HomeMethoden & WissenProjektmanagementProjekte: Die vernachlässigte soziale Dimension
Gebräuchliche Definitionen von Projekten ignorieren durchweg
deren soziale Dimension: Projekte werden in erster Linie als Verfahren
zur Lösung von Sachproblemen verstanden. Dass davon Menschen betroffen
sind, die auf die geplanten oder stattfindenden Veränderungen reagieren
und damit den weiteren Verlauf beeinflussen, bleibt in den Begriffsbestimmungen
unerwähnt, obwohl genau das in der Praxis in fast jedem Veränderungsprozess
eine entscheidende Rolle spielt. Der logische Konsequenzfehler ist,
dass die Reaktionen der betroffenen Mitarbeiter und Führungskräfte
auch beim Management der Projekte häufig missachtet werden, was
zwangsläufig Widerstände
und Konflikte hervorruft
und oftmals den Erfolg des gesamten Vorhabens in Gefahr bringt.

Vergessen: die soziale Dimension

Definitionen oder: Was ist eigentlich ein Projekt?

Begrenzter Nutzen von Definitionen

Definitionen sind eine eigenartige Sache: Wer nicht weiß, worum es geht, wird es in der Regel auch durch das Lesen vieler Definitionen nicht erfahren. Wer es weiß oder zu wissen glaubt, braucht im Grunde keine Definitionen. Nutzen haben Definitionen im Grunde nur dann, wenn jemand der Frage nachgehen möchte: Was ist eigentlich das Besondere an dem definierten Gegenstand? Wodurch unterscheidet er sich von anderen Dingen?

Trennschärfe wichtig

Um diese Unterscheidung zu leisten, müssen Definitionen trennscharf sein: Alle Objekte, die der Kategorie angehören sollen, müssen sämtliche in der Definition genannten Kriterien erfüllen – alle, die ihr nicht angehören sollen, dürfen die Kriterien nicht erfüllen (oder genauer: dürfen nicht alle Kriterien erfüllen). Anderenfalls ist die Definition ungenau bzw. falsch. Wie im Falle des folgenden Beispiels aus der berühmten DIN-Norm:

DIN-Norm 69 901

“Ein Projekt ist ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch eine Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist.”

Schmeichelhaft für Projekte, dass sie es bis zu einer Definition in einer DIN-Norm gebracht haben (DIN 69 901) – doch unbefriedigend die Definition selbst: Sie ist erstens nichtssagend und zweitens unsauber. “Die Bedingungen in ihrer Gesamtheit” sind, wie schon die alten Griechen festgestellt haben, sowieso immer einmalig: “Niemand steigt zwei Mal in denselben Fluss”. Außerdem fehlt es an Trennschärfe: Der Besuch einer Opernpremiere zum Beispiel ist zwar ein “Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit” gekennzeichnet ist, trotzdem würden ihn wohl die wenigsten Menschen als Projekt ansehen.

R. L. Martino

Präziser, aber etwas sperrig definiert R. L. Martino:

“A project is any task which has a definable beginning and a definable end and requires the expenditure of one or more resources in each of the separate but interrelated and independent activities which must be completed to achieve the objectives for which the task was instituted.”

In der Tat sind ein klarer Anfang und ein klares Ende wichtige Merkmale von Projekten – auch wenn das banal klingt. In der Praxis werden jedoch viele Projekte um dieses klare Ende betrogen, indem man sie sanft einschlafen oder am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Wesentlich, wiewohl nicht sonderlich überraschend ist auch, dass es bei Projekten darum geht, “die Ziele zu erreichen, für die die Aufgabe eingerichtet wurde”. Zutreffend, aber auch nicht so richtig aufregend ist, dass dafür bestimmte “Aufgaben erledigt werden müssen”, die “zusammenhängen aber unabhängig sind”. Doch bleibt bei alledem das Gefühl, dass da noch etwas fehlt.

Hans-D. Litke

Hans-D. Litke fasst in seinem Buch “Projektmanagement” (Hanser 3. Aufl. 1995) die charakteristischen Merkmale von Projekten in folgender Liste zusammen:
  • abgrenzbares Einzelvorhaben mit definiertem Anfang und Ende (Ziel),
  • neuartig: Vorstoß an Grenzen des Machbaren,
  • risikoreich (technisch, wirtschaftlich, terminlich),
  • komplex,
  • im Laufe der Abwicklung sich ändernde organisatorische Bedürfnisse,
  • große Bedeutung für Unternehmen / Organisation,
  • Termindruck.

Über das Ziel hinaus definiert

Insgesamt schießt diese Definition ein wenig über das Ziel hinaus. Zwar wird jeder erfahrene Projektmanager den Merkmalen von Litke mit leisem Stöhnen (“risikoreich”, “komplex”, “sich ändernde Bedürfnisse”, “Termindruck”) zustimmen, aber die “Grenzen des Machbaren” sind vielleicht doch ein bisschen hoch gegriffen. Generell stellt sich die Frage, ob tatsächlich alle diese Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein Vorhaben “Projekt” genannt werden darf: Was, wenn es nicht sehr risikoreich oder nicht sehr komplex ist oder nicht sonderlich unter Termindruck leidet – ist es dann wirklich kein Projekt? Wie ist es, wenn ein Vorhaben für ein Unternehmen oder eine Organisation keine große, sondern vielleicht nur eine mittlere Bedeutung hat? Verdient es dann nicht die Bezeichnung Projekt?

Die entscheidende soziale Dimension der Projektarbeit

Projekte sind mehr als ein Sachproblem

Was all diesen Definitionen fehlt, ist die soziale Dimension. Litke streift sie nur am Rande (“große Bedeutung für Unternehmen / Organisation”), die anderen haben sie überhaupt nicht auf dem Radar, und das, obwohl hier oft die größten Hindernisse und Schwierigkeiten liegen. Man muss sich ja fragen, wo der von Litke konstatierte Termindruck und die “sich ändernden organisatorischen Bedürfnisse” herkommen, wenn es kein umgebendes soziales System gibt, in das die Projekte eingebettet sind. In der Tat werden Projekte allzu oft als reines Sachproblem missverstanden, als eine Differenz zwischen Ist und Soll, die durch ein cleveres Vorgehen überbrückt werden muss – und genau dieses eindimensionale Aufgabenverständnis ist es, an der viele Projekte in allergrößte Schwierigkeiten kommen, wenn plötzlich und unerwartet eine zweite, nämlich die soziale Dimension hinzutritt.

Soziale Systeme reagieren auf Veränderungs-projekte

Für Veränderungsvorhaben in Unternehmen – gleich ob es sich um eine Post-Merger-Integration, ein Reengineering oder um ein IT-Projekt handelt – gilt aber durchgehend, dass das soziale System diese Aktivitäten nicht passiv erduldet wie ein Auto seine Reparatur, sondern dass es in vielfältigster Weise auf sie reagiert. Dabei geht es nicht nur um Emotionen, die man noch als soziale Nebengeräusche von Veränderung betrachten könnte, sondern auch um Aktionen, also um konkretes Tun oder Unterlassen. Beispielsweise erlebt man immer wieder, dass die Mitarbeiter Tausend Gründe und Argumente bringen, weshalb die vorgeschlagene Lösung gar nicht funktionieren kann und zu welch katastrophalen Problemen sie führen wird, dass sie die neuen Abläufe subtil boykottieren, dass sie die Kunden vernachlässigen, weil ihre Aufmerksamkeit intern gebunden ist, dass sich manche nach einem neuen Job umsehen und dass andere völlig passiv verhalten, weil sie finden, dass sich neue Initiativen erst lohnen, wenn wieder klare Verhältnisse herrschen.

Gefährliche Eigendynamik

Je weniger diese soziale Dimension in der Projektplanung und beim praktischen Vorgehen berücksichtigt wird, um so nachdrücklicher bringt sie sich im Laufe des Projekts in Erinnerung: Erst oft in einem leisen Grummeln, weil die Mitarbeiter, Führungskräfte und Betriebsräte mitbekommen, dass da etwas im Gange ist, über das sie nicht informiert wurden, und zu rätseln und zu diskutieren beginnen. Bald danach kursieren die ersten Gerüchte, und es kommen misstrauische Spekulationen auf, was die “wirklichen Hintergründe” des “Geheimprojekts” sind, und zu dem Zeitpunkt, zu dem der Projektleitung oder dem Top-Management klar wird, dass man vielleicht doch mal ein bisschen etwas kommunizieren müsste, sieht es sich längst mit einer negativen Grundstimmung und einer verbreiteten Abwehrhaltung gegenüber.

Betreuung der “zweiten Dimension”

Die Rolle des Change Managements besteht im Kern darin, sich um diese “zweite Dimension” der Projektarbeit zu kümmern. Das heißt, es muss vorhersehen bzw. einzuschätzen versuchen, wie das soziale System auf das geplante Projekt reagieren wird, und von Anfang an und bis zum Projektabschluss für eine begleitende Change-Kommunikation sorgen. Doch Change Management ist mehr als nur der “interne Pressesprecher” des Projekts: Es muss auch dafür sorgen bzw. darauf Einfluss nehmen, die Vorgehensweise des Projektes so zu gestalten, dass sie für die Beschäftigten nicht unnötig bedrohlich oder beunruhigend ist und dass für die erarbeiteten Ergebnisse zumindest so viel Akzeptanz entsteht, dass sie auch tatsächlich umgesetzt werden.

Kosten und Nutzen der Projektarbeit

Vorteile und Schattenseiten

Natürlich haben auch Projekte nicht nur Vorteile, sondern auch Schattenseiten. Die nachstehende Tabelle stellt sie gegenüber. Ob die Vor- oder die Nachteile überwiegen, lässt sich nicht allgemein beantworten, sondern muss für jedes konkrete Vorhaben geprüft werden – und zwar möglichst vor Beginn des Projektes. Denn wenn man erst im Nachhinein erkennt, dass ein Projekt im konkreten Fall mehr Nachteile als Vorteile hat, besteht das Risiko eines vorzeitigen Projektabbruchs samt seiner demotivierenden Folgen.

Vorteile

  • Konzentrierte interdisziplinäre Bearbeitung aktueller Fragen
  • Sorgfältige, methodische Problemanalyse
  • Neuer Blick auf alte Probleme
  • Grundsatz-Lösungen, Chance zum großen Schritt nach vorn
  • Nutzung des Wissens und des kreativen Potenzials der Mitarbeiter
  • Relativ schnelle Lösungsfindung
  • Flexibilität
  • i.d.R. hohes Engagement
  • i.d.R. gute Akzeptanz der Ergebnisse

  • Risiken und Nebenwirkungen
  • Planungs- und Steuerungsaufwand
  • Belastung des Tagesgeschäfts
  • Schnittstellen / Reibungen mit der “Linie”
  • Trennung von Entwicklung und Umsetzung
  • Ressourcenengpässe / Auffliegen der “50-Prozent-Lüge”
  • Gefahr unausgegorener Lösungen
  • Überforderung des Projektteams bei Fragestellungen, die spezielle fachliche Kenntnisse erfordern
  • Widerstände bei mangelnder Einbeziehung der Betroffenen; Gefahr des Scheiterns der Umsetzung
  • “Projekt-Lawinen”, weil ein Projekt das nächste nach sich zieht.

Projekttypen: Hauptunterschiede in Komplexität und Neuartigkeit

Unterschiedliche Projekttypen

Angesichts der Bandbreite von Aufgabenstellungen, die alle als Projekt bezeichnet werden, lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen. Denn unterschiedliche Typen von Projekten stellen auch völlig unterschiedliche Anforderungen an die Teams und vor allem an die Projektleiter. Um herauszuarbeiten, welche Projektenarten es gibt und wo ihre Unterschiede es liegen, ist es zweckmäßig, Projekte danach sortieren, worin ihre größten Herausforderungen liegen. Die beiden wichtigsten Dimensionen hierfür sind einerseits die Neuartigkeit des Vorhabens, andererseits seine Komplexität.

Projekttypen

KomplexitätBeispiel: große Bauund IT-Projekte

Der Unterschied zwischen den beiden ist, dass es bei hoher Komplexität “nur” darauf ankommt, eine große Zahl von Fäden gleichzeitig in der Hand zu behalten, ohne den Überblick zu verlieren, wie zum Beispiel bei großen Bau- oder IT-Projekten. Sie stoßen nicht unbedingt an die “Grenzen des Machbaren” vor, sind aber einfach höllisch komplex. Was sich bei schlechtem Projektmanagement in hohen Zeit- und Kostenüberschreitungen niederschlägt. Die Lösung liegt hier in erster Linie in einem sorgfältigen “klassischen” Projektmanagement. So ist es vor allem eine planerische und organisatorische Meisterleistung, wenn große Hochbauprojekte in Nordamerika in neun Monaten durchgezogen werden, während wir in Europa dafür zwei Jahre veranschlagen und drei brauchen.

NeuartigkeitBeispiel Turnaround

Bei einer neuartigen Problemstellung ist diese handwerkliche Seite zwar nicht unwichtig, aber auch nicht mehr erfolgsentscheidend – hier kommt es in erster Linie auf eine präzise Analyse der Problemstellung und um das Freisetzen von möglichst viel Kreativität an. Beispiele hierfür sind Innovationsprojekte, aber auch Sanierungen und Turnarounds. Dort weiß man in den ersten Wochen oftmals weder, ob eine Rettung überhaupt möglich ist, noch, wo man ansetzen muss, um sie zu erreichen. Was angesichts der schwindenden Liquidität und des drohenden Konkurses eine ziemlich ungemütliche Lage ist und gewaltigen Druck auf alle Beteiligten ausübt. Wer sich in dieser Situation in akribischer Projektplanung verliert, ist unrettbar verloren. Gutes Projektmanagement heißt hier in erster Linie rigorose Prioritätensetzung: Der Mut, Tausend Dinge unbeachtet zu lassen und sich im Bewusstsein, damit Fehler zu machen, konsequent auf die Schwerpunkte zu konzentrieren, die für das kurz- und mittelfristige Überleben entscheidend sind.

“Königsklasse”: neuartig und komplex

Die Höchstschwierigkeit haben demgemäß Projekte, bei denen Neuartigkeit und hohe Komplexität zusammen treffen. Ein bewundernswertes Beispiel hierfür war vor einigen Jahren der Umzug des Münchner Flughafens von Riem nach Erding in einer einzigen Nacht. Große Umzüge hatte es davor auch schon gegeben – die planerische und logistische Meisterleistung bestand darin, dies in der Zeit von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens zu verwirklichen, und zwar ohne den beliebten Trick internationaler Verhandlungen anzuwenden, dass man um 5.50 Uhr die Uhr anhält, um den gesetzten Termin nicht zu überschreiten.

Beispiel Post-Merger-Integration

Auch im Change Management gibt es zahlreiche Beispiele für diese “Königsklasse”, die manchmal weniger spektakulär, aber oft von noch höherer Tragweite sind. Dazu zählen etwa Post-Merger-Integrations, die im Gefolge von Fusionen und Übernahmen stattfinden, insbesondere dann, wenn sie einerseits mit Personalabbau verbunden sind, andererseits aber unternehmerisch einen deutlichen Schritt nach vorne markieren sollen. Auch hier mangelt es weder an Komplexität noch an Neuartigkeit, die sich hier tatsächlich nach DIN aus der “Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit” ergibt.

 

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung

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