Inhaltsverzeichnis:
Authentische Kunden aussagen
Geeignete Form finden
In welcher Weise man die “Stimme des Marktes” am Besten ins eigene Haus hereinholt, um größtmögliche Überzeugungskraft zu entfalten, hängt von der Branche und der Art des Unternehmens ab: Bei einem Automobilzulieferer kann die Diskussion mit einem wichtigen Kunden wie ein Erdbeben wirken, weil jeder weiß, dass die eigene Firma auf Gedeih und Verderb von ganz wenigen Großkunden abhängt. Im Konsumgüterbereich oder im Einzelhandel wird die Meinung eines einzelnen Kunden eher Achselzucken auslösen, weil es “Meckerer bekanntlich immer gibt”. Hier sind andere Kommunikationsformen notwendig, um eine dauerhafte Wirkung zu erreichen – zum Beispiel Befunde aus einer systematischen Kundenbefragung oder auch von den Mitarbeitern selbst durchgeführte Kundeninterviews.
Authentische Eindrücke aus erster Hand
Unmittelbare Erfahrung
Damit die Stimme des Marktes die größtmögliche Wirkung hinterlässt, ist die Unmittelbarkeit der Erfahrung wichtig. Zwar macht es durchaus auch Eindruck, wenn Berater oder Marktforscher die Ergebnisse einer Kundenbefragung vorstellen und sie mit eindrucksvollen Zitaten aus erster Hand belegen. (Wobei wörtliche Zitate hier oftmals mehr bewirken als quantitative Auswertungen – selbst dann, wenn diese Zahlen bei genauerer Betrachtung nichts anderes sind als die Aggregation wörtlicher Zitate.) Aber die Eindrücke aus solchen Präsentationen verblassen meistens schneller als sie in praktische Konsequenzen umgesetzt werden. Eine unmittelbare persönliche Erfahrung geht sehr viel tiefer als alles, was durch “Zwischenträger” vermittelt werden kann.
Beispiel Wettbewerbs-vergleich
So erinnere ich mich, obwohl das Ereignis schon viele Jahre zurückliegt, auch heute noch lebhaft an einen Workshop bei meinem früheren Arbeitgeber, zu dem wir einen hochrangigen Kunden eingeladen hatten. Er machte uns in freundlicher Offenheit deutlich, was er an unserer Arbeit schätzte und was ihm weniger gefiel. Ein Satz von ihm klingt mir immer noch in den Ohren: “Unsere Leute arbeiten lieber mit Ihnen als mit Ihrem Hauptkonkurrenten. Aber wo die Konflikte und Blockaden liegen, das erfahren wir von Ihrer Konkurrenz schneller!” Diese Aussage löste bei uns mehr als nur eine vorübergehende (und folgenlose) Betroffenheit aus; sie veranlassten uns zu einem Überdenken unserer Arbeitsweise und mündete in konkrete praktische Konsequenzen.
Ungeschönte Deutlichkeit
Wie das Beispiel zeigt, tragen vor allem zwei Elemente dazu bei, eine falsche Selbstzufriedenheit zu erschüttern und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Veränderungsnotwendigkeiten zu fördern: Undiplomatische Deutlichkeit und der Vergleich mit Wettbewerbern aus der Sicht eines wichtigen Kunden. Dass mir diese viele Jahre zurückliegende Episode heute noch in Erinnerung ist, beweist, wie intensiv die Wirkung einer Konfrontation mit authentischen und ehrlichen Kundenaussagen sein kann.
Gefahr der Einseitigkeit
Allerdings liegt gerade in dieser Eindrücklichkeit auch ein Risiko: Wenn der befragte Kunde, aus welchen Gründen auch immer, ein einseitiges, untypisches oder tendenziöses Bild vermittelt, kann dies die ganze Diskussion auf eine falsche Fährte lenken und zu unsinnigen Schlussfolgerungen verleiten. Stellen Sie sich nur einmal vor, dass ein Kunde aus einkaufstaktischen Gründen den Preis zum zentralen Punkt seiner Kritik macht. Dann führen Sie hinterher eine Diskussion über Preisgestaltung und Kosten statt über Ansatzpunkte zur Verbesserung von Qualität und Kundennutzen. Es wäre daher leichtsinnig, die Auswahl solch eines Gastredners dem Zufall zu überlassen.
Bedachte Auswahl
Eine bedachte Auswahl ist wichtig und hat nichts mit Manipulation zu tun. Wichtig ist, eine Person zu finden, die (1) selbst maßgeblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung hat, (2) sich dabei einigermaßen “typisch” verhält (das heißt ähnlich wie andere Zielkunden) und (3) die dem eigenen Unternehmen konstruktiv-kritisch gegenüber steht: Aus einer grundsätzlichen Ablehnung lässt sich ebenso wenig lernen wie aus vorbehaltloser Begeisterung. Ideal ist, wenn der Betreffende den direkten Vergleich mit wichtigen Wettbewerbern hat und bereit ist, offen darüber zu sprechen. Unter Umständen kann es auch sinnvoll sein, mehrere Kunden einzuladen; dann relativieren sich Einzelmeinungen, und übereinstimmende Muster treten deutlicher zutage.
Kundenbefragung – selbst gemacht
Persönliche Interviews vor Ort
Eine gute Alternative zum Einladen von Kunden ist, selbst auszuschwärmen und die Kunden vor Ort zu befragen. Damit ist ausdrücklich keine schriftliche Befragung gemeint, sondern eine persönliche. Bei schriftlichen Umfragen ist der Erkenntniswert begrenzt, weil sich die Antworten weitgehend im Rahmen der zum Ankreuzen vorgegebenen Alternativen abspielen: Auf Fragen, die man nicht gestellt hat, bekommt man auch keine Antwort, und auf Fragen, denen falsche Annahmen oder Überzeugungen zugrunde liegen, bekommt man wenig brauchbare Antworten. Zudem ist der Mobilisierungseffekt schriftlicher Umfragen gering: Was dabei herauskommt, sind Tabellen, Grafiken und Präsentationen – das erreicht allenfalls die Köpfe, aber nicht die Herzen.
Der Wert von Überraschungen
Der größte Nutzen von persönlichen Interviews liegt gerade in den Überraschungen, die sie mit sich bringen: Wo die Kunden nur sagen, was man ohnehin erwartet hatte, fühlt man sich zwar bestätigt, aber man lernt nichts Neues. Am spannendsten sind die Aussagen, die der Interviewer nicht erwartet hat. Unter Umständen machen sie den halben vorbereiteten Interviewleitfaden hinfällig und zwingen den Interviewer, von Grund auf umzudenken. Wenn so etwas passiert, ist es zwar etwas stressig, aber beileibe keine Katastrophe, vielmehr ein Glücksfall, denn dann lernt man wirklich etwas Neues.
Deshalb kommt es darauf an, die Vorgehensweise so anzulegen, dass die Realität (bzw. der Markt) eine Chance hat, die eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen. Ein schriftlicher Fragebogen lässt dafür keinen Raum. Dazu sind persönliche Interviews das mit Abstand geeignetste Instrument.
Interview technik
Solch eine “selbst gemachte” Kundenbefragung muss natürlich vorbereitet werden – sowohl handwerklich als auch von der “Dramaturgie” her. Rein handwerklich sind gute Interviews kein Hexenwerk; es gibt also keine Notwendigkeit, sie unbedingt von “geschulten Profis” durchführen zu lassen. Die Interviewer müssen im Grunde nur ein Repertoire an Fragetechniken beherrschen und vor allem eine klare Orientierung besitzen, auf welche zentralen Fragen sie eine Antwort haben wollen. Dazu brauchen sie die innere Bereitschaft, aufmerksam zuzuhören, statt der Versuchung zu erliegen, ihr Unternehmen zu verteidigen oder dem Gesprächspartner zu erklären, wie die Welt wirklich funktioniert. Das ist mit einer ein– oder zweitägigen Schulung Interviewtechnik mit ausreichender Qualität zu erreichen.
Dramaturgie einer Kundenbefragung
Nicht überstülpen!
Etwas mehr Vorbereitung ist erforderlich, um den Führungskräften und Mitarbeitern solch ein “Projekt Kundenbefragung” schmackhaft zu machen, ihm größtmögliche interne Publicity zu sichern und möglichst viele im Kollegenkreis angesehene Mitarbeiter für eine aktive Mitwirkung zu gewinnen. Denn der Effekt einer solchen Aktion bleibt weit unter ihren Möglichkeiten, wenn sie den Mitarbeitern einfach übergestülpt wird und sie zu den Kundeninterviews kurzerhand “abkommandiert” werden.
Fallbeispiel: Wer ist überhaupt unser Kunde?
Ein guter Weg kann zum Beispiel sein, erst einmal das Thema Kundenorientierung auf den Tisch zu bringen und eine Diskussion über die Anforderungen, Erwartungen und Kaufkriterien der Kunden zu beginnen. In einem öffentlichen Bildungsträger entwickelte sich daraus eine intensive Diskussion: “Wer ist überhaupt unser Kunde?” Die Frage war nicht trivial, denn man konnte dabei sowohl an die Behörde denken, der die Einrichtung zugeordnet war, als auch an das Arbeitsamt, das ihre Maßnahmen zum Großteil finanzierte; man konnte aber natürlich auch an die Teilnehmer der Maßnahmen denken oder an die Betriebe, die diese Teilnehmer nach Abschluss der Maßnahmen hoffentlich in eine feste Beschäftigung übernehmen würden.
Eine erste wichtige Erkenntnis dieser Diskussion war, dass die Anforderungen aller vier Kundengruppen beachtet werden mussten, dass aber die Betriebe innerhalb dieses Quartetts eine Schlüsselstellung besaßen, weil deren Bereitschaft, die Absolventen einzustellen, auf mittlere Sicht auch der Schlüssel zur Zufriedenheit der drei übrigen Kundengruppen war.
Notwendigkeit einer direkten Befragung
Nachdem so geklärt war, auf wessen Anforderungen besonderes Augenmerk gelegt werden musste, drängte sich die Frage auf, was denn nun die Anforderungen und Erwartungen dieser Kundengruppen waren. Dazu gab es im Hause unterschiedlichste Meinungen, aber bestürzend wenig Fakten. Offensichtlich war es also notwendig, die Kunden direkt zu fragen – eine Interviewreihe mit allen vier Kundengruppen war der logisch zwingende nächste Schritt. Weil dies das Ergebnis eines gemeinsamen Diskussions- und Denkprozesses war, waren nun auch viele Mitarbeiter nicht nur bereit, sondern ausgesprochen begierig, sich an den Interviews zu beteiligen. Und auch die übrigen waren gespannt, mit welchen Erkenntnissen ihre Kollegen aus dem Markt zurückkommen würden.
Zwingender Schritt
Genau darum geht es: Die Dramaturgie des Vorgehens so zu gestalten, dass die Kundeninterviews nicht als ein willkürlicher Einfall der Geschäftsleitung erscheinen, sondern der logisch zwingende nächste Schritt auf dem Weg zu einer Verbesserung der Kundenorientierung sind.
Nachbereitung, Konsequenzen und Kommunikation
Das Eisen schmieden
Wenn aus den Kundeninterviews keine Schlussfolgerungen abgeleitet werden, hat man nicht nur den ganzen Aufwand umsonst getrieben, sondern auch ein wertvolles Instrument verbrannt. Denn sowohl die Mitarbeiter als auch die Kunden würden Ihnen etwas husten, wenn Sie ein Jahr später erneut mit dem Ansinnen auf sie zukämen, eine Befragung durchzuführen.
Schmieden Sie also das Eisen, solange es heiß ist! Nutzen Sie sowohl die gewonnenen Erkenntnisse als auch – fast noch wichtiger – die aus der Befragung entstandene Energie, um unter breiter Beteiligung aller Mitarbeitern Konsequenzen abzuleiten! Wichtig ist, diese Maßnahmen nicht nur zu beschließen und umzusetzen, sondern dies auch zu kommunizieren, sowohl intern als auch nach außen. In der internen Kommunikation sollten Sie dabei Schritt für Schritt vorgehen; in der externen ist ein kompakteres Vorgehen sinnvoll.
Externe Kommunikation
Der oben erwähnte Bildungsträger entschied sich zum Beispiel, die Ergebnisse der Kundeninterviews in einer Broschüre zusammenzufassen. Darin spiegelte die Einrichtung ihren vier Kundengruppen wieder, was sie aus den Interviews gelernt und welche praktischen Schlussfolgerungen sie abgeleitet hatte. Besonders eindrucksvoll war, dass in der Broschüre nicht nur Ankündigungen für die Zukunft gemacht wurden, sondern bereits eine Reihe handfester Sofortmaßnahmen mitgeteilt wurden. Das setzt natürlich einige interne Vorarbeit voraus.
Umsetzung unter breiter Beteiligung
In der internen Kommunikation ist ein erster wichtiger Schritt, möglichst alle Mitarbeiter umfassend über die Ergebnisse der Befragung zu informieren. Dies sollten am besten die Interviewer selbst machen und bei dieser Gelegenheit auch ihre ersten Handlungsempfehlungen und Vorschläge vorstellen. Darauf muss die Geschäftsleitung sagen, welche grundsätzlichen Schlussfolgerungen sie aus der Befragung ableitet, welche Maßnahmen sie aus übergeordneter Perspektive zu treffen gedenkt und welche Erwartungen sie in diesem Zusammenhang an die einzelnen Bereiche bzw. an die Mitarbeiter hat. Im Anschluss daran sollte in den einzelnen Bereichen unter breiter Einbeziehung der Mitarbeiter erarbeitet werden, wie diese strategische Grundrichtung im eigenen Verantwortungsbereich umgesetzt werden soll.
Neue Prioritäten
Wichtig ist, dabei nicht nur in Richtung zusätzlicher Anstrengung zu denken (die fast zwangsläufig auch zu einer Mehrbelastung und höheren Kosten führen); auch die umgekehrte Denkrichtung ist erlaubt: Welche bisher erbrachten Leistungen erscheinen den Kunden so unwichtig, dass man sie deutlich herunterfahren oder vielleicht sogar ganz auf sie verzichten kann? (Im Zweifelsfall vor der Umsetzung mit den Kunden querprüfen!) Besonderes Augenmerk sollte sich auf die Frage richten, welche Maßnahmen sofort umgesetzt werden können. Denn nichts wirkt sowohl auf die Kunden als auch auf die eigenen Leute überzeugender als schnelle Erfolge!
Konsequente Umsetzung
Wie immer im Geschäftsleben, wenn Ziele und Absichten wirklich ernst gemeint sind, sollte auch hier ein Change Controlling installiert werden. Das muss kein aufwendiges IT-gestütztes System sein; dafür genügen konkrete Vereinbarungen, bis zu welchen Terminen welche Meilensteine erreicht sein sollen, sowie eine Wiedervorlage, die dafür sorgt, dass zum vereinbarten Termin ein Review-Meeting stattfindet. Spätestens hier scheiden sich die Wege: Wer diesen Schritt konsequent geht, der wird ein oder zwei Jahre später bei einer erneuten Kundenbefragung die Früchte der geleisten Arbeit ernten. Wer auf der Ebene von Ankündigungen stecken bleibt, der hat seiner Glaubwürdigkeit mehr geschadet als genützt – und sollte sich besser hüten, seinen Mitarbeitern und Kunden mit weiteren Befragungen zu kommen.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.