Der Begriff “Change Management” suggeriert ein einheitliches Fachgebiet. Doch in Wirklichkeit verbergen sich dahinter völlig unterschiedliche roblemstellungen, die eigentlich nur einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich dass es um Veränderungen geht, von denen eine größere Zahl von Mitarbeitern betroffen sein werden:
- Turnaround / Sanierung, Personalabbau
- Kostensenkungsprogramme / Produktivitätssteigerung
- Portfolio-Management
- Unternehmensverkauf / Divestments / Outsourcing
- Fusionen / Übernahmen / Post-Merger-Integration
- Reorganisation / Restrukturierung
- Prozessoptimierung / Reengineering / Lean Management
- Ablösung alter IT-Systemen / Einführung von Standardsoftware
- Qualitätssicherung / Total Quality Management
- Programme zur Steigerung der Mitarbeiterqualität
- Einführung von CRM-Systemen (Customer Relationship Management)
- Vermittlung und Verankerung einer Vision
- Einführung von Leitbildern und Führungsgrundsätzen
Unterschiedliche Konfliktpotenziale
So unterschiedlich wie diese Problemstellungen sind auch die Konfliktpotenziale und die erforderlichen Veränderungsstrategien. So dürfte bei einem Programm zur Verbesserung der Kundenorientierung eine Ihrer größten Herausforderungen sein, Ihre Mitarbeiter überhaupt zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Thematik zu bewegen – bei einer Fusion oder Übernahme brauchen Sie sich darüber mit Sicherheit nicht den Kopf zerbrechen. Umgekehrt wird bei einer Fusion ein zentrales Thema sein, wie Sie Ängste, Grabenkriege und Positionskämpfe eindämmen können – was wiederum beim Thema Kundenorientierung kaum der kritische Punkt sein wird.
Unterschiedliche Erfolgsquoten
So unterschiedlich wie die emotionale Dynamik sind auch die Erfolgsaussichten: Wenn Sie beispielsweise von Windows XP auf Windows 7 migrieren oder einen Releasewechsel Ihrer Standardsoftware vornehmen, sollte die Erfolgsquote eigentlich bei 100 Prozent liegen. Vielleicht holpert und rumpelt es rund um die Einführung ein wenig, und es treten bei den Mitarbeitern und Führungskräften gewisse atmosphärische Verstimmungen auf; dennoch müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn die Veränderung scheitert und sie zurück zur alten Software müssen. Wenn Sie dagegen Führungsgrundsätze oder ein Leitbild einführen mit der Absicht, das Verhalten ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte dauerhaft zu verändern, oder wenn Sie eine Fehlerkultur einführen oder Ihre Führungskultur dauerhaft verändern wollen, dann stehen die Wetten gegen Sie, und Sie müssen sich einiges einfallen lassen, wenn dabei mehr herauskommen soll als nur ein Zynismusförderungsprogramm.
Diagnose Ihres Veränderungsvorhabens
Ihr erster Schritt bei einem Veränderungsvorhaben sollte daher sein, sich Klarheit zu verschaffen, was für eine Art von Veränderung Sie vor sich haben. Je genauer Sie einschätzen können, welche Gedanken, Gefühle und Reaktionen Ihr Vorhaben bei Ihren Mitarbeitern und Führungskräften auslösen wird und welche Konfliktpotenziale es mit sich bringt, desto treffsicherer können Sie ableiten, wie Sie vorgehen müssen, um den Veränderungsprozess in Gang zu bringen, am Leben zu halten und zum Erfolg zu führen.
Inhaltsverzeichnis:
Eine Typologie von Veränderungsvorhaben
Schlüsselrolle der Emotionen
Das folgende Ordnungsraster erlaubt Ihnen die Einordnung unterschiedlichster Veränderungsvorhaben, ihrer Knackpunkte und des voraussichtlichen Handlungsbedarfs. Es hilft Ihnen, eine erste Abschätzung vorzunehmen, was auf Sie zukommt und worauf Sie sich einstellen sollten. Zentral für das gesamte Change Management und die Gestaltung der Change-Architektur ist, mit welchen Emotionen die Betroffenen auf die geplanten Veränderungen reagieren werden und wie sie sich im Laufe des Veränderungsprozesses entwickeln werden. Denn daraus ergeben sich die (Chancen und) Risiken Ihres Vorhabens. Ob es Ihnen gelingt, mit diesen Emotionen sinnvoll umzugehen und sie in konstruktive Bahnen zu lenken, bestimmt maßgeblich über die Erfolgsaussichten Ihres Vorhabens.
Orientierungsbedürfnis der MitarbeiterDie “Change-Matrix”
Aus diesem Grund ist sinnvoll, Veränderungsprozesse nach zwei Gesichtspunkten zu unterscheiden: Zum einen nach dem Grad an Bedrohlichkeit, den die Mitarbeiter voraussichtlich in der Veränderung sehen werden – er bestimmt ihr Bedürfnis nach Orientierung. Zum anderen nach dem Ausmaß an Einstellungs- und Verhaltensänderungen, das das Vorhaben Ihren Mitarbeitern abverlangt – es hat großen Einfluss darauf, mit wie viel Unwillen und Widerstand Sie rechnen müssen. Daraus leitet sich Ihr Bedarf für internes Marketing ab (Sie können auch sagen: Motivations– und Überzeugungsarbeit).
Daraus ergibt sich die folgende Matrix:

“Push” oder “Pull”?
Mit “Pull” und “Push” ist gemeint, dass sich
die Mitarbeiter in “Pull-Konstellationen” förmlich
um Information reißen, während ihnen die Ideen, Ziele
und Anforderungen in “Push-Konstellationen” aktiv und beharrlich nahegebracht
werden müssen.
Typische Risiken
Damit sind auch schon die beiden typischen Ursachen der Frustration und des Scheiterns für die
jeweiligen Veränderungsvorhaben genannt: In “Pull-Konstellationen”
ist es die Unterversorgung der Mitarbeiter mit Informationen (“Unterkommunikation”).
Sie führt zu wilden Misstrauen angereichert, in “psychologischen Tatsachen”
verwandeln können – mit der Folge, dass die Stimmung kippt und das Management kommunikativ in die Defensive gerät. In der “Push-Konstellation” hingegen ist die Hauptgefahr,
dass man auf der Ebene von wohlformulierten Leitsätzen, Hochglanz-Broschüren und moralischen Appellen
“verhungert”, weil es nicht gelingt, die Aufmerksamkeit der gesamten Belegschaft für das Thema zu “synchronisieren”, und deshalb den entscheidenden Schritt zu einer Verhaltensänderung nicht schafft, geschweige denn eine dauerhafte Veränderung bewirkt.
Übersicht
Hier eine Übersicht, wo typische Veränderungsvorhaben
in dieser “Change-Matrix” angesiedelt sind:

Die Leute dort abholen, wo sie stehen
Aber was ist die Begründung dafür, ausgerechnet solche “weichen Faktoren”, die sehr viel mit Emotionen zu tun haben, zur Grundlage der Unterscheidung von Veränderungsprozessen zu machen? Ganz einfach: Es geht im Change Management ja in allererster Linie darum, die von Veränderung betroffenen Mitarbeiter und Führungskräfte auf dem eingeschlagenen Weg mitzunehmen. Dafür aber sind ihre Wahrnehmungen und Gefühle weitaus wichtiger als (vermeintlich) harte Fakten. Der einzige Weg hin zu einer erfolgreichen Umsetzung von Veränderungen führt daher über einen klug gestalteten sozialen Prozess – und der wiederum muss die Leute dort abholen, wo sie stehen. Dafür aber muss er zwingend von den Gedanken und Gefühlen seiner Adressaten ausgehen, das heißt, von ihren Erwartungen, Hoffnungen und vor allem von ihren Befürchtungen.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.