Inhaltsverzeichnis:
Unlösbares Problem
Mögliche GAUs
- Der Auftraggeber verliert Interesse an dem Projekt, vielleicht weil es sich in eine andere Richtung entwickelt hat als er sich vorgestellt hatte, und überlässt es seinem Schicksal;
- der Auftraggeber ändert Ziele und Rahmenbedingungen des Projekts grundlegend (u.U. mehrfach), sodass die bereits geleistete Arbeit nutzlos ist und das Projektteam mehr oder weniger von vorne beginnen muss;
- der Auftraggeber erklärt das gewählte Vorgehen für blödsinnig und überhäuft Projektleiter und/oder Team mit Kritik, ohne konkrete Alternativen zu nennen;
- das Projektteam zerstreitet sich über Ziele und Vorgehen, bis es schließlich die Weiterarbeit verweigert oder ganz auseinanderfällt;
- das Projekt gerät unter massiven Beschuss durch die “Linie” oder den Betriebsrat, und es entsteht ein nicht auflösbarer Konflikt;
- der Auftraggeber geht angesichts von Widerständen und Konflikten auf Distanz zu dem Projekt ab und wirft es damit dessen Gegnern zum Fraß vor;
- die gewählte Vorgehensweise erweist sich als unpraktikabel, und dem Projektleiter und seinem Team fällt keine geeignete Alternative ein;
usw.
Prävention
Nicht alle denkbaren Krisen lassen sich durch vorausschauendes Handeln verhindern, doch das beste Krisenmanagement heißt immer noch Prävention. Und ein ganz wesentliches Element der Krisenprävention ist die sorgfältige Klärung der Ziele und Erwartungen mit dem Auftraggeber.
Erforderliche Absprachen mit dem Auftraggeber
Klärung der Projektziele
Drei Arten von Zielen
- Veränderungsziele: Was soll an konkreten Veränderungen bewirkt werden? Was soll “hinten heraus kommen”?
- Bewahrungsziele: Welche vorhandenen Stärken, Vorteile, Besonderheiten dürfen nicht in Gefahr gebracht werden?
Vermeidungsziele: Welche unerwünschten Veränderungen sollen nicht eintreten? Welche bestehenden “Risiken und Nebenwirkungen” sind zu vermeiden?
Festlegung von Vermeidungsund Bewahrungszielen
Natürlich geht es bei einem Veränderungsprojekt in erster Linie darum, dass bestimmte Dinge verändert werden sollen. Dennoch haben die Bewahrungs- und die Vermeidungsziele große Bedeutung. So ist es zum Beispiel bei einem Kostensenkungsprogramm ausgesprochen wichtig zu wissen, welche Bewahrungs- und Vermeidungsziele etwa in Bezug auf Qualität und Kundenzufriedenheit gelten. Denn sonst besteht die Gefahr, dass man unbeabsichtigt Veränderungen vornimmt, die vorhandene Stärken zunichte machen oder unerwünschte Nebenwirkungen haben. Beispielsweise haben vermutlich etliche Firmen, die ihren telefonischen Kunden-Support auf Call-Center verlagert haben, nicht damit gerechnet, dass sie damit ein wesentliches Element ihrer Kundenbindung in Gefahr bringen. Vielleicht wären sie aus Kostengründen trotzdem dazu gezwungen gewesen, aber es ist ein Unterschied, ob man die Beschädigung einer wesentlichen Stärke bewusst und (miss)billigend in Kauf nimmt, weil einem nichts anderes übrig bleibt, oder ob sie aus Versehen zustande kommt.
Reduzierung von Ängsten
Die klare Formulierung von Bewahrungs- und Vermeidungszielen hat einen doppelten Nutzen: Zum einen ersparen sie unerfreuliche Nachbesserungen der Projektziele von der Art: “Aber Sie hätten doch wissen müssen …” Zum anderen tragen sie erheblich dazu bei, bei den Betroffenen Ängste und Befürchtungen zu reduzieren. Denn wenn explizit benannt wird, was vermieden und was erhalten werden soll, dann verschwinden viele unausgesprochene Sorgen, dass wertvolle Stärken des Unternehmens leichtfertig über Bord geworfen oder wesentliche Verschlechterungen in Kauf genommen werden sollen.
Klärungsbedarf
- Vorgehensweise und Methoden (soweit nicht schon im Vorfeld geklärt);
- Budget und Zeitplan;
- Erforderliche Vorarbeiten (und wer sie macht);
- Projektstruktur und -organisation einschließlich Berichtsstruktur;
- Rolle des Auftraggebers im Projekt (sowohl Einbindung als auch “Mitwirkungspflichten”);
- Teamzusammensetzung und volle oder teilweise Freistellung der Teammitglieder;
- Kommunikation an Führungskräfte und Mitarbeiter;
- Einbeziehung der Betroffenen in den Veränderungsprozess;
- Information und Einbeziehung des Betriebsrats.
Schriftlicher Projektauftrag (“Lastenheft”)
Sofern ein solches Papier nicht ohnehin existiert – in manchen Unternehmen gibt es die gute Tradition, Projektaufträge prinzipiell schriftlich zu formulieren –, sollten Sie sich als Projektverantwortlicher auf den Hosenboden setzen und ein solches “Lastenheft” zu Papier bringen. Dabei geht es weniger um “Beweissicherung” für den Fall späterer Meinungsverschiedenheiten als um die verbindliche Dokumentation wesentlicher Eckdaten und um die Vermeidung von Missverständnissen. Denn bei mündlichen Absprachen glauben oder hoffen zwar auch immer alle darauf, sich richtig verstanden zu haben, aber erst die Schriftform macht den entscheidenden Schritt vom Hoffen zum Sicherstellen.
Bestmöglicher Zeitpunkt für Korrekturen
Der Auftraggeber wird diesen schriftlichen Projektauftrag mit großer Wahrscheinlichkeit sorgfältig lesen. Wenn er ihm zustimmt, haben Sie ein verlässliches Fundament. Wenn er noch Korrekturen anzubringen hat, ist das auch kein Beinbruch, es ist im Gegenteil der beste Zeitpunkt dafür, divergierende Erwartungen zu klären, und damit zugleich aktive Konfliktprävention. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich der Auftraggeber trotz mehrfacher Nachfragen gar nicht äußert, kann er Ihnen später kaum einen Vorwurf machen: Sie haben Ihr Möglichstes getan, um für Zielklarheit zu sorgen.
Wenn der Auftraggeber kneift
Frühwarn-signale
In seltenen Fällen werden Sie feststellen, dass dem Auftraggeber diese Klärung gar nicht so recht ist. Möglicherweise reagiert er genervt auf Ihr “Sicherheitsbedürfnis” im Detail oder gibt sich gar ungehalten über diese “unnötige Verzögerung”, die das Erstellen des Projektauftrags mit sich bringt; möglicherweise wird er auf unterschiedliche Weise versuchen, sich einer Klärung zu entziehen.
Lernen im Prozess
Falls dies der Fall sein sollte, ist das ein Warnsignal – und zugleich eine sehr wichtige Information für Sie als Projektverantwortlicher. Es kann entweder bedeuten, dass sich der Auftraggeber selbst noch recht unsicher über die genaue Stoßrichtung des Projekts ist und sich deshalb noch nicht zu stark festlegen möchte. Das kann vorkommen und ist manchmal sogar ausgesprochen sinnvoll; es sollte aber unbedingt Konsequenzen für die Projektsteuerung haben. In diesem Fall ist wichtig, ein gemeinsames “Lernen im Prozess” zu vereinbaren und sich im Projektverlauf sehr eng mit dem Auftraggeber abstimmen.
Angst vor Verantwortung
Oder es bedeutet, dass sich Ihr Auftraggeber prinzipiell nicht gerne festlegt, weil er damit ja auch eine gewisse Verantwortung übernehmen würde. Je klarer der Auftrag, desto weniger könnte er sich bei späteren Problemen darauf herausreden, dass das Projekt vom Auftrag abgewichen oder sonst wie aus dem Ruder gelaufen sei. So viel “Tapferkeit” würde man auf höheren Führungsebenen vielleicht nicht erwarten, und so jemand gehört dort eigentlich auch nicht hin – aber es kommt dennoch vor.
Absicherung (“CYA – Cover Your Ass”)
In diesem Fall sind Sie gewarnt und müssen sich entsprechend wappnen. (Ab jetzt reden wir über die Folgekosten von Führungsdefiziten.) Um am Ende nicht den Schwarzen Peter in Händen zu haben, müssen Sie sich bei der Projektarbeit doppelt und dreifach absichern. Das bedeutet zwar Mehraufwand und damit Mehrkosten, aber es bleibt Ihnen kaum eine andere Wahl, wenn Ihnen Ihre eigenen Interessen nicht völlig gleichgültig sind.
Auf klarem Auftrag bestehen
Bestehen Sie in diesem Fall trotz der Ausweichmanöver – bzw. genau wegen ihnen – auf einem klaren Projektauftrag. Falls Sie keine Antwort erhalten, teilen Sie schriftlich mit, dass Sie, solange Sie keine abweichenden Instruktionen erhalten, auf der Basis des von Ihnen formulierten Lastenhefts arbeiten werden. Und treiben Sie eher einen etwas erhöhten Aufwand, um Vorgehensweise, Zeit- und Arbeitspläne sowie Zwischenergebnisse transparent zu machen. Je nach Konstellation kann es außerdem sinnvoll sein, sich zusätzliche Verbündete im Top-Management zu suchen. Denn wenn andere starke Personen mit der Vorgehensweise und den Ergebnissen einverstanden sind, wird es Ihr ängstlicher Auftraggeber auch sein. Denn am Ende geht es ja nicht darum, nicht “schuld” zu sein, sondern, ein erfolgreiches Projekt durchzuführen, das seine Ziele erreicht.
Fortschreibung der Auftragsklärung im laufenden Prozess
Ein falsches Idealbild
Allzu häufig wird über die Auftragsklärung so geredet und geschrieben als handele es sich dabei um einen einmaligen Akt, den man zu Projektbeginn mit der gebührenden Akribie vollzieht; dann hätte man, so die Theorie, ein verbindliches Dokument, in dem alles Wesentliche festgelegt ist und auf das man sich fortan in allen Wechselfällen des (Projekt-)Lebens beziehen kann. Das ist ein schönes, geradezu romantisches Idealbild, das nur den kleinen Nachteil hat, dass es dazu keine passende Realität gibt. Zumindest habe ich in 30 Beratungsjahren bei keinem größeren Projekt einen Projektauftrag erlebt, der, rückblickend betrachtet, einigermaßen vollständig war und, so wie er formuliert war, eins zu eins umgesetzt wurde.
Mut zur Unvollkommenheit – und Nachbesserung
Auch für Projektaufträge gilt die alte Planungsregel: “Ein Plan ist keine Beschreibung künftiger Realität, sondern ein Instrument zur Beschleunigung eines Prozesses.” Es gibt daher auch keinen Grund, unglücklich zu sein oder ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn die eigenen Projektaufträge oft nicht dem Idealbild entsprechen, das in Seminaren und Lehrbüchern oft gezeichnet wird. Natürlich sollten Sie die Auftragsklärung so sorgfältig wie möglich machen, aber sie sollten sie auch mit dem Mut zur Unvollkommenheit machen, denn sonst werden Sie entweder mit der Projektarbeit niemals anfangen, weil immer noch etwas zu klären ist, oder sich ebenso permanent wie nutzlos mit einem schlechten Gewissen quälen.
Regelmäßige Überprüfung und Fortschreibung
Viel klüger und praktischer ist es, den Projektauftrag als ein “Work in Progress” zu betrachten, das genau wie der Projektplan immer wieder überprüft und fortgeschrieben werden muss. Der größte Fehler, den man bei der Auftragsklärung begehen kann, ist wahrscheinlich nicht, sie nicht sorgfältig genug zu machen, sondern, sie, nachdem man sie gemacht hat, als erledigt und abgeschlossen zu betrachten. Und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, weil es, gleich wie sorgfältig wir waren, immer einige wichtige Punkte gibt, an die wir nicht gedacht oder die wir nicht genau genug besprochen haben. Zum anderen, weil Projekte ja gerade angesichts ihrer Neuartigkeit immer auch ein Lernprozess sind.
Anpassung an neue Erkenntnisse
Deshalb ist es nicht bloß sinnvoll, sondern zumindest in größeren Projekten dringend anzuraten, von Zeit zu Zeit einen Schritt zurückzutreten, eine Zwischenbilanz zu ziehen und sich zu fragen: Macht das, was wir zu Projektbeginn als Auftrag formuliert haben, vor dem Hintergrund des erreichten Stands und der gewonnenen Erkenntnisse eigentlich noch Sinn? Oder sollten wir den Auftrag angesichts dessen, was wir unterwegs gelernt haben, ändern, anpassen oder korrigieren? Wenn nicht, wunderbar; wenn doch, sollte es geschehen. Natürlich sollte diese Zwischenbilanz nicht dazu genutzt werden, das gesamte Paket wieder aufzuschnüren, und erst recht sollte sie nur in begründeten Ausnahmefällen dazu dienen, das Projekt insgesamt zur Disposition zu stellen. Aber wäre auch nicht sinnvoll, aus Angst vor solchen Diskussionen unerbittlich an dem ursprünglichen Projektauftrag festzuhalten. Nicht selten eröffnen die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse die Chance zu Kurskorrekturen, die den Nutzen des Projektes deutlich verbessern, ohne seine Kosten nennenswert zu erhöhen. Diese Chancen sollten unbedingt genutzt werden.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.