Inhaltsverzeichnis:
- 1 Die Quelle des Wohlstands
- 2 Orientierung statt Beschwörung
- 3 Richtig vs. falsch verstandene Kundenorientierung
- 4 Spezifizierung erforderlich
- 5 Konsistentes Handeln erfordert klare Positionierung
- 6 Vorgehen zur Verbesserung der Kundenorientierung
- 7 Von der externen zur internen Kundenorientierung
- 8 Für zügige Umsetzung sorgen
- 9 Gegenläufige Anreize erkennen und beseitigen
- 10 Veränderungen nachhalten und am Ball bleiben
- 11
- 12 Kostenfreies Erstgespräch
Die Quelle des Wohlstands
Leerformeln helfen nicht
Um eine Kultur in Richtung Kundenorientierung weiterzuentwickeln, ist es nicht damit getan, den Kunden formelhaft in den Mittelpunkt zu stellen und Verbeugungen vor dessen Hut zu machen. In jedem besseren Leitbild liest man Sätze wie: “Der Kunde steht im Zentrum unseres gesamten Denkens und Handelns.” Aber das ist nicht nur eine Steilvorlage für die sarkastische Fortsetzung: “… und damit allen im Weg”; solche Aussagen sind erstens nicht wahr, zweitens nicht hilfreich und drittens auch gar nicht so anstrebenswert.
Orientierung statt Beschwörung
Nicht der Kunde, sondern das Tagesgeschäft
Unwahr sind derartige Beteuerungen, weil das Denken und Handeln der allermeisten Mitarbeiter und Führungskräfte im Alltag aus guten Gründen nicht um den Kunden kreist, sondern um die Bewältigung des Tagesgeschäftes: In der Produktion um die effiziente Abarbeitung der anstehenden Fertigungsaufträge, im Personalbereich etwa um die Besetzung vakanter Stellen, in Projekten um die Einhaltung der nächsten Deadline. Selbst im Vertrieb geht es bei ehrlicher Betrachtung mindestens ebenso sehr um die Erfüllung der Vertriebsziele wie um den Nutzen für den Kunden. Unbestritten, dass zwischen den beiden (langfristig) ein Zusammenhang besteht – dennoch kann niemand ernsthaft behaupten, dass es dasselbe wäre.
Was ist mit Kundenorientierung konkret gemeint?
Hilfreich sind allgemeine Appelle an die Kundenorientierung ebenfalls nicht, denn sie lassen alles Wesentliche offen: Was genau ist denn gemeint, wenn gefordet wird, “die Kunden in den Mittelpunkt zu stellen” oder gar, sie “zu begeistern” – und was ist damit nicht gemeint? Ist damit tatsächlich gemeint, jeden, wirklich jeden Kundenwunsch auf Biegen und Brechen zu erfüllen, sei er auch noch so kurzfristig, fragwürdig oder außerhalb des Budgets?
Heißt Kundenorientierung beispielsweise für eine Beratungsfirma, dem Kunden die Analysen und Empfehlungen zu liefern, die er sich wünscht, um bestimmte längst geplante Maßnahmen rechtfertigen zu können? Heißt es, auch Aufträge zu übernehmen, bei denen man, aus welchen Gründen auch immer, ein ungutes Gefühl hat? Heißt es, den Wünschen des Kunden auch dann zu entsprechen, wenn dies für das eigene Unternehmen mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist?
Verwirrende Geschichten
Es geht hier nicht um krasse, an den Haaren herbeigezogene Ausnahmefälle. Es geht darum, dass die Forderung nach Kundenorientierung in der Praxis genauso leicht falsches Handeln auslösen kann wie richtiges – erst recht, wenn man sich von den glorifizierenden Heldensagen über herausragende Kundenorientierung leiten lässt, die bei solchen Gelegenheiten oft erzählt werden. Eine handelt beispielsweise von einem Schreinermeister, der zweimal in eine weit entfernte Stadt fuhr, um einem Kunden in seinem neuen Haus kostenlos beim Einbau von Möbeln zu helfen, die er vor Jahren für ihn gefertigt hatte. Ein Manager murmelte, nachdem diese Geschichte vom Vorstandsvorsitzenden auf einer Führungstagung präsentiert worden war: “Mehr solche Kundenorientierung, und wir sind erledigt!”
Richtig vs. falsch verstandene Kundenorientierung
Mangelnde Orientierung
Solange sie für reale Zweifelsfälle keine Orientierung bietet, ist die Forderung nach Kundenorientierung eine nutzlose und potenziell riskante Beschwörungsformel, mit der man beinahe beliebiges Handeln begründen kann. Einmal angenommen, bei der Umsetzung einer Restrukturierung stehen unangenehme Personalgespräche an – Versetzungen, Rückstufungen, Trennungen –, und der Kunde bittet den Berater, diese Gespräche zu führen. Sollte eine kundenorientierte Beratungsfirma sich darauf einlassen?
Kundenwunsch erfüllen oder nicht?
Die naheliegende Reaktion des Beraters könnte sein, sich zu sagen: Zu Kundenorientierung gehört auch, den Kunden von unangenehmen Aufgaben zu entlasten – also werde ich diesem Wunsch entsprechen. Eine andere mögliche Reaktion wäre, sich zu fragen: Nützt es dem Kunden wirklich, wenn ich ihm diese Aufgabe abnehme? Oder würde ich damit eher schaden, weil es sein Ansehen untergraben würde, wenn er gegenüber seinen Mitarbeitern als ein Manager dastünde, der nicht den Mut hat, den negativ Betroffenen unangenehme Entscheidungen selbst mitzuteilen?
Ungelöstes Dilemma
Unter der Flagge der Kundenorientierung kann man beide Positionen vertreten: Die Erfüllung des expliziten Kundenwunsches sowieso, aber auch die Weigerung – nicht aus Feigheit, sondern um dem Kunden nicht zu schaden. Zumindest, so könnte man fordern, müsste der Berater dem Kunden aus “richtig verstandener” Kundenorientierung deutlich warnen, dass dieses Wegdelegieren einer unangenehmen Aufgabe seine Führungsautorität untergraben könnte.
Was heißt “richtig verstanden”?
Aber was hilft die Forderung nach Kundenorientierung, wenn man sie auf eine nicht näher spezifizierte Weise “richtig verstehen muss” – was ja im Umkehrschluss ja heißt, dass man sie “nicht falsch verstehen darf”? Wann hat man diese Forderung denn richtig, wann falsch verstanden? Und noch weiter: Was heißt Kundenorientierung, wenn der Kunde trotz Warnung auf seinem Auftrag besteht? Bedeutet Kundenorientierung dann, sich dem ausdrücklichen Kundenwunsch zu fügen, oder sollte sich der Berater trotzdem weigern, das (nach seiner Überzeugung) Falsche zu tun?
Beliebige Interpretationen
Ausgerechnet bei kritischen Entscheidungen lässt uns die abstrakte Forderung nach Kundenorientierung im Stich; ja, sie verleitet womöglich sogar dazu, das Falsche zu tun. Sowohl die sofortige Annahme des Auftrags als auch dessen Annahme nach einer deutlichen Warnung kann man mit Kundenorientierung begründen; am schwierigsten zu rechtfertigen ist wohl eine strikte Weigerung (die ich persönlich für richtig halte). Denn sie enthält ohne Zweifel ein Element von Bevormundung: “Ich weiß besser als Sie, was für Sie gut ist.” Im Grunde ist das ja so ähnlich, wie wenn ein Autohändler dem Kunden sagen würde: “Dieses Auto verkaufe ich Ihnen nicht, das ist zu schnell für Sie!”
Aber ist das Erfüllen jeden Kundenwunsches tatsächlich das, was mit Kundenorientierung gemeint ist bzw. gemeint sein sollte?!
Spezifizierung erforderlich
Orientierung erfordert Konkretisierung
Damit das Postulat der Kundenorientierung den Mitarbeitern und Führungskräften eine Orientierung für ihr Handeln liefert, muss sie spezifiziert werden. Das heißt, es muss angegeben werden, was mit Kundenorientierung konkret gemeint ist und was nicht – am besten durch Festlegung von beobachtbaren Indikatoren, die benennen, welches konkrete Verhalten nach dem eigenen Verständnis von Kundenorientierung erwünscht ist und welches ausgeschlossen sein soll. Nur wenn die Mitarbeiter und Führungskräfte Klarheit darüber haben, welche konkreten Erwartungen das Unternehmen an ihr Handeln hat, liefert die Forderung nach Kundenorientierung die notwendige Orientierung.
Ethische und strategische Klarheit
Diese Konkretisierung hat zwei Aspekte: einen ethischen und einen strategischen. Bei der strategischen Klärung geht es um die Frage: Worin liegt eigentlich unser entscheidender Mehrwert für den Kunden? Was unterscheidet uns von anderen Anbietern? Wie werden wir von unseren Kunden wahrgenommen, und wie wollen wir von ihnen wahrgenommen werden? Mit welchen besonderen Stärken sollen sie uns in Verbindung bringen, sich welchen Nutzen von uns versprechen?
Die ethische Frage lautet: Wofür stehen wir zu Verfügung und wofür nicht? Wo ziehen wir die Grenze? Aber auch: Wie wägen wir im Konfliktfall zwischen Kundeninteressen und unseren eigenen Interessen ab? Bis zu welchem Grad nutzen wir Geschäftsmöglichkeiten auch dann, wenn sie unserer Firma deutlich mehr Nutzen bringen als dem Kunden, oder wenn der Nutzen für den Kunden zweifelhaft oder negativ ist?
Unterschiedliche Geschäftsmodelle
Wie Kundenorientierung aus strategischer Sicht zu definieren ist, ist eine Frage des Geschäftsmodells – oder anders ausgedrückt, der Frage: Wodurch, durch Konzentration auf welche Schwerpunkte wollen wir erfolgreich sein?
Bei genauem Hinsehen gibt es da nämlich ganz unterschiedliche Optionen: Wollen wir zum Beispiel schnell und flexibel, wie ein guter Hausmeister, alle anfallenden Aufträge übernimmt, die nicht zwingend einen Spezialisten erfordern? Wollen wir der kostengünstigste Anbieter für ganz bestimmte Aufgaben sein? Oder positionieren wir uns als die Spezialisten für spezielle, besonders schwierige Aufgaben? Aber auch: Verstehen wir uns als “objektive” Berater des Kunden, die nur unseren eigenen Erkenntnissen und Überzeugungen verpflichtet sind, oder wollen wir, wie ein Rechtsanwalt, die Position unseres Kunden, was auch immer sie sein mag, mit einer möglichst schlagkräftigen Argumentation untermauern?
Konsistentes Handeln erfordert klare Positionierung
… andere Ausprägung von Kundenorientierung
Je nach der eigenen strategischen Positionierung, je nach Geschäftsmodell fallen die Antworten auf die Frage, was Kundenorientierung bedeutet, sehr unterschiedlich aus. Und das hat Konsequenzen – bis hin zu der Entscheidung, manche Kundenwünsche abzulehnen, weil sie nicht zum eigenen Geschäftsmodell passen. Und zwar nicht in exotischen Einzelfällen, sondern mit großer Regelmäßigkeit.
Fallbeispiel interner Dienstleister
So etwa in einem Shared-Service-Center, in dem sämtliche Buchhaltungsfunktionen eines Großkonzerns gebündelt worden waren, einschließlich sämtlicher Konzerntöchter. Vor dessen Gründung hatten die einzelnen Konzernunternehmen recht unterschiedlich gebucht und ihr Rechnungswesen und Controlling auf die verschiedensten Arten aufbereitet. Mit dem dezidierten Wunsch nach besonderen Aufbereitungen traten sie nun auch an das SSC heran. Diesen Wünschen zu entsprechen, hätte zu erheblichen Mehrkosten und beträchtlichen Fehlerrisiken geführt, was zu Lasten der Kunden gegangen wären. Zudem war es kaum vereinbar mit dem übergeordneten Auftrag, die Kosten des gesamten Rechnungswesens substanziell zu senken.
Ablehnen von Kundenwünschen
Anfänglich löste der Kundenwunsch nach maßgeschneiderten Auswertungen in dem SCC ein Dilemma aus, das für solche Fälle charakteristisch ist: Einerseits das Gefühl, den Kunden verpflichtet zu sein und deshalb nicht Nein sagen zu dürfen, andererseits das diffuse Unbehagen, dass das Erfüllen dieser Forderungen die Komplexität und die Kosten nach oben trieb und so dem eigentlichen Geschäftsauftrag zuwider lief.
Solange dieses Dilemma ungeklärt war, war halbherziges und inkonsistentes Handeln die Folge: Wer genpgend Druck machte oder seine Beziehungen ausspielte, bekam seine Sonderauswertungen, wer weniger drängelte, bekam sie nicht oder nur teilweise. In vielen Fällen wurden Kompromisse gemacht, die keine Seite wirklich zufriedenstellten. Und bei alledem herrschte das ungute Gefühl, keine klare Linie zu haben und konzeptionslos herumzueiern. Auch intern setzten sich manche Manager für mehr Kundenorientierung ein, andere für strikte Standardisierung, mit der Folge, dass sich die Abteilungen allmählich auseinanderentwickelten und von cleveren Kunden gegeneinander ausgespielt wurden.
Eine klare Linie entwickeln
Bis das Management den Knoten durchschlug, nachdem es in einer intensiven Diskussion erkannt hatte: Um dem übergeordneten Auftrag einer konsequenten Kostenminimierung gerecht zu werden, durfte es auf keinen Fall die Variantenvielfalt ins Kraut schießen lassen. Es entschied daher, den Kunden klipp und klar zu sagen, dass es ab sofort nur noch ein einheitliches Verfahren gab, an das sich alle halten mussten, um von den reduzierten Kosten profitieren zu können. Was von den Kunden schließlich auch akzeptiert wurde, wenn auch mit Grummeln.
Damit war auf etwas überraschende Weise geklärt, was Kundenorientierung bei diesem Geschäftsmodell bedeutete: Gerade kein Eingehen auf Sonderwünsche, sondern konsequente Kostenoptimierung. Nachdem das geklärt war, trat eine spürbare Entspannung ein, sowohl intern als auch im Verhältnis gegenüber den Kunden: Es gab nun eine klare Linie, und die wurde ziemlich schnell von allen Beteiligten akzeptiert. Dieser Grad an Klarheit und Konkretisierung muss erreicht werden, wenn die Forderung nach Kundenorientierung mehr sein soll als eine fromme, aber folgenlose Beschwörungsformel.
Vorgehen zur Verbesserung der Kundenorientierung
Mehr als eine Fachfrage für Spezialisten
Wenn ein Unternehmen seine Kundenorientierung verbessern möchte, besteht der erste und entscheidende Schritt also darin zu klären, was damit konkret gemeint ist und aus welcher strategischen Logik sich diese Priorisierung ableitet. Diese Zielklärung sieht auf den ersten Blick nach einer rein analytischen Aufgabe aus, die man am besten den Spezialisten für Strategie und Marketing überlässt.
Kollektiver Lernprozess
Doch die bloße Erkenntnis ist wenig wert, wenn daraus kein tragfähiger Konsens im Management entsteht, der von den Mitarbeitern und Führungskräften akzeptiert und verinnerlicht wird. Auch hier geht es also mindestens ebenso sehr um um den sozialen Prozess wie um die sachliche Problemlösung. Deshalb ist es ratsam, diese Klärung als einen kollektiven Lernprozess zu organisieren. Den stärksten Lerneffekt erreichen Sie, wenn die Konkretisierung von den betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften im Rahmen eines Projekts selbst entwickelt wird, und zwar nicht nach dem Motto: “Was fänden wir denn gut?”, sondern als Ableitung aus dem eigenen Geschäftsmodell.
Breite Beteiligung organisieren
Um dazu in der Lage zu sein, muss sich das Projektteam zunächst damit auseinandersetzen, was eigentlich die Strategie ihrer Firma ist und welche Position sie im Markt einnehmen will. Erst auf dieser Basis lässt sich sinnvoll diskutieren, was das Wort Kundenorientierung für die eigene Arbeit bedeutet. Wenn das Projektteam allerdings nur still vor sich hinarbeitet, besteht erstens die Gefahr, dass es die Strategie nicht völlig durchdringt und deshalb auch mit seinen Ableitungen zu ungenau ist, und zweitens ist die Reichweite der gewonnenen Erkenntnisse dann weitgehend auf die Teammitglieder beschränkt.
Breitenwirksamer ist es, wenn der Auftrag des Projekts lautet, eine breite Beteiligung beispielsweise in Form einer Workshopreihe und/oder einer Großgruppenkonferenz zu organisieren. Auf diese Weise wird zugleich die Strategie noch einmal im gesamten Unternehmen durchgeknetet, was unvermeidlich dazu führt, dass sie danach auf allen Ebenen wesentlich besser verstanden und durchdrungen ist.
Kundennutzen auf den Punkt bringen
Das Ergebnis dieses Prozesses sollte sein, den eigenen Kundennutzen so klar auf den Punkt zu bringen, dass ihn jeder Mitarbeiter verstehen und treffend mit eigenen Worten wiedergeben kann. Im Ergebnis sollten alle Mitarbeiter Fragen wie die folgenden übereinstimmend beantworten:
- Welchen besonderen Nutzen bieten wir unseren Kunden? Wodurch unterschieden wir uns von anderen Anbietern? Für welche Leistungen und/oder Fähigkeiten sollten wir bei unseren Kunden einen besonders guten Ruf haben?
- Worauf müssen wir unsere Aufmerksamkeit und Energie konzentrieren, um in diesen Punkten besonders gut zu sein?
- Welche Produkte oder (Zusatz-)Leistungen bieten wir unseren Kunden nicht an, weil sie nicht zu unserem Geschäftsmodell passen oder wir sie nicht zu vernünftigen Kosten erstellen können?
Von der externen zur internen Kundenorientierung
Was heißt Kundenorientierung für unsere Abteilung?
Mit der Klärung, was Kundenorientierung für das eigene Unternehmen oder Geschäftsfeld bedeutet, ist ein wichtiger Schritt gemacht, aber die Konkretisierung muss noch ein Stück weiter getrieben werden. Denn die grundsätzliche Klärung beantwortet in der Regel noch nicht, was Kundenorientierung für die verschiedenen Aufgabenfelder und Funktionen bedeutet. Je größer ein Unternehmen ist, desto weniger Mitarbeiter haben ja direkte Berührung mit dem Kunden; infolgedessen sie können die entwickelten Grundsätze in ihrem Aufgabengebiet gar nicht unmittelbar umsetzen.
Herunterbrechen auf einzelne Aufgaben und Funktionen
Andererseits ist für eine Verbesserung der Kundenorientierung die Unterstützung und Zuarbeit zahlreicher Funktionen erforderlich, die keinen direkten Kundenkontakt haben. Im nächsten Schritt muss Kundenorientierung daher auf die einzelnen Funktionsbereiche übersetzt und “heruntergebrochen” werden: Was heißt Kundenorientierung für die Fertigung? Was für die Logistik? Für den Einkauf? Für den Personalbereich oder das Controlling? Und an welchen beobachtbaren Merkmalen würde man jeweils erkennen, ob dort tatsächlich kundenorientiert gedacht und gehandelt wird oder nicht?
Prüfkriterien für Kundenorientierung
Auf diese Weise entstehen Prüfkriterien für die Kundenorientierung, die zwangsläufig bereichsspezifisch sind, sich aber zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen müssen. Sofern sie wirklich konkret und beobachtbar formuliert wurden, holen sie die Forderung nach Kundenorientierung ab sofort aus der wolkigen Unverbindlichkeit heraus und machen für die Mitarbeiter und Führungskräfte transparent, was sie für ihr jeweiliges Aufgabengebiet konkret bedeutet. Wenn das erst einmal klar ist, lässt sich auch ableiten, welche Veränderungen erforderlich sind, um dem Anspruch einer besseren Kundenorientierung gerecht zu werden. Zugleich liefert es die Basis für ein Controlling der Kundenorientierung.
Missverständnis “König Kunde”
Bei der internen Kundenorientierung droht ein Missverständnis, das die Zusammenarbeit unvermeidlich ins Chaos stürzen würde: Dass nämlich “König Kunde” auf dem hohen Ross sitzt und seine subalternen Lieferanten nach Herzenslust schikanieren und herumkommandieren darf. Entsprechend beliebt ist dann die Kundenrolle, und entsprechend unbeliebt die des Lieferanten: “Den letzten beißen die Kunden.” Deshalb ist es wichtig, solche spätfeudalistischen Phantasien gar nicht erst aufkommen zu lassen bzw. sie schon im Keim zu ersticken.
Nicht König, sondern Partner
Wenn sich der interne Kunde als launischer König gerierte, wäre das nicht nur dem Betriebsklima abträglich, es würde auch zu erheblichen Ineffizienzen und Zusatzkosten führen. Genau wie bei externen Kunden übrigens auch: Wenn die ihre Lieferanten nicht ausreichend über ihre Bedürfnisse und Vorgaben informieren, immer wieder die Spezifikationen ändern und im letzten Moment mit Zusatzwünschen um die Ecke kommen, müssen sie letztlich selbst den Preis dafür bezahlen, nämlich mit Mehrkosten und Verzögerungen. In ganz ähnlicher Weise müssen auch interne Kunden eng und partnerschaftlich mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten, wenn sie eine optimale Leistung erhalten wollen:
Auch interne Kunden tun in ihrem eigenen Interesse gut daran, ihren Lieferanten bestmöglich dabei zu helfen, sie optimal zu bedienen.
Für zügige Umsetzung sorgen
Führung und Controlling
Im nächsten Schritt geht es um die Motivation zur Veränderung. Denn mit der funktionsspezifischen Konkretisierung ist zwar geklärt, wie die Mitarbeiter aller Bereiche und Ebenen handeln sollen, aber durchaus noch nicht, weshalb sie dies tun sollen. Damit sie ihr Handeln tatsächlich an diesen Kriterien ausrichten, müssen sich, wie immer beim Thema Kulturveränderung, zwei Dinge ändern: Erstens die Art, wie geführt wird, oder genauer, die Kriterien, an denen sich die Führung ausrichtet, zweitens die Kriterien, die gemessen, controllt und nachgehalten werden. Das heißt, es ist erstens erforderlich, eine entsprechende Führungskultur aufzubauen, und zweitens, die Mess-, Steuerungs- und Beurteilungssysteme entsprechend auszurichten.
Hinderungsgründe
Zusätzlich kann es sinnvoll sein, in einer kleinen Kulturanalyse der Frage nachzugehen: Was hindert uns eigentlich, uns schon heute in genau dem Sinne kundenorientiert zu verhalten, wie wir es gerade definiert haben? Liegen eventuelle Defizite nur daran, dass wir Kundenorientierung noch nie so präzise definiert hatten, oder gibt es im geschäftlichen Alltag gute bzw. schlechte Gründe, die tatsächlichen Prioritäten ganz anders zu setzen? Und falls ja: Was müsste sich ändern, damit ein kundenorientiertes Verhalten möglich und aus subjektiver Sicht sinnvoll oder sogar vorteilhaft wird?
Vielfältige individuelle Anreize
Die Frage nach möglichen Hinderungsgründen aufzuwerfen, heißt keineswegs, böse Absicht oder finsteren Machenschaften zu unterstellen. Es trägt einfach der Tatsache Rechnung, dass es in der Unternehmensrealität unzählige Gründe geben kann, die es für den einzelnen Mitarbeiter aus dessen subjektiver Sicht vernünftig machen, sich anders zu verhalten als es im übergeordneten Unternehmensinteresse sinnvoll wäre. Völlig unterschätzt wird in aller Regel, wie großen Einfluss die Rahmenbedingungen auf das Verhalten der Mitarbeiter aller Ebenen haben – dabei passt jeder Mensch sein Handeln ständig an die gegebenen Realitäten an, um seine Ziele zu erreichen, und das ergibt auch allen Sinn der Welt.
Gegenläufige Anreize erkennen und beseitigen
Bioindikator Führungsnachwuchs
Ehrgeizige Nachwuchskräfte haben zum Beispiel ein sehr gutes Gespür dafür, worauf es wirklich ankommt, wenn man in ihrem Unternehmen vorankommen möchte. Wer wollte es ihnen verübeln, wenn sie sich im Interesse ihrer Karriere an genau diesen Kriterien orientieren, auch wenn das für den langfristigen Geschäftserfolg nicht unbedingt optimal ist? Warum sollten sie sich zum Beispiel die Finger verbrennen, wenn sie herausgefunden haben, dass die Geschäftsleitung bestimmte kritische Hinweise nicht hören will? Auch wenn sie loyal zum Unternehmen stehen, geht ihre Loyalität in der Regel nicht so weit, dass sie bereit sind, dafür “den Heldentod zu sterben”.
Bereichsegoismen
Auch die einfachen Mitarbeiter tun im eigenen Interesse gut daran, sich mehr an den bestehenden Rahmenbedingungen zu orientieren als am Nutzen für den Kunden. Wenn ihre Chefs zum Beispiel vor allem die Ergebnisse ihres eigenen Bereichs optimieren, in Machtkämpfe untereinander verstrickt sind oder politische Ränkespiele betreiben, dann sind die Mitarbeiter und mittleren Führungskräfte gut beraten, nicht mehr “unternehmerisches Denken” an den Tag zu legen als ihre Chefs.
Die Mitarbeiter folgen den Anreizen ihrer Chefs
Selbst auf den oberen Ebenen ist es nicht ungewöhnlich, dass eine fatale Kombination von Zielvereinbarungen, Anreizsystemen und interner Konkurrenz die Manager dazu “motiviert”, mehr auf ihren eigenen Bereich zu schauen als auf große Ganze. Wenn das so ist, dann darf man sich nicht wundern, wenn sie sich entsprechend verhalten. Wenn beispielsweise der Vertriebschef allein an den Absatzzahlen gemessen wird und die Produktionschefin an den Stückkosten, dann ist es völlig logisch, dass sie ständig im Clinch liegen: Sie befinden sich in einem strukturellen Konflikt; beide müssen die Ziele des jeweils anderen durchkreuzen, um ihre eigenen zu erreichen. Und ihre jeweiligen “Indianer” werden sich hüten, sich besser mit der anderen Seite zu verstehen als die Häuptlinge.
Führung und Messsyteme neu ausrichten
Dabei bleiben fast unweigerlich die Interessen der Kunden auf der Strecke. Und daran wird sich auch nichts ändern, solange die Führung und die Steuerungssysteme nicht von Grund auf umgestellt wurden. Insofern ist es nicht bloß ein netter Zeitvertreib, nach möglichen Hindernissen für eine Verhaltensänderung Ausschau zu halten, sondern in vielen Fällen die zwingende Voraussetzung dafür, Fortschritte in Richtung Kundenorientierung zu erreichen.
Veränderungen nachhalten und am Ball bleiben
Veränderung sollte rasch in Gang kommen
Wenn die Umsetzung in dieser Weise angegangen wird, sollten ziemlich rasch spürbare Verbesserungen der Kundenorientierung sichtbar werden: Nicht erst in “drei bis fünf Jahren”, wie der Zeitbedarf einer Kulturveränderung häufig angegeben wird, sondern eher in drei bis fünf Wochen. Falls nach einigen Monaten noch keine nennenswerte Veränderung festzustellen ist, liegt das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht daran, dass Kulturveränderungen einfach lange dauern, sondern daran, dass noch gar keine begonnen hat. In solchen Fällen stehen einer Verhaltensänderung häufig konkrete Gründe im Weg, die man noch nicht ausreichend verstanden, geschweige denn ausgeräumt hat.
Nachhalten und kommunizieren
Wichtig ist, die Fortschritte durch ein geeignetes Controlling zu überprüfen – und vor allem, die jeweiligen Ergebnisse auch zu kommunizieren, Erfolge zu feiern und hartnäckige Schwierigkeiten zum Gegenstand intensiver Diskussionen zu machen. Denn wenn sich bestimmte Indikatoren trotz ernsthafter Bemühungen nicht verbessern, dann muss es Gründe dafür geben. Fast immer liegen sie darin, dass es irgendwelche gegenläufigen Anreize oder Sanktionen gibt, die es für die Betroffenen sinnvoll machen, sich anders zu verhalten als es im Unternehmensinteresse liegt. Diese Gründe muss man erkennen und verstehen, damit man sie ausräumen kann.
Der Erfolg bestätigt die Diagnose
Ob man sie richtig diagnostiziert und tatsächlich behoben hat, sieht man ganz einfach daran, ob eine Veränderung in Gang kommt. Wenn ja, hat man den kritischen Engpass gefunden und beseitigt; wenn nicht, gibt es noch weitere – und möglicherweise noch tiefer sitzende – Hindernisse. In solchen Fällen ist eine vertiefende Kulturanalyse angebracht, damit man vorwärts kommt und sich nicht ewig im Kreis dreht.
Nur Beharrlichkeit sorgt für dauerhafte Verankerung
Entscheidend ist, bei der Umsetzung große Beharrlichkeit an den Tag zu legen. Eine “nachhaltige” Kulturveränderung ist nicht dann erreicht, wenn die ersten sichtbaren Veränderungen eingetreten sind, sondern erst dann, wenn sich die neuen Gewohnheiten gefestigt haben und den Mitarbeitern und Führungskräften in Fleisch und Blut übergegangen sind. Auch wenn erste Veränderungen rasch zu sehen sein sollten, ist eine wirkliche Stabilisierung in aller Regel erst nach einigen Jahren erreicht. Deshalb ist der größte Fehler bei Kulturveränderungen, sich zu früh am Ziel zu glauben und die Aufmerksamkeit anderen Themen zuzuwenden. Wo das geschieht, kann man darauf wetten, dass die so gut begonnene Veränderung alsbald wieder in sich zusammenfällt. Was doppelt schade ist, wenn eigentlich alles schon auf dem richtigen Weg war …
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