HomeMethoden & WissenKrisenKrisenprävention: Durch innere Vorbereitung bösen Überraschungen vorbeugen
Einen guten Autofahrer erkennt man nicht an der Fähigkeit, beherzt Gas zu geben – das kann jeder testosterongetriebene Führerscheinneuling. Man erkennt ihn an der Fähigkeit, kritische Verkehrssituationen vorherzusehen und im Ernstfall schnell, vor allem aber richtig zu reagieren, und das, ohne dabei in eine permanente Übervorsicht zu verfallen. In ähnlicher Weise erkennt man exzellente Top-Manager an der Fähigkeit, potenzielle Krisen frühzeitig zu erahnen und schnell, gezielt und geeignet darauf zu reagieren. Da Krisen aber definitionsgemäß Ereignisse sind, auf die wir nicht hinreichend vorbereitet sind, liegt der Schlüssel zur Krisenprävention in dem Mut, das “Undenkbare” zu denken, und in der Entschlossenheit, sich dafür zu rüsten, auch wenn dafür vor lauter Tagesgeschäft eigentlich keine Zeit ist.

Die Fähigkeit, vorbereitet zu sein

Was eine Krise ausmacht

Eine Krise ist definiert als eine Situation, in der wir unter massivem Handlungsdruck stehen, aber handlungsunfähig sind, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen. Mit anderen Worten, eine Krise ist ein Zusammenbruch unseres Orientierungssystems und/oder unseres Handlungsrepertoires: Wir kramen gewissermaßen fieberhaft in unserer Werkzeugkiste und finden kein geeignetes Werkzeug. Es liegt im Wesen einer Krise, dass sie uns kalt erwischt: Wenn wir vorbereitet wären und wüssten, was wir zu tun haben, wäre es keine Krise. Nur weil wir nicht vorbereitet sind, kann sie uns auf dem falschen Fuß erwischen; nur weil wir kalt erwischt wurden, sind wir zu keiner sinnvollen Reaktion in der Lage und erst recht nicht zu einer aktiven und zielgerichteten Gestaltung der Situation.

Ein Widerspruch in sich?

Spitzfindig könnte man also folgern, dass Krisenprävention ein Widerspruch in sich ist: Wie soll man eine Entwicklung verhindern, die einen – per definitionem – unvorbereitet erwischt? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Krisenprävention reduziert die Zahl der Situationen, die uns unvorbereitet erwischen. Und sie stärkt überdies unsere Fähigkeit, mit Ausnahmesituationen umzugehen, erstens weil wir sie auf diese Weise trainieren, zweitens, weil manches, was für die eine krisenhafte Entwicklung gilt, auf andere Situationen übertragbar ist, die wir nicht durchdacht haben.

Krisenprävention heißt Risiken wahrnehmen und durchdenken

Die Menge lähmender Überraschungen reduzieren

Natürlich kann kein Mittel der Welt davor schützen, dass wir in Situationen, die uns völlig auf dem falschen Fuß erwischen, erst einmal handlungsunfähig sind. Deshalb gibt es tatsächlich keine Krisenprävention, die uns vor sämtlichen möglichen Krisen dieser Welt schützt. Was dagegen sehr wohl möglich ist, ist, die Zahl der Situationen, die uns kalt erwischen könnten, fortlaufend zu reduzieren, und darüber hinaus generalisierbare Krisenbewältigungsstrategien zu entwickeln. Und zwar durch ein – im Prinzip – ganz einfaches Mittel, nämlich durch innere Vorbereitung.

Krisenszenarien durchspielen

Krisenprävention besteht ganz simpel darin, mögliche Krisen vorab zu durchdenken und ihnen dadurch einen Teil ihrer Brisanz zu nehmen. Auf je mehr mögliche Krisen wir vorbereitet sind, desto weniger Entwicklungen können uns noch auf dem falschen Fuß erwischen. In der relativ entspannten Atmosphäre einer Szenario-Betrachtung gelingt es sehr viel besser, die Situation richtig zu analysieren und sich geeignete Gegenstrategien auszudenken, als unter dem Höchststress einer eingetretenen Krise.

Besser in Ruhe als unter Stress

Zwar ist es immer eine Überwindung, sich ohne aktuelle Not mit möglichen Krisen zu beschäftigen, doch wenn man es tut, hat man die Chance, in relativer Ruhe darüber nachzudenken, wie die Situation im jeweiligen Krisenszenario zu bewerten ist, welche Ziele angestrebt werden sollten und welche Handlungsoptionen es gibt. Unter dem Stress und Handlungsdruck einer realen Krise übersieht man dagegen oft einige der interessantesten Handlungsoptionen – und entscheidet sich möglichweise aus blanker Verzweiflung für eine Reaktion, die vielleicht nahe liegt, mit den eigenen Zielen aber nur lose in Verbindung steht oder ihnen sogar zuwiderläuft.

Innerer und äußerer Widerstand

Voraussetzung für diese “innere Vorbereitung” auf mögliche Krisen sind jedoch zwei Dinge, die theoretisch einfach sind, in der Praxis aber die bewusste Überwindung eines erheblichen inneren Widerstands erfordern: Erstens bedarf es der Bereitschaft, mögliche Krisen überhaupt wahrzunehmen und festzuhalten; zweitens der Entscheidung, sich die Zeit für das Durchdenken und Durchspielen möglicher Krisenszenarien zu nehmen.

Das kann man in schlaflosen Nächten tun, wenn man bereits ahnt, dass sich etwas zusammenbraut; professioneller und gesünder ist es jedoch, dies in Form eines Risikomanagements zur gemeinsamen Aufgabe derjenigen zu machen, die für ein Unternehmen oder ein Geschäftsfeld verantwortlich sind. Diese Variante hat nicht nur den Vorzug, dass sie weniger belastend ist, weil man nicht bloß gedanklich um immer die gleichen Katastrophenphantasien kreist, sondern auch, dass man im Team kreativer ist, sowohl was das Entdecken möglicher Krisen betrifft, als auch, was das Auffinden von Handlungsoptionen und deren abgewogene Bewertung angeht.

Bruch mit Gewohnheiten

Dies setzt freilich den Bruch mit einigen Gewohnheiten voraus – zuallererst mit dem Ungeist des “positiven Denkens”, oder genauer, des positiven Schwätzens. Es ist blanker Aberglaube, dass Probleme dadurch entstünden, dass man zu viel über sie nachdenkt – Krisen entstehen im Gegenteil daraus, dass man zu wenig über mögliche Fehlentwicklungen nachgedacht hat. In vielen Firmen gehört es aber zum guten Ton, nicht über Risiken und Gefahren zu sprechen, sondern selbst am Rande des Abgrunds noch den unerschütterlichen Glauben an eine positive Entwicklung vorzutäuschen.

Tendenz zur kollektiven Realitäts-verleugnung

Niemand hat das treffender formuliert als Tom DeMarco und Timothy Lister in ihrem empfehlenswerten Risikomanagement-Ratgeber mit dem seltsamen Titel Bärentango: “Die schlimmsten Organisationen sanktionieren unattraktive Voraussagen, nicht aber unattraktive Ergebnisse.” (S. 39) Wo sich diese kollektive Realitätsverleugnung nicht durchbrechen lässt, ist Krisenprävention unmöglich, selbst wenn sich viele der Verantwortlichen in ihrem tiefsten Inneren genau die gleichen Sorgen machen. Wenn man in Ihrem Hause über mögliche Probleme nicht reden darf, ohne sich dem Vorwurf negativen Denkens aussetzen, bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, Ihre Szenario-Betrachtung entweder allein oder im kleinsten Kreis vertrauenswürdiger Kollegen bzw. gemeinsam mit einem externen Coach zu machen.

Enge Verwandtschaft mit dem Risikomanagement

Rechtliche Pflichten für Top-Manager

Ein zusätzlicher Grund, eine professionelle Krisenprävention zu institutionalisieren, ist das Aktiengesetz, jedenfalls für Vorstände und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften. Nach § 91 Absatz 2 hat der Vorstand die Verpflichtung, “geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden”. Wie der Wirtschaftsanwalt und Sanierungsberater Bernd Grüber in seinem Schnellkurs Krisenmanagement schreibt, “gilt diese Vorschrift analog auch für die Geschäftsführer jeder GmbH. Diese organschaftliche Pflicht ist der Unternehmensleiter ist ernst zu nehmen: Jeder Vorstand und jeder Geschäftsführer macht sich höchstpersönlich schadensersatzpflichtig, wenn er diese Pflicht verletzt und es dadurch zu wirtschaftlichen Verlusten oder gar zur Pleite des Unternehmens kommt.” (S. 21 f.)

Die handwerkliche Seite

Vom Handwerklichen her folgt die Krisenprävention weitgehend derselben Logik wie das Risikomanagement: Zunächst geht es darum, mögliche Krisen (= Risiken) zu identifizieren. Sie werden im zweiten Schritt nach Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichen Folgen bewertet. Drittens ist zu klären, was im Falle des Falles die wichtigsten (Erreichungs- und Vermeidungs-)Ziele wären, und viertens, welche Handlungsoptionen es gibt und was deren Vor- und Nachteile sind. Wie im Risikomanagement lohnt es sich auch hier zu unterscheiden zwischen Präventivmaßnahmen (Risikominderung) und der Notfall- oder Eventualplanung, die festlegt, welche Maßnahmen ergriffen werden, falls die Krise tatsächlich eintreten sollte.

Abgrenzung Risikomanagement

Lohnt es sich angesichts dieser engen Verwandtschaft überhaupt, zwischen Krisenprävention und Risikomanagement zu unterscheiden? In der Tat liegen beide sowohl vom Denkansatz als auch von der Methodik her nahe beeinander. Ihr Unterschied liegt in den Einsatzfeldern: Während Risikomanagement in der Regel im engen Zusammenhang mit einem konkreten Projekt steht, gibt es ja ohne Zweifel auch Krisen, die unabhängig von laufenden Projekten existieren und dennoch der Aufmerksamkeit bedürfen, wenn man nicht Gefahr laufen will, unvorbereitet von ihnen erwischt zu werden. Des Weiteren zielt Risikomanagement in der Regel darauf, sämtliche relevanten Risiken zu erfassen – auch solche, die im Falle ihres Eintritts nicht gleich in eine Krise münden müssten. Dagegen muss sich Krisenprävention, wenn sie nicht zur ausschließlichen Lebensaufgabe werden soll, auf jene großen Risiken konzentrieren, deren Eintreten nicht völlig unwahrscheinlich, sondern zumindest denkbar ist.

Emotionale Barrieren überspringen!

Geschäftlicher wie privater Nutzen

Auch ohne Bezug zu einem konkreten Projekt ist Krisenprävention für jeden Menschen sinnvoll, und zwar sowohl für seinen beruflichen als auch für seinen privaten Verantwortungsbereich. Für jeden Angestellten lohnt es sich zum Beispiel, einmal durchdacht und durchgerechnet zu haben, was passieren würde, wenn er seinen Job verlöre oder die Firma in Konkurs ginge. Ebenso sinnvoll ist es für Manager, zu durchdenken, welche Krisen ihr Unternehmen bzw. ihren Verantwortungsbereich treffen könnten. Desgleichen sollte jeder Selbständige und Unternehmer durchgespielt haben, was es für Folgen hätte, wenn er, zum Beispiel wegen einer Rezession oder aus anderen Gründen, mit einer Auftragsflaute konfrontiert wäre, und wie er am sinnvollsten mit dieser Situation umgehen würde.

Vorbereitung gibt innere Ruhe

Machen Sie sich Sorgen, dies zu tun: Weder wird Sie dies stärker beunruhigen wird als Sie es ohnehin schon sind, noch wird es auf magische Weise eine Krise herbeiführen. Stattdessen wird es Ihnen vermutlich mehr innere Ruhe verschaffen als es alles “positive Denken” und jede “konstruktive Affirmation” jemals vermöchten. Denn die gefürchtete “unbewusste Programmierung” auf Negatives entsteht entgegen allen Legenden nicht durch die bewusste Auseinandersetzung mit möglichen Krisen, sondern durch das vorbewusste Wissen, “dass da etwas ist”, und das Bemühen, diese düstere Ahnung zu verdrängen. Umgekehrt entsteht innere Ruhe nicht aus dem hastigen Verdrängen möglicher Risiken, es entsteht allein aus dem Bewusstsein, auf den schlimmsten denkbaren Fall vorbereitet zu sein.

Hinderungsgründe

Dass es in der Praxis dennoch so selten ist, dass sich Menschen mit möglichen Krisen vorbereitend auseinandersetzen – bei Privatleuten ebenso selten wie bei Unternehmern und Vorständen –, hat natürlich Gründe. Die wohlfeile Ausrede lautet üblicherweise, dass man dafür bislang leider nicht die Zeit gehabt habe, es aber bei nächster Gelegenheit wirklich dringend einmal machen müsse. Manchmal wird dann sogar ein konkreter Termin ins Auge gefasst (der dann rechtzeitig vor Erreichen auf unbestimmte Zeit verschoben wird), doch meistens bleibt es bei dem, was die Rheinländer als “mystisches Denken” bezeichnen: “Eigentlich müsst’isch das dringend mal machen …”

Sich seiner Angst stellen

Der tiefere Grund für diese Verweigerung einer Krisenprävention ist wohl, dass es Angst macht, sich die Möglichkeit von Krisen einzugestehen, gerade weil man ahnt, wie schlecht man darauf vorbereitet wäre. Also am besten gar nicht daran denken! Das beseitigt zwar weder das Problem noch die eigene innere Unruhe; dennoch ist die Tendenz, um mögliche Krisen einen Bogen zu machen, offenbar schwer zu bezwingen. Doch spätestens wenn Sie bestimmte Sorgen bis in Ihre Träume verfolgen, ist es Zeit, die wertvolle Energie nicht mehr in das Verdrängen zu investieren, sondern in eine klärende Auseinandersetzung. Wenn es Ihnen auf diese Weise leichter fällt, kann es durchaus sinnvoll sein, dies in Zusammenarbeit mit einem externen Coach oder im Team unter einer fachkundigen externen Beratung zu tun (wie sie Die Umsetzungsberatung gerne anbietet).

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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