Inhaltsverzeichnis:
Starkes Signal
Befragung weckt Erwartungen
Vorsicht ist geboten, wenn Sie nur einige Marktdaten erheben wollen, ohne damit die implizite Verpflichtung einzugehen, auf die gewonnenen Erkenntnisse auch zu reagieren. In diesem Fall sollten Sie von einer breit angelegten Kundenbefragung besser Abstand nehmen und stattdessen lieber nur eine kleine, stichprobenartige Marktstudie durchführen. Denn je breiter Sie die Befragung anlegen, bei umso mehr Kunden entsteht zwangsläufig die Erwartung, dass sich bei den abgefragten Schwerpunktthemen hinterher auch etwas ändert, und zwar im Sinne der von ihnen geäußerten Wünsche.
Kundenbefragung als Marketinginstrument
Erwartungen als Chance
Dass eine Kundenbefragung Erwartungen weckt, ist jedoch nicht nur ein potenzielles Problem, es ist zugleich eine unglaubliche Chance. Denn oftmals möchte man ja genau dies erreichen: die Wahrnehmung der Kunden beeinflussen und ihre Erwartungen verändern. Hierfür ist eine Kundenbefragung geradezu das ideale Werkzeug. Mit keinem anderen Kommunikationsinstrument können Sie so viel Aufmerksamkeit auf die gewünschten Themen lenken. Klassische Instrumente der Marktkommunikation wie Rundschreiben, Broschüren, Anzeigen, Pressemitteilungen etc. erreichen oft nicht einmal, dass Neuerungen vom Markt wahrgenommen werden, geschweige denn, dass sie Aufmerksamkeit und Interesse auslösen. Da ist es schon bemerkenswert, ein Instrument zu Verfügung zu haben, das zu einer ernsthaften Beschäftigung der Kunden mit den gewünschten Themen führt.
Warnung vor Missbrauch
Allerdings muss mit diesem Instrument verantwortlich umgegangen werden. Denn wenn sich vorgebliche Kundenbefragungen, wie in jüngster Zeit immer häufiger zu erleben, als verkappter Verkaufsversuch entpuppen, verlieren sie sehr rasch an Akzeptanz und werden damit als Kommunikationsinstrument unbrauchbar. Wer mit solchen Tricks arbeitet, verbrennt jedoch nicht nur das Instrument, sondern schadet auch seiner eigenen Glaubwürdigkeit. Denn er zeigt damit, dass er willens ist, um kurzfristiger Erfolge willen mit dem Mittel der Manipulation zu arbeiten – also tut man gut daran, vor ihm und seiner Firma auf der Hut zu sein.
Aktive Stellungnahme
Der große Vorteil seriöser Befragungen ist, dass sie eine aktive Stellungnahme der befragten Kunden auslösen und nicht bloß eine passive Kenntnisnahme der angebotenen Informationen, die oftmals schon nach kurzem wieder vergessen ist. Das gilt schon für das Ausfüllen eines Fragebogens, aber erst recht und noch viel mehr für ein persönliches Interview. Dass die Kunden aktiv Stellung nehmen, hat drei Vorteile: Erstens führt es zu einer intensiven Beschäftigung mit den abgefragten Inhalten. Zweitens bewirkt es, dass die Interviews, sofern die gestellten Fragen einigermaßen sinnvoll und schlüssig sind, von den Befragten in aller Regel positiv bewertet werden – schließlich steht ihre eigene Sichtweise im Mittelpunkt. Und drittens weckt eine Befragung immer auch ein Stück Neugier auf die Ergebnisse. Denn die meisten Befragten finden es spannend, ihre eigene Sichtweise durch einen Blick auf die Resultate mit der ihrer Kollegen (oder auch Konkurrenten) abzugleichen.
Interesse an Rückmeldung
Dies gibt Ihnen die Möglichkeit, den begonnenen Dialog in einem zweiten Schritt fortzuführen, indem Sie eine Information über die Befragungsergebnisse und die abgeleiteten Schlussfolgerungen anbieten. So gut wie jeder Befragte wird an einer kurzen Zusammenfassung der Resultate sowie einer Information über die vorgesehenen Veränderungen interessiert sein. Das gilt schon bei schriftlicher Übermittlung, aber erst recht bei einer persönlichen Rückmeldung, an die sich natürlich kundenspezifische Vereinbarungen anschließen können. Wie wirksam dieses Vorgehen ist und wie viel an Aufmerksamkeit und Interesse man auf diese Weise erreicht, sieht man am besten im Kontrast zu einem der üblichen Mailings: “Werte Kunden, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir zu Ihrem Nutzen und Frommen die folgenden Verbesserungen vorgenommen haben …”
Befragung selber durchführen oder fremdvergeben?
Impulse nach innen
Bevor Sie einen externen Dienstleister mit der Durchführung einer Kundenbefragung beauftragen, denken Sie einen Augenblick darüber nach, ob Sie eine solche Befragung nicht auch dazu nutzen möchten, Veränderungsimpulse in Ihr Unternehmen hineinzutragen. Nach unserer Erfahrung ist eine Kundenbefragung, die – ggf. unter fachkundiger Anleitung – von den eigenen Leuten durchgeführt wird, ein hervorragendes Instrument, um die Mitarbeiter auf glaubhafte und authentische Weise mit der Kundensicht vertraut zu machen und bestehenden Handlungsdruck zu verdeutlichen. (In dem zum Download verfügbaren Artikel “Change Coaching” ist ein Fallbeispiel beschrieben.)
Abwägung zwischen Perfektion und Innenwirkung
Natürlich gibt es Situationen, wo ein solches Vorgehen aus Mengen- oder Kapazitätsgründen nicht durchführbar ist und Ihnen gar keine andere Wahl bleibt als die Vergabe an ein externes Beratungs- oder Marktforschungsunternehmen. Doch oftmals sind beide Wege gangbar. Dann ist die entscheidende Frage: Wollen Sie in erster Linie bestmögliche Daten (bzw. die Illusion davon) in perfekter Aufbereitung als Entscheidungsgrundlage für das Management oder wollen Sie primär neue Erfahrungen und Erkenntnisse in Ihre Belegschaft hineintragen, um einen bevorstehenden Veränderungsprozess vorzubereiten?
Authentische Erfahrungen
Wenn es Ihnen um bestmögliche Daten in professioneller Aufbereitung geht, ist externe Marktforschung wohl der bessere Weg – wenn Sie hingegen wollen, dass Ihre Mitarbeiter die Sichtweise der Kunden aus erster Hand kennen lernen und dadurch auf völlig neue Gedanken in Bezug auf Markt und Wettbewerb kommen, dann lohnt es sich, gewisse formale Abstriche in Kauf zu nehmen und – möglicherweise unter Anleitung eines erfahrenen Beraters – Marktforschung auf eigene Faust zu betreiben. Zwar macht es Eindruck, wenn professionelle Marktforscher die Ergebnisse einer Kundenbefragung eloquent und farbenprächtig darstellen, doch eine Tiefenwirkung, die das Denken der Mitarbeiter verändert und damit die Unternehmenskultur ein Stück weiter entwickelt, ist auch durch eine noch so eindrucksvolle Präsentation kaum zu erreichen.
Befragung selber durchführen oder fremdvergeben?
Mündliche Befragung
Für eine Kundenbefragung mit den eigenen Mitarbeitern ist ein Stück Vorbereitung erforderlich. Das betrifft zunächst die Wahl der Vorgehensweise. Sofern es Ihre Kundenstruktur zulässt, sind persönliche oder zur Not telefonische Interviews die Methode der Wahl. Denn nur so entstehen authentische Erfahrungen aus erster Hand. Bei einer schriftlichen Befragung hätten die Mitarbeiter ja nicht direkt mit dem Kunden zu tun, sondern nur mit der Gestaltung und Auswertung der Fragebögen – und das sind Aufgaben, die man besser Spezialisten überlässt, zumal sie kein großes Erkenntnispotenzial für die Weiterentwicklung des Unternehmens enthalten.
Teilstrukturierte Interviews
Die Kundeninterviews sollten als “teilstrukturierte Interviews” angelegt werden. Das heißt, es gibt einen Interviewleitfaden, der dem Gespräch Struktur gibt und hinterher eine vergleichende Auswertung ermöglicht, doch die Interviewer sollten, statt bloß sklavisch den Fragebogen abzuarbeiten, den Freiraum (und den Auftrag!) haben, der Sichtweise des Kunden nachzuspüren.
Sinnvolle Fragen!
Die Fragen müssen nicht im Wortlaut ausformuliert sein und brauchen – im Gegensatz zu einer wissenschaftlichen Untersuchung – auch nicht in jedem Interview in der exakt gleichen Formulierung dargeboten werden, doch muss gewährleistet sein, dass jeder Interviewer zumindest die gleichen Leitfragen verwendet. Sehr viel wichtiger als die genaue Formulierung ist, dass die gestellten Fragen aus Sicht der befragten Kunden sinnvoll und gut beantwortbar sind. Dazu müssen sie aus Kundenperspektive gedacht sein und sich auf für die Kunden wesentliche Aspekte beziehen. Um dies zu gewährleisten, sollte bei der Entwicklung der Fragen jemand mitwirken, der Erfahrung mit Befragungen hat.
Neugierige, explorative Grundhaltung
Was die Interviewtechnik betrifft, so ist das Wichtigste, dass die Interviewer mit einer neugierigen, explorativen Grundhaltung an die Gespräche herangehen. Das fällt Internen oftmals schwer, weil sie bei kritischen Anmerkungen des Kunden leicht in die Versuchung geraten, sich und ihr Unternehmen zu rechtfertigen, zu entschuldigen oder “den wahren Sachverhalt zu erklären”.
Kritische Antworten aushalten
Insbesondere Mitarbeiter aus dem Vertrieb können es oft kaum ertragen, kritische Hinweise des Kunden einfach aufzunehmen, ohne sie in irgendeiner Weise “zurechtzurücken”. Wenn der Kunde aber den Eindruck bekommt, dass der Interviewer kritische Aussagen nicht hören will, wird er sie entweder – seltener – verstärken oder aber – häufiger – solche Themen nur noch andeuten, insgesamt aber immer einsilbiger antworten, weil seine Motivation für das Interview dahinschwindet. Damit jedoch werden die Interviews nutzlos und können im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv wirken.
Interviewschulung
Ein bisschen Schulung ist daher zweckmäßig, damit die Interviewer lernen und akzeptieren, dass ihre Aufgabe ausschließlich darin besteht, die Sichtweise des Kunden möglichst genau zu verstehen – völlig gleichgültig, ob die Kunden mit ihren Aussagen Recht oder Unrecht haben. damit sie weiter erkennen, dass sie nichts Neues erfahren, solange sie selber reden. Und dass jedes Abgleiten in Belehrung, Rechtfertigung oder “Erläuterung” zum sicheren Verlust wertvoller Informationen führt. Falls ein Kunde wirklich konkrete Fragen stellen und auf eine Antwort drängen sollte, kann man immer sagen: “Ich will Ihnen jetzt keine voreilige Antwort geben. Deshalb notiere ich mir Ihre Frage und komme in den nächsten Tagen auf sie zurück. Ist das für Sie in Ordnung?”
Weiter sollten sie eine Einführung in die Interviewtechnik bekommen, damit sie die nötigen Fragestrategien beherrschen, um ihren Interviewpartnern nicht nur allgemeine und abstrakte, sondern möglichst konkrete und handfeste Antworten zu entlocken. Sofern bei den Kunden ranghohe Personen befragt werden, ist es ratsam, die Interviewer von einem Mitglied der Geschäftsleitung oder des oberen Managements begleiten zu lassen.
Von den Interviews zum “Lernen der Organisation”
Zwischencheck
Nachdem jeder Interviewer seine ersten Gespräche geführt hat, ist es sinnvoll, sich noch einmal zusammenzusetzen und Erfahrungen auszutauschen: Nicht nur über die ersten Erkenntnisse (was natürlich besonders spannend ist), sondern auch darüber, welche Fragen und Vorgehensweisen sich bewährt haben und wo es möglicherweise nicht optimal funktionert hat. Hier ist auch die letzte Gelegenheit, den Interviewleitfaden noch einmal zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass die Fragen aus Sicht der Befragten schlüssig sind – und dass alle Interviewer tatsächlich die gleichen Themen abdecken.
Auswertung
Bei der Auswertung ist wichtig, strikt zu trennen zwischen der beschreibenden Wiedergabe der Kundensicht einerseits und Bewertungen, Interpretationen und Schlussfolgerungen andererseits. Dafür ist es nützlich, wenn man in den Interviews viel mitgeschreibt. Eine bewährte, wenn auch zeitaufwändige Methode der Auswertung ist, zunächst alle Zitate, die sich auf ähnliche Themenschwerpunkte beziehen, zusammenzustellen, und dann in einem zweiten Schritt Überschriften für diese Zitate-Cluster zu suchen, die deren Kernaussage möglichst treffend wiedergeben. Erst in einem dritten Schritt folgt die Bewertung, die sich an folgenden Leitfragen orientieren kann: Was sind unsere zentralen Erkenntnisse aus den Interviews? Wie bewerten und interpretieren wir diese Erkenntnisse? Welche Schlussfolgerungen sollten wir daraus ableiten?
Kommunikation nach innen
Wenn die Resultate der Befragung schließlich vorliegen, sollten sie natürlich nicht nur der Geschäftsleitung vorgestellt werden, sondern möglichst allen Beschäftigten, und zwar durch die Mitarbeiter, die die Befragung durchgeführt haben. (Natürlich haben die Interviewer ihren Kollegen bis dahin schon einiges aus den Gesprächen erzählt. Doch das schadet überhaupt nichts.) Daran müssen sich Workshops anschließen, die sich mit den abzuleitenden Ergebnissen und Schlussfolgerungen beschäftigen. Je mehr Mitarbeiter daran beteiligt werden sollen, desto mehr lohnt es sich zu überlegen, ob dies in Form eine Großgruppenkonferenz durchgeführt werden soll.
Feedback an die Kunden
Wie eingangs erwähnt, sollten unbedingt auch die Kunden eine Rückmeldung über die Ergebnisse der Befragung erhalten. Je nach deren Anzahl und Zusammensetzung kann dies entweder über direkte Gespräche erfolgen oder über geeignete Veranstaltungen oder zur Not auch über eine schriftliche Zusammenfassung. Ein schriftlicher Kurzbericht alleine ist etwas mager, als Ergänzung ist er aber in jedem Fall zu empfehlen. Unter Umständen lässt sich aus diesem Bericht sogar ein eigenes Marketing-Instrument machen – wie bei einem unserer Kunden, der die Ergebnisse seiner Kundenbefragung unter dem eigenwilligen, aber einprägsamen Titel “Sehen Sie mal, wie Sie uns sehen” als Broschüre gedruckt und verbreitet hat.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.