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Schlüsselrolle der Führung
Lähmende Existenzangst
Genau das Gegenteil passiert, wenn es einem angeschlagenen Unternehmen an Führung mangelt: Dann macht sich eine Mischung aus Lähmung, Zerfall und – Routine breit. Die Lähmung ist Folge von Angst; Zerfall entsteht daraus, dass viele Mitarbeiter (verständlicherweise) nur noch darüber nachdenken, wie sie ihre eigene Haut retten können; Routine greift Raum, weil viele den Kopf in den Sand stecken und sich der verzweifelten Hoffnung hingeben, dass, wenn sie nur alles so weitermachen wie bisher, auch alles so bleibt wie bisher. Der Zerfall äußert sich oft auch darin, dass notwendige Initiativen zum Beispiel zur Modernisierung oder zur Entwicklung neuer Produkte ausblieben, aber auch darin, dass Mitarbeiter und Führungskräfte abwandern, die eine Beschäftigungsalternative finden bzw. angeboten bekommen. Was in der Regel nicht die schlechtesten sind – und was wiederum die Perspektivlosigkeit bei den “Hinterbliebenen” verstärkt.
Außenwirkung – und ihr Echo
Die allgemeine Depressivität wird auch von Kunden und Lieferanten deutlich empfunden: “Als ob sie nur noch verängstigt und wehrlos auf das Aus warten würden.” Die Zusammenarbeit leidet, weil die Mitarbeiter hauptsächlich mit internen Dingen beschäftigt sind; normale Geschäftsbeziehungen, die von einem gesunden Optimismus getragen sind, sind kaum noch möglich. Was allmählich dazu führt, dass Kunden und Lieferanten den Kontakt vermeiden – und damit einen weiteren Betrag zur Demoralisierung leisten.
Die Mitarbeiter wissen oder ahnen das Schlimmste – und wollen die Wahrheit wissen
Düstere Vorahnungen
Wenn ein Unternehmen in einer bedrohlichen Situation ist, kann und muss man davon ausgehen, dass die Mitarbeiter dies wissen oder zumindest ahnen. Denn die Leute sind ja nicht blöd. Selbst wenn keine Zahlen bekannt sind, merken die Mitarbeiter am Verhalten des Managements wie auch an den Reaktionen der Außenwelt, dass die Situation kritisch ist. Selbst wenn keiner den Gesamtüberblick hat, sind viele Mosaiksteinchen bekannt und lassen sich grob zusammenfügen: Der Vertriebs-Innendienst kennt den Auftragseingang, das Controlling die Ertragslage, die Buchhaltung weiß, dass Rechnungen immer später bezahlt werden, der Einkauf spürt den Fuß des Managements auf der Bremse …
Gerüchte
Selbst wenn niemand etwas ausplaudert, sieht man doch vielerorts sorgenvolle Mienen, hört Andeutungen und vernimmt ausweichende Antworten. Kurz, der Eindruck verdichtet sich, dass die Lage nicht rosig ist und dass etwas geschehen muss. Die Mitarbeiter sind darauf gefasst, dass Einschneidendes passieren wird, und pendeln zwischen der Hoffnung, dass endlich etwas geschieht, und der Befürchtung, dass es geschehen wird. Die Leute beginnen zu spekulieren, wie es weitergehen wird, und früher oder später verwandeln sich die Spekulationen in vermeintliche Tatsachen. Wilde Gerüchte jagen durch das Haus, angeheizt durch das übliche fatale Wechselspiel zwischen Angsthasen und Kassandras: Die einen machen sich damit wichtig, dass sie dunkle Andeutungen fallen lassen, die anderen fahren auf jede Horrormeldung ab.
Brennendes Orientierungsbedürfnis
In dieser Situation haben die Mitarbeiter bald nur noch einen Wunsch, nämlich den, klar und ungeschminkt die Wahrheit zu erfahren. Doch genau davor schreckt das Management oftmals zurück, aus Sorge, die Mitarbeiter damit noch zusätzlich zu verunsichern. Was zu diesem Zeitpunkt indes kaum noch möglich ist: Die Sorge, schlafende Hunde zu wecken, ist einfach deshalb gegenstandslos, weil die Hunde längst wach sind. Wenn das Management trotzdem weiter schweigt und zu beschwichtigen versucht, bewirkt es damit das genaue Gegenteil: Die Spekulationen schießen noch mehr ins Kraut, kleinste Anzeichen werden gedeutet und überdeutet, und die Produktivität nähert sich dem Nullpunkt. Falls Sie je als Top-Manager in eine solche Situation kommen sollten: Machen Sie sich keine Illusionen – die Mitarbeiter wissen mehr als Sie hoffen.
Der Mut zur Wahrheit ist der erste Schritt zur Rettung
Die Wahrheit erfahren
Nach einiger Zeit sind die Mitarbeiter mit den Nerven am Ende. “Lieber ein Ende mit Schrecken …”, heißt es dann regelmäßig. Was ernstgemeint und ernstzunehmen ist. Selbst die Mitteilung äußerst schlechter Nachrichten wie eines erheblichen Personalabbaus und sogar von Standortschließungen führt nicht zum Zusammenbruch, sondern eher zu einer Form von Erleichterung – nicht aus Freude, sondern weil, wie eine Betroffene einmal sagte, “das furchtbare Warten nun endlich ein Ende hat.” Hoffnung und vorsichtige Zuversicht entsteht indes nur, wenn hinter den Kostensenkungsmaßnahmen eine schlüssige Perspektive für eine dauerhafte Sanierung erkennbar ist.
“Wahrheit auf Raten”
Nur eines ist noch schlimmer als Ungewissheit, nämlich “die Wahrheit auf Raten”. Dazu kommt es entweder, weil das Management die volle Wahrheit selbst noch nicht kennt, oder weil es Angst hat, den Mitarbeitern reinen Wein einzuschenken, und ihnen die bittere Wahrheit deshalb “in homöopathischen Dosen” beibringen will.
Die Folgen: Misstrauen und Hass
Die Folgen sind verheerend: Wenn die Mitarbeiter einige Male erlebt haben, dass einer schlechten Nachricht einige Tage oder Wochen später eine noch schlechtere Nachricht folgt, dann passiert zweierlei, was in der Kombination tödlich ist: Erstens verlieren die Mitarbeiter jedes Vertrauen in die Geschäftsleitung und sind damit auch nicht mehr für konstruktive Schritte zu motivieren. Zweitens entwickeln sie blanken Hass gegen den- oder diejenigen, die sie auf diese Weise quälen. Wann immer es im Zuge von Restrukturierungen zu absichtsvoll destruktivem Verhalten bis hin zu bewusster Sabotage kommt, darf man annehmen, dass eine Vorgeschichte dieser Art vorliegt.
Wahrheit schafft Glaubwürdigkeit
Von vornherein die volle Wahrheit zu sagen, ist nicht nur menschlicher – es ist auch unabdingbare Voraussetzung für einen Neuanfang. Denn nur, wenn die Zeit der Katastrophenmeldungen endgültig vorbei ist, ist es möglich, die Energien auf den Neuaufbau zu lenken. Außerdem: Nur wer den Mut hat, die unangenehme Wahrheit auszusprechen, erwirbt sich die persönliche Glaubwürdigkeit, das Unternehmen durch schwere Zeiten zu führen.
Kostensenkungsprogramme zur Steigerung der Profitabilität
Kosten-senkungs-programme
Für Kostensenkungsprogramme, die nicht zur Rettung der nackten Existenz, sondern zur Steigerung der Profitabilität durchgeführt werden, gelten etwas andere Regeln. Zwar kann und wird man auch hier argumentieren, dass eine attraktive Eigenkapital-Verzinsung erforderlich ist, um auf dem Kapitalmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Und das man kann Mitarbeitern auch vermitteln. Und dieser Punkt ist auch berechtigt und legitim, auch wenn der von Mitarbeitern und Betriebsräten nicht gerne gehört wird. Denn in einem Unternehmen steckt ja Kapital, und unternehmerisch ist es nur dann sinnvoll, dieses Kapital im Unternehmen – und damit im unternehmerischen Risiko – zu lassen, wenn es eine bessere Verzinsung bringt als eine risikofreie Geldanlage.
Klassischer Interessenkonflikt
Was hingegen nicht zu vermitteln und deshalb auch kaum im Konsens umzusetzen ist, ist, dass Mitarbeiter entlassen werden, um rasche Verbesserungen des Shareholder Value zu erzielen. Man kann (und muss) sehr wohl kontinuierlich an der Produktivitätssteigerung arbeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und dabei Personal sozialverträglich abbauen, wenn es nicht in neuen Geschäftsfeldern sinnvoll eingesetzt werden kann. Wer aber in dem klassischen Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit allzu einseitig die Interessen der Mitarbeiter zur Disposition stellt, polarisiert das Unternehmen und riskiert damit, mittelfristig auch den Interessen der Eigentümer zu schaden.
Innere Aufrüstung
Denn natürlich haben Mitarbeiter und Betriebsräte wenig Neigung, aktiv an ihrem eigenen Abbau mitzuwirken. Wer einmal erlebt hat, wie sich die Abwehrstrategien rationalisierungserfahrener Belegschaften gegen McKinsey-Projekte organisieren, dem wird klar, dass diese wechselseitige Aufrüstung von “Verschleierungstaktiken” und “Überführungsmethoden” eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Dauer beeinträchtigt. Wenn man aber einmal eine Situation geschaffen hat, in der Management und Berater gegen die Belegschaft kämpfen, dann ist es unter der gleichen Führung kaum noch möglich, zu einer partnerschaftlichen innerbetrieblichen Zusammenarbeit zurückzukehren.
Faire Abwägung der Interessen
Change-Management-Konzepte zu den Themen Kostensenkung, Rationalisierung und Produktivitätssteigerung müssen mit den Interessen der Mitarbeiter in fairer Weise umgehen. Das heißt, dass sie nicht auf Entlassungen, sondern z.B. auf Erhöhung der Pro-Kopf-Wertschöpfung zielen sollten. Oder dass, wenn das nicht möglich ist, der Personalabbau zumindest sozialverträglich über die Zeit umgesetzt wird. Damit sind sie eher im Bereich Reengineering angesiedelt.
Win-Win-Strategie anstreben
Vom Grundsatz her gilt: Wer möchte, dass die Mitarbeiter mit dem Management an einem Strang ziehen, muss seinen Teil dazu beitragen. Das erfordert, dass er mit den Interessen der Mitarbeiter fair umgeht und sich nicht in eine Gegnerposition zur Belegschaft bringt. Das mögen manche Sozialromantik nennen – bei genauerer Betrachtung ist es eine innerbetriebliche “Win-Win-Strategie”.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.