Inhaltsverzeichnis:
Quantitative und qualitative Lagebestimmung
Vier Schritte
- Quantitative und qualitative Bestimmung des Veränderungsbedarfs (“Mengengerüst”);
- Analyse der Vorerfahrungen Ihres Unternehmens mit Veränderungen sowie der bestehenden Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit;
- Bestimmung des Typs der Veränderung, den Sie planen, und seiner Besonderheiten;
- Entwicklung einer “Change-Architektur”, das heißt eines strukturierten Vorgehens, aus dem sich schlüssig ergibt, wie der Weg vom Ausgangspunkt zum Zielzustand aussieht.
Wir empfehlen Ihnen sehr, diese vier Schritte tatsächlich durchzugehen. Denn eine saubere Diagnose ist die notwendige Grundlage für eine erfolgreiche “Therapie”.
Quantitative Bestimmung des Veränderungsbedarfs
Anzahl der betroffenen Mitarbeiter
Der erste Schritt zur Bestimmung Ihres Veränderungsbedarfs ist sinnvollerweise ein Mengengerüst:- Wie viele Mitarbeiter werden von den geplanten Veränderungen direkt betroffen sein?
- In welchen Bereichen / Abteilungen / Organisationseinheiten?
- Was sind Hauptbetroffene (“Zentrum der Veränderung”), was indirekt oder am Rande Betroffene?
- Was konkret soll / wird sich für sie ändern? Wie einschneidend sind die Veränderungen in der subjektiven Sicht der Betroffenen? Als wie bedrohlich werden sie die Veränderungen empfinden?
Change-Organigramm
Bei größeren Veränderungsvorhaben ist es zweckmäßig, dafür ein “Change-Organigramm” zu erstellen. Nehmen Sie dazu ein aktuelles Organigramm Ihres Unternehmens und markieren dort zunächst mit einem Leuchtmarker die Bereiche, die von den Veränderungen unmittelbar betroffen sein werden. Dann nehmen Sie einen andersfarbigen Marker und streichen all die Bereiche an, auf die die Veränderungen vermutlich abstrahlen werden. So können Sie auf einen Blick erkennen, welche Kreise Ihr Veränderungsprojekt mittelbar und unmittelbar ziehen wird.
Abstrahleffekte abschätzen
Abstrahleffekte
Denn nicht nur die direkt Betroffenen reagieren auf stattfindende oder bevorstehende Veränderungen, sondern auch das Umfeld. Je nach Art der Veränderungen und eigener Interessenlage können die Reaktionen sehr unterschiedlich ausfallen, von beiläufiger Kenntnisnahme (“Aha, der Vertrieb organisiert mal wieder um!”) über Verstimmung (“Heißt das, dass wir schon wieder einen neuen Ansprechpartner einarbeiten sollen?”) bis zu heller Aufregung (“Um Himmels willen, wollen die etwa jetzt vor den Landtagswahlen Leute entlassen?!”).
Absehbare Reaktionen intern und extern
Nicht alle Reaktionen der internen und externen Öffentlichkeit sind vorhersehbar. Die Zahl unliebsamer Überraschungen lässt sich aber deutlich reduzieren, wenn man sich vorab folgende Fragen stellt:- Wie viele Mitarbeiter sind von den Veränderungen indirekt betroffen, weil sie mit den Hauptbetroffenen zusammenarbeiten (Schnittstellen) oder auf andere Weise in Verbindung stehen?
- In welchen Bereichen / Abteilungen / Organisationseinheiten?
- Wie wirkt sich die Veränderung für sie aus? Wie werden sie voraussichtlich darauf reagieren?
- Sind externe Stellen direkt oder indirekt von den Veränderungen betroffen, wenn ja, welche (z.B. Kunden, Lieferanten, Kommune)?
- In welcher Weise?
- Sind die Veränderungen für die Eigentümer des Unternehmens bzw. für den Kapitalmarkt von Interesse? Wird deren Bewertung eher positiv oder eher negativ sein? Werden sie kritischen Beobachtern z.B. im Aufsichtsrat oder bei Analysten zusätzliche Munition liefern?
- Könnte sich die Öffentlichkeit (Presse, Medien) für die Veränderungen interessieren, und wenn ja, mit welcher Tendenz?
Agieren stattreagieren
Wo immer Reaktionen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, gilt die Faustregel: Besser aktiv kommunizieren als reagieren. Denn Reagieren heißt immer auch in der Defensive sein. Gleich ob Mitarbeiter, Kunden oder Medien: Wenn sich Menschen – unter Umständen auf der Basis tendenziöser Vorinformationen – erst einmal eine Meinung gebildet haben, ist es schwer, sie noch vom Sinn des Vorhabens zu überzeugen. Versuchen Sie deshalb, nach Möglichkeit der erste zu sein, der mit ihnen spricht!
Vorbereitet sein
Andererseits macht es keinen Sinn, vorbeugend die ganze Menschheit zu informieren. Manchmal wird man es auch darauf ankommen lassen, wie die Reaktionen ausfallen, und nur wenn erforderlich aktiv werden. Seien Sie aber in jedem Fall vorbereitet, falls Sie damit rechnen müssen, dass interne oder externe Gegner der Veränderung die Öffentlichkeit rebellisch machen: Angenommen, das Lokalfernsehen ruft an und will eine Stellungnahme, wie reagieren Sie dann? In der Regel tut man sich keinen Gefallen, wenn man jeden Kommentar verweigert und es später im gesendeten Beitrag heißt: “Leider war zu diesen Vorgängen von der Geschäftsleitung keine Stellungnahme zu erhalten.”
Soziale Medien
Vorbereitet sollte man auch auf den Fall sein, dass Ihr Veränderungsvorhaben einen Widerhall in den sozialen Medien findet. Da heute sehr viele Mitarbeiter Mitglieder in sozialen Netzwerken sind, sollte man nicht überrascht sein, wenn sie dort auch ihre Kommentare zu Ihrem Vorhaben abgeben und/oder mit Kollegen darüber diskutieren. Desgleichen ist es möglich, dass sich Kommentare beispielsweise auf dem Facebook-Account des Unternehmens finden. Sie kommentarlos zu löschen, kann kaum der letzte Schluss einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit sein. Sehr wohl kann man dort aber freundlich und sachlich falsche Eindrücke korrigieren.
Was soll sich eigentlich ändern und wie gravierend ist das?
Bedrohlichkeit der Veränderung
Um die Reaktionen der Belegschaft auf die Veränderungen abzuschätzen, ist die zentrale Frage, wie einschneidend die Veränderungen für die direkt Betroffenen sein werden. Denn natürlich ist es ein großer Unterschied, ob die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze bedroht sehen oder ob sich “nur” die Arbeitsabläufe oder die Arbeitsweise verändern sollen. Zwar darf man auch scheinbar geringe Veränderungen nicht auf die leichte Schulter nehmen: Auch sie können zu großer Aufregung und dramatischen Zuspitzungen führen – besonders in Unternehmen, die Veränderung nicht gewohnt sind. Dennoch gilt die Regel: Je gravierender die Veränderung, eine desto größere Rolle spielen Emotionen – insbesondere Angst.
… aus Sicht der Betroffenen
Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass hierbei nicht Ihre Bewertung der Veränderungen entscheidend ist, sondern die der Betroffenen. Wenn die Mitarbeiter heftiger reagieren als der Vorstand erwartet hat, heißt es oftmals: “Ich verstehe nicht, warum sich die Leute so anstellen – das sind doch wirklich keine dramatischen Veränderungen!” Solche Aussagen sind nicht nur unsinnig, sondern gefährlich. Denn hinter dem so signalisierten Unverständnis steht die mangelnde Bereitschaft zum Perspektivwechsel. Das trotzige Beharren auf der eigenen Sichtweise aber ist keine gute Prognose für weitere Entwicklung.
Verändern oder verändert werden
Machen Sie deshalb bitte nicht den Fehler, nur den eigenen Maßstab anzulegen. Der Ihrer Mitarbeiter wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein anderer sein, und zwar aus mindestens zwei Gründen: Erstens ist es ein großer Unterschied, ob man Objekt oder Subjekt, Treiber oder Getriebener der Veränderung ist. Menschen haben das Bedürfnis, die Kontrolle über ihr Schicksal zu haben. Von außen kommende Veränderungen bedrohen diese Kontrolle, und auf Kontrollverlust reagieren Menschen, wie die Psychologie sehr sorgfältig erforscht hat, mit Angst, Widerstand und, wenn sich die Kontrolle nicht wiedererlangen lässt, mit Resignation.
Selbstvertrauen
Zweitens ist die Reaktion auf Veränderungen maßgeblich vom eigenen Selbstvertrauen und Lebensmut abhängig. Wer seit 10 Jahren die gleiche Arbeit tut und sich keine Umstellung mehr zutraut, reagiert ganz anders als jemand, der Erfahrung mit Veränderungen hat und in seinem tiefsten Inneren sicher ist, ihnen gewachsen zu sein. Deshalb sind gerade statische Organisationen besonders schwer zu verändern: Was viele als Beharrungsvermögen bezeichnen, ist in Wirklichkeit nichts als die blanke Angst, den künftigen Anforderungen nicht gewachsen zu sein, und die daraus resultierenden geballten Widerstände.
Wie viel muss sich im Denken und Handeln der Mitarbeiter verändern?
Struktur oder Kultur?
Die zweite kritische Frage ist die nach Art und Inhalt der Veränderung. Veränderungen in der Struktur kann man “machen”, wenn man die nötige Macht besitzt – Veränderungen in der Kultur hingegen, also in der Art und Weise, wie die Mitarbeiter miteinander und/oder mit externen Partnern umgehen, lassen sich nicht vorgeben, sondern nur über einen gut gestalteten Prozess herbei-führen.
Die normative Kraft des Faktischen
Strukturelle Veränderungen kommen in der Regel verblüffend rasch zum Leben, weil sie von der normativen Kraft des Faktischen unterstützt werden: Wenn Sie eine Abteilung auflösen oder eine Führungsebene herausnehmen, dann mag dies große Aufregung und heftige Proteste auslösen, aber die neue Struktur wird, wenn sie erst einmal in Kraft ist, in aller Regel relativ rasch zu arbeiten beginnen. Die Notwendigkeiten des Tagesgeschäfts lassen einfach keine andere Wahl. Ähnlich ist es, wenn Sie Unterstellungsverhältnisse ändern: Den betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften bleibt kaum etwas anderes übrig als sich zusammenzuraufen.
Kulturänderung – eine missionarische Aufgabe
Ganz anders verhält es sich, wenn Sie die Kultur, d.h. die Gewohnheiten Ihres Unternehmens verändern wollen – zum Beispiel den Grad der Kundenorientierung, die Innovationskraft, Flexibilität, das unternehmerische Denken oder was auch immer. Hier haben Sie eine echte missionarische Herausforderung vor sich, denn aus der Tatsache, dass Sie erhebliche Veränderungen für erforderlich halten, folgt für Ihre Mitarbeiter kein Handlungsbedarf. Im Gegenteil: Jeder einzelne Ihrer Mitarbeiter ist von der Richtigkeit seines Denkens und Handelns genauso fest überzeugt wie Sie von dem Ihren. Und ist höchstens beleidigt, dass sie an seiner Einstellung etwas auszusetzen haben.
Keine Eigendynamik
Hier kommt Ihnen keine Eigendynamik zu Hilfe – ganz im Gegenteil. Auch mit “Motivationsmaßnahmen” ist hier wenig zu wollen – das haben zum Beispiel die Unternehmen erfahren, die versucht haben, die Innovationsfreude ihrer Mitarbeiter durch eine Vervielfachung der Prämien für das “betrübliche Vorschlagswesen” zu steigern. Nach einem kurzen Strohfeuer (das im wesentlichen daraus resultiert, dass einige Schlaumeier ihre Schubladenvorlagen zu Geld machen) fällt das Ganze üblicherweise in sich zusammen. Die Hoffnung, die Kultur durch eine Vision, ein Leitbild, Führungsgrundsätze oder ähnliches in Bewegung zu bringen, geht meist ebenfalls ins Leere. Die Schnelligkeit, mit der solche Leitsätze erarbeitet, verabschiedet und verkündet sind, wird nur noch von deren Folgenlosigkeit übertroffen. “Gelesen, gelacht, gelocht”, wie es Michael Löhner sarkastisch, aber treffend beschrieben hat.
Wirksamer Prozess erforderlich
Bei der Kulturveränderung haben Sie genau das umgekehrte Problem wie bei Umstrukturierungen, bei denen geradezu ein Sog nach Informationen herrscht: Diesmal sind Sie es, der etwas von den Mitarbeitern will, und nur wenn Ihnen ein Weg einfällt, ihre Köpfe und Herzen zu erreichen, werden Sie eine Veränderung bewirken. Das heißt, wann immer es darum geht, die Einstellungen und das Verhalten von Mitarbeitern nachhaltig zu beeinflussen, kommt es ganz besonders auf eine wirksame Veränderungsstrategie an.
Diagnose, Teil 1: Bestimmung des Veränderungsbedarfs
Diagnose, Teil 2: Vorerfahrungen / Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit
Diagnose, Teil 3: Typologie von Veränderungsprozessen
Kostenfreies Erstgespräch
Vereinbaren Sie hier ein kostenfreies Erstgespräch!
Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.