jene, die für die Bewältigung der momentanen Problemstellung entscheidend wären oder die, bei denen es auch ärgerlich ist, aber ein relativ geringer Schaden entsteht.
Standard-Rangfolge
Die analytische Herausforderung ist, diejenigen Aufgaben zu identifizieren, die in der gegebenen Situation absolut unerlässlich sind. Auch wenn dabei natürlich immer die Besonderheiten der konkreten Situation entscheidend sind, kann folgende Rangfolge hilfreich sein: Vorrang vor allem anderen hat die Sicherstellung der “Vitalfunktionen”, also der Lebens- und Handlungsfähigkeit des Unternehmens; wenn sie bedroht sind, tun Sie gut daran, auf andere Prioritäten fürs erste zu verzichten. Die nächsthöchsten Prioritäten sollten in aller Regel das Bewältigen zentraler Konflikte und die Vorsorge für der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens haben, bevor Optimierungsthemen und Einzelfragen an die Reihe kommen.
Logische Top-Prioritäten
“Vitalfunktionen”
“Vitalfunktionen” sind dabei all die Funktionen, die nicht (oder allenfalls kurzzeitig) unterbrochen sein dürfen, damit die Lebensfähigkeit des Unternehmens nicht in Gefahr kommt. Dazu zählen in erster Linie die Zahlungsströme und ihre Auslöser, also das Funktionieren der Wertschöpfungskette von Vertrieb bis Auslieferung und Service. Denn wenn die Leistungserstellung unterbrochen ist, versiegen bald auch die Zahlungseingänge, und wenig später wird die Liquidität knapp. In zweiter Linie zählen dazu diejenigen internen Service-Funktionen, die die Leistungserstellung operativ unterstützen, wie Einkauf, Materialwirtschaft und Personal. Erst in dritter Linie folgen die Management-Funktionen wie Controlling und Berichtswesen. Denn wenn das Management für einige Tage nicht handlungsfähig ist, weil ihm die Controlling-Daten fehlen, passiert nicht allzu viel – gefährlich wird es nur, wenn der “Blindflug” zu lange dauert.
Muße erforderlich
Das Entwickeln und Herausarbeiten der Top-Prioritäten erfordert ein Stück Muße; es lässt sich kaum in der Hatz von Termin zu Termin oder im Stress zwischen Anrufen, Rückrufen und wartenden Besuchern erledigen. (Allenfalls hilft dieser Stress, den erforderlichen Leidensdruck aufzubauen.) Während der regulären Arbeitszeit wird es daher kaum gelingen, aus der Fülle der Themen die wirklichen Essentials herauszudestillieren; je nach Arbeitsgewohnheiten eignet sich dafür am ehesten der (sehr) frühe Morgen, der (sehr) späte Abend oder ein Sonntag Vormittag.
Delegieren oder vertagen?
Zur Prioritätensetzung gehört auch, zu entscheiden, was mit den Themen geschehen soll, derer man selbst sich fürs erste nicht mehr annehmen will und kann: Sollen sie warten, bis irgendwann wieder mehr Zeit ist, oder wollen Sie sie lieber an geeignete Mitarbeiter delegieren, mit dem ausdrücklichen Auftrag, sie ohne größeren Input von Ihrer Seite umzusetzen? Das ist keine Grundsatzfrage, sondern sollte pragmatisch entschieden werden, je nachdem, wovon die besseren Resultate (oder der geringere Schaden) zu erwarten ist.
Crosscheck
Empfehlenswert ist schließlich, die festgelegten Prioritäten im engeren Kreis von Vertrauten querzuprüfen, bevor man sie allen, die sie kennen müssen, mitteilt. Denn es kann immer sein, dass man wichtige Aspekte übersehen hat und deshalb Änderungen vornehmen muss. Aber lassen Sie dabei keine Verwässerung zu! Für jeden Punkt, der zusätzlich in die höchste Priorität aufgenommen wird, muss ein anderer gestrichen werden.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.