Inhaltsverzeichnis:
- 1 Einflussfaktor Messsysteme
- 2 Was wird mit Nachdruck und Konsequenz nachgehalten?
- 3 Mitarbeiter und Führungskräfte verhalten sich furchterregend sinnvoll
- 4 “What Gets Measured Gets Done” – gnadenlos
- 5 Wenn Mitarbeiter gegen ihre Überzeugung handeln (zu müssen glauben)
- 6 Nebenwirkungen sind unvermeidlich
- 7 Schnelle Kulturveränderung
- 8 Sich den Zielkonflikten stellen
- 9 Controlling steuert Verhalten
- 10
- 11 Kostenfreies Erstgespräch
Einflussfaktor Messsysteme
Kultur meint letztlich Verhalten
Unternehmenskultur haben wir definiert als das typische Verhalten eines Unternehmens nach innen und außen, genauer als die Menge aller Einstellungen und Verhaltensweisen, in denen sich Ihre Firma von anderen Unternehmen unterscheidet: Was ist für Kunden und Lieferanten, aber auch für die Mitarbeiter aller Ebenen das Besondere an Ihrem Unternehmen? Letztlich zählt dabei in erster Linie das Verhalten – die Einstellungen sind nur insoweit relevant, wie sie das Verhalten beeinflussen: Für gute Absichten, die sich nicht in Handeln niederschlagen, können sich weder die Kunden etwas kaufen noch die Lieferanten noch die Internen.
Was wird mit Nachdruck und Konsequenz nachgehalten?
Nachhalten wirkt stärker als Appelle
Wie sich Mitarbeiter und Führungskräfte verhalten, ist wiederum maßgeblich davon bestimmt, was in Ihrem Unternehmen mit wie viel Nachdruck und Konsequenz nachgehalten wird. Wenn sie zum Beispiel vor der internen Revision mehr Respekt haben als vor den Kunden, weil Beanstandungen der Revision zum Karrierestopper werden können, während Reklamationen von Kunden als unvermeidliches Begleitgeräusch des Tagesgeschäfts gelten, dann irritiert es auch kaum jemanden, wenn in Leitbildern und Sonntagsreden eindringlich zu mehr Kundenorientierung aufgerufen wird: Die wenigsten Mitarbeiter und Führungskräfte lassen sich durch solche Ablenkungsmanöver in ihren Gewohnheiten stören.
Einflüsse des Controllings besser verstehen
Das heißt im Umkehrschluss auch: Wenn Sie nicht verstehen, weshalb Ihre Mitarbeiter und Führungskräfte trotz all Ihrer Reden, Appelle und Drohungen unbeirrt an ihrem bisherigen Verhalten festhalten, dann verzweifeln Sie nicht, zürnen Sie nicht und flüchten sich nicht in Pseudoerklärungen wie Massenträgheit, Beharrungsvermögen und Komfortzone, sondern schauen Sie, was in Ihrem Unternehmen gemessen und nachgehalten wird!
Führungskräfte verstärken Einfluss der Messsysteme
Möglicherweise hält dann das Controlling in Ihrem Auftrag Dinge nach, die das von Ihnen schon vielfach beanstandete Verhalten der Mitarbeiter zumindest subjektiv äußerst sinnvoll machen. Und Ihre Führungskräfte, denen das Controlling ebenfalls im Nacken sitzt, halten die Mitarbeiter zusätzlich dazu an.
Kein offener Widerspruch
Aber warum sagt Ihnen das niemand? Vielleicht wurde es sogar versucht, aber Sie haben die vorsichtigen Hinweise nicht gehört oder nicht richtig eingeordnet. Vielleicht wollte Ihnen auch niemand widersprechen – schließlich ist es ja nicht falsch, wenn die Geschäftsleitung mehr Kundenorientierung fordert, und man will als Mitarbeiter oder Führungskraft nicht uneinsichtig wirken und erst recht nicht als vorgestrig kritisiert werden. Einige Übereifrige werden sich Ihren Forderungen sogar vehement anschließen und sich mit markigen Worten für mehr Kundenorientierung oder was auch immer stark machen. Aber so unvorsichtig, trotz gegenläufiger Messsysteme entsprechend zu handeln, werden nur die Naivsten sein – alle anderen werden sich daran erinnern, dass hinter der nächsten Ecke das Controlling steht.
Mitarbeiter und Führungskräfte verhalten sich furchterregend sinnvoll
Die gar nicht so heimlichen Spielregeln herausfinden
Um das Verhalten der Mitarbeiter und Führungskräfte in einem Unternehmen und damit dessen Unternehmenskultur zu verstehen, muss man kein Psychologe sein und erst recht keine Spekulationen über “tiefverwurzelte Werte und Überzeugungen” anstellen. Man muss nur die Antwort auf drei zentrale Fragen herausfinden:
- Was muss man in diesem Unternehmen tun, wie muss man denken, auftreten und handeln, um dazuzugehören?
- Was darf man in dieser Kultur auf keinen Fall sagen oder tun – was führt zu Sanktionen, Ausgrenzung oder gar zum Ausschluss? Oder etwas milder: Was sollte man besser nicht sagen oder tun, um keinen Ärger zu bekommen?
- Wodurch kann man sich in dieser Organisation hervortun, um Ansehen zu erwerben, Karriere zu machen und möglicherweise zu einem der internen “Helden” zu werden?
Starker systematischer Einflussfaktor
Die jeweils vorhandenen Mess- und Controllingsysteme haben Einfluss auf alle drei dieser Faktoren, besonders aber auf den zweiten. Zwar sind nicht der einzige Einflussfaktor – beispielsweise spielen auch die Vorlieben des direkten Vorgesetzten eine wichtige Rolle –, aber sie sind wohl der stärkste systematische Einfluss, einfach weil sie einheitlich über das ganze Unternehmen oder zumindest über einzelne Bereiche hinweg wirken. Bei den Vorgesetzten ist die Streubreite größer, da sie auf ganz unterschiedliche Dinge wert legen bzw. allergisch reagieren. Außerdem stehen ja auch die Vorgesetzten unter dem Einfluss des vorhandenen Messsystems. Sie geben dessen Druck weiter und verstärken ihn häufig noch.
Die vom System gesetzten Anreize verstehen
Mess- und Controllingsysteme haben den Vorteil, dass sie leicht zu verstehen sind. Man muss dazu eigentlich nur zwei Dinge herausfinden, nämlich erstens: Welche der erfassten Zahlen, Daten und Fakten werden wirklich ernst genommen, weil sie von den Vorgesetzten nachgehalten werden? Und zweitens: Welches Verhalten ist für die von dem jeweiligen Messsystem erfassten Mitarbeiter und Führungskräfte sinnvoll, um keinen Ärger zu bekommen und vielleicht sogar Anerkennung zu ernten? Dabei ist die Reihenfolge zu beachten: Keinen Ärger zu bekommen, ist den meisten Menschen wichtiger, als sich Meriten zu erwerben.
Die Leute handeln völlig logisch
Wenn man versteht, welches Verhalten die Mess- und Controllingsysteme belohnen bzw. bestrafen, fällt es einem nicht selten wie Schuppen von den Augen: Bisher unverständliches Verhalten wird plötzlich verständlich, ja geradezu völlig logisch. Und man erkennt: Die Leute verhalten sich weder irrational noch halsstarrig, das Problem ist auch nicht die Massenträgheit oder ihr Verharren in der Komfortzone, vielmehr verhalten sich die Leute schlicht so, dass sie angesichts des vorherrschenden Messsystems möglichst keinen Ärger bekommen und, wenn es geht, Pluspunkte sammeln.
Beispiel Vertrieb
Wenn die Mitarbeiter einer Vertriebsorganisation beispielsweise daran gemessen oder gar danach “gerankt” werden, wie viel sie verkaufen, dann richten sie ihr praktisches Handeln danach aus. Und je mehr sie sich unter Druck fühlen, bessere Ergebnisse vorzuweisen, desto mehr werden sie jeden Auftrag mitnehmen, gleich wie viel Rabatt sie dafür einräumen müssen und welche gewagten Versprechungen sie dem Kunden dafür machen müssen. Da hilft es auch nichts, an die Mitarbeiter zu appellieren, keine überzogenen Rabatte zu geben und keine unrealistischen Zusagen zu machen: Spätestens wenn sie unter Druck kommen, werden die Leute tun, woran sie gemessen werden.
Rationalität und Irrationalität
Und das Schöne daran ist: Dieses Verhalten ist völlig logisch und vorhersagbar. Irrational ist dabei allenfalls, die Leute an den Verkaufszahlen zu messen und trotzdem zu hoffen, dass sie sich bei Rabatten und anderen Zusagen zurückhalten werden.
“What Gets Measured Gets Done” – gnadenlos
Noch wirksamer als finanzielle Anreize
Anreizsysteme können diesen Effekt noch verstärken, aber auch ohne sie üben Mess- und Controllingsysteme, wenn sie konsequent nachgehalten werden, einen massiven Anpassungsdruck auf ihre Adressaten aus. Denn wie gesagt: Keinen Ärger mit ihren Vorgesetzten bzw. ihrem Arbeitgeber zu bekommen, ist den meisten Menschen noch wichtiger als durch zusätzlichen Einsatz ihr Einkommen zu steigern. Und vor allem: Mess- und Controllingsysteme wirken auch bei Menschen, die auf finanzielle Anreize nicht oder nur schwach ansprechen.
Wenn Unsinn gemessen wird, wird Unsinn getan
Es ist also durchaus einiges dran an dem vielzitierten Satz: “What gets measured gets done.” Was in der Konsequenz auch heißt: Wenn Unsinn gemessen wird, wird auch Unsinn getan. Oder etwas weniger plakativ: Wenn eindimensional Dinge gemessen werden, deren eindimensionale Realisierung nicht wirklich im Interesse des Unternehmens liegt, werden sie auch eindimensional umgesetzt, und zwar ziemlich ohne Rücksicht auf Verluste. Jedenfalls so lange, wien keine andere gemessene Kennzahl ein angemessenes Gegengewicht setzt.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Das gilt keineswegs nur im Vertrieb. Wenn Sie eine Fertigung nur an am Ausstoß messen, also an Stückzahlen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn sie Stückzahlen bekommen und sich die Reklamationen wegen Qualitätsmängeln häufen. Und es wäre auch nicht verwunderlich, wenn sich die dortigen Mitarbeiter über einen ruppigen Führungsstil beklagen, der auf ihre Bedürfnisse und Interessen keinerlei Rücksicht nimmt. Jedenfalls dann nicht, wenn sie der Erreichung der gemessenen Ziele im Weg stehen.
Konflikte mit guten Absichten der Mitarbeiter
Das soll ausdrücklich nicht heißen, dass den verantwortlichen Mitarbeitern und Führungskräften plötzlich alles andere egal wäre, sobald irgendwelche Kenngrößen erfasst und systematisch nachgehalten werden. Zwar sind die Ansprüche an die Qualität der eigenen Arbeit durchaus unterschiedlich, aber die meisten Mitarbeiter möchten sehr wohl gute Qualität erzeugen, und die meisten Führungskräfte wollen gern anständig mit ihren Mitarbeitern umgehen.
Wenn Mitarbeiter gegen ihre Überzeugung handeln (zu müssen glauben)
Controlling verdrängt bessere Einsicht
Jedenfalls – und das ist der springende Punkt – solange es ihnen gelingt, beides unter einen Hut zu bringen: das Erreichen ihrer gemessenen Ziele und die Erfüllung der Ansprüche, die sie selbst an ihre Arbeit stellen. Die Frage ist nur, wie sie sich verhalten, wenn ihnen das nicht gelingt und sie zunehmend das Gefühl haben, dass sie ihre Ziele nur erreichen können, wenn sie ihre sonstigen Ansprüche an ihre Arbeit senken oder aufgeben. Die Empirie sagt, dass dann die meisten Menschen, Mitarbeiter wie Führungskräfte, ihre Ansprüche senken – spätestens dann, wenn sie zum ersten Mal wegen verfehlter Ziele richtig Ärger bekommen haben.
Inneres Unbehagen ändert nichts am Ergebnis
Oft tun sie das übrigens das mit schlechtem Gewissen und mit großem innerem Unbehagen – nur ändert das nichts am Ergebnis. Für den Kunden macht es keinen Unterschied, ob ihm der Verkäufer unrealistische Zusagen gemacht hat, weil er ein krummer Hund ist oder weil er so unter Druck stand, dass er keinen anderen Ausweg wusste. Und auch die von ruppiger Führung betroffenen Mitarbeiter wird es wenig trösten, wenn sie verstehen, dass ihr Chef sich nicht aus Menschenverachtung so benimmt, sondern aus eigener Not. Unter Umständen macht das alles sogar noch schlimmer.
Leiden unter der Fehlsteuerung
An den handelnden Personen geht es nicht spurlos vorbei, wenn sie sich von den Mess- und Controllingsystemen dazu genötigt sehen, Dinge zu tun, die sie selbst für falsch, schädlich oder sogar unanständig handeln. Wenn die Mitarbeiter und Führungskräfte in der Fertigung sich durch das bestehende Messsystem dazu gewungen fühlen, Menge statt Qualität zu produzieren, dann ist ihnen – jedenfalls den meisten von ihnen – nicht egal, sondern sie leiden darunter. Denn natürlich wissen oder ahnen sie, dass es für das Unternehmen auf die Dauer nicht gut sein kann, mängelbehaftete Ware in die Welt zu liefern.
Achselzuckende Wurstigkeit und Zynismus
Dieser Widerspruch zwischen dem, was man für richtig hält, und dem, was man sich durch das Messsystem zu tun genötigt sieht, muss irgendwie verarbeitet werden. Viele Betroffene entwickeln hier eine achselzuckende Wurstigkeit: “Persönlich halte ich das zwar für Schwachsinn, aber wenn ihr darauf besteht, dann mache ich es eben!” Dies bewirkt fast zwangsläufig eine Entfremdung von der eigenen Arbeit und einen Identifikationsverlust, der sich mit Zynismus mischen kann. Solche Erfahrungen dürften eine erhebliche Rolle spielen, wenn sich laut mancher Studien zahlreiche Mitarbeiter nicht mit ihrer Arbeit identifizieren.
Dilemma bewirkt Negativauswahl
Je härter der Kontrast ist zwischen dem, was Menschen für richtig halten, und dem, was sie sich zu tun gezwingen sehen, desto mehr belastet es sie auch persönlich. Ein Bankenvertrieb zum Beispiel stand so unter Druck, dass die Mitarbeiter in vertraulicher Runde unumwunden zugaben, ihren Kunden auch Finanzprodukte zu verkaufen, die sie ungeeignet oder sogar schädlich hielten. Viele hatten deswegen ein schlechtes Gewissen und sagten offen, sie hätten zuweilen Schwierigkeiten, morgens in den Spiegel zu sehen. Auf die Dauer kann man damit wohl nur auf zwei Arten umgehen: Entweder man folgt seinem Gewissen und sucht sich einen anderen Job – oder man gleicht sein Gewissen dem eigenen Handeln an. Was so viel heißt wie: Auf die Dauer züchtet man so eine Mannschaft mit wenig Skrupeln.
Nebenwirkungen sind unvermeidlich
Unbeabsichtigte und ungewollte Effekte
Für die Wirkungen eines Mess- oder Controllingsystems ist unerheblich, ob man dessen Einflüsse voll durchschaut – und erst recht ist unerheblich, ob man sie beabsichtigt hat. Manche Fehlsteuerungen sind sich in der Tat ungewollte und zum Teil völlig unerwünschte Nebeneffekte eines Steuerungssystems, das eigentlich ganz andere und durchaus vernünftige Ziele verfolgte. An sich ist es ja nicht unlogisch, Verkäufer daran zu messen, wie viel sie verkaufen, schließlich ist das ja genau der Grund, weshalb man sie eingestellt hat. Das einzige Problem ist, dass diese an sich sinnvolle Messgröße schwerwiegende Nebenwirkungen hat, die einem nicht sofort ins Auge springen.
Messen heißt Hervorheben
Dabei darf man sich nicht von dem konkreten Beispiel täuschen lassen: Im Nachhinein ist es meistens offensichtlich, welche Fehlsteuerungen die verwendeten Messgrößen haben, und das Vertriebsbeispiel ist bekannt genug, um seine unerwünschten Effekte vermeintlich “auf den ersten Blick” zu erkennen. Aber jedes Mess- und Controllingsystem hat Risiken und Nebenwirkungen – und zwar einfach deshalb, weil die Elemente, die erfasst und nachgehalten werden, an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewinnen, während die, die nicht gemessen werden, aus dem Blickfeld verschwinden und so, wenn es hart auf hart geht, zur Spielmasse werden. Da man aber nicht alles, was relevant ist, messen und nachhalten kann, treten durch jedes Messsystem unvermeidlich manche Dinge in den Vordergrund und andere in den Hintergrund.
Nebenwirkungen kennen und berücksichtigen
Solche ungewollten Nebenwirkungen sind kein Grund, auf Mess- und Controllingsysteme zu verzichten – genau wie bei Medikamenten ihre Risiken und Nebenwirkungen kein Grund sind, im Bedarfsfall auf ihren Einsatz zu verzichten. Man sollte sie aber kennen bzw. so gut wie möglich erforschen, um von ihnen nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Und man wird, genau wie vor dem Einsatz von Medikamenten, abwägen zwischen dem Nutzen, den eine Messgröße zu liefern verspricht, und den zu erwartenden unerwünschten Nebenwirkungen.
Messgrößen durch weitere Ziele ausbalancieren
Unter Umständen muss man die zu erwartenden Nebenwirkungen auch mit zusätzlichen Medikamenten bzw. Messgrößen abfangen. Wenn man etwa weiß, dass ein rein quantitatives Verkaufs- oder Produktionsziel dazu verleitet, unter Druck alle anderen Ziele schleifen zu lassen, dann ergibt es sehr viel Sinn, diesem Mengenziel weitere Ziele an die Seite zu stellen, die ihm sozusagen als Gegengewichte dienen und es ausbalancieren. Im Vertrieb könnte das zum Beispiel ein Ertragsziel sein, in der Produktion ein Qualitätsziel.
Das Problem setzt sich fort
Aber auch solch ein Gegengewicht ist nicht die perfekte Lösung: Mit hoher Wahrscheinlichkeit schafft auch die Kombination wieder Anreize, die unerwünschte Nebeneffekte haben. Deshalb ist es unter Umständen notwendig, wie beim Auswuchten eines Reifens weitere Korrekturgewichte einzusetzen. Theoretisch könnte das in einen unendlichen Rekurs münden, für praktische Zwecke sollte man spätestens nach der dritten Messgröße aufhören, weil die Komplexität sonst zu groß wird und die Messgrößen dadurch ihre Steuerungswirkung verlieren. Damit sie effektiv sind, müssen Ziele und Messgrößen verständlich und übersichtlich bleiben. Die Feinsteuerung muss durch Führung und Selbststeuerung erfolgen.
Schnelle Kulturveränderung
Fast sofortige Wirkung
Das Bemerkenswerte an Mess- und Controllingsystemen ist, dass Veränderungen an den Zielen und Messgrößen fast auf der Stelle zu einem veränderten Verhalten führen. Von wegen “Kulturveränderung dauert drei bis fünf Jahre”: Drei bis fünf Wochen sind in diesem Falle eine durchaus realistische Erwartung.
Kleiner Wendekreis
Je nach den beteiligten Personen und der Vorgeschichte mag es ein paar Tage dauern, bis die Adressaten voll verstanden und durchdrungen haben, wie sie ihr Verhalten ändern müssen, um den neuen Zielen optimal gerecht zu werden. Und es mag einige weitere Tage oder Wochen brauchen, bis sie von der Ernsthaftigkeit und Gültigkeit der neuen Ziele überzeugt sind. Aber sobald sie begriffen haben, was konkret von ihnen erwartet wird und dass diese Forderungen tatsächlich ernst gemeint sind, passen sie ihr Verhalten an die neue Ausrichtung an.
Misstrauen aufgrund schlechter Erfahrungen
Der “Wendekreis” wird umso größer sein, je mehr schlechte Erfahrungen die nachgeordneten Ebenen damit haben, dass das Management zuweilen das eine predigt und das andere real einfordert. Wenn sie beispielsweise auch in der Vergangenheit schon des Öfteren Forderungen nach höherer Qualität oder der Durchsetzung besserer Preise gehört haben, aber jedesmal heftige Prügel bekamen, wenn sie sich um diese Ziele bemühten, deswegen aber die vorgegebenen Mengenziele verfehlten. In solchen Fällen kann es dann eine Weile dauern, bis sie der neuen Ansage wirklich trauen, und ihr praktisches Handeln – vorsichtig, man weiß ja nie – neu ausrichten.
Beharrlich und konsequent nachhalten
Aber spätestens wenn die ersten Gespräche geführt wurden und die neuen Messgrößen dabei eine zentrale Rolle gespielt haben, begreifen die Adressaten (oder beginnen zumindest zu ahnen), dass die neue Ansage tatsächlich ernst gemeint sein könnte. Dann ist es nur noch ein Stück Beharrlichkeit und Konsequenz erforderlich, um ihnen deutlich zu machen, dass dies nicht nur eine momentane Laune des Managements ist, sondern tatsächlich die neue Spielregel: Sobald die Leute das erkannt und akzeptiert haben (und keine Angst vor einem Rückschlag des Pendels mehr haben), stellen sie ihr Verhalten um.
Sich den Zielkonflikten stellen
Zielkonflikte offen und intensiv besprechen
In Situationen, in denen die neuen Ziele sowie das neue Mess- und Controllingsystem deutlich von den bisherigen Spielregeln abweichen, kann man die Verhaltensänderung erheblich beschleunigen, wenn man nicht nur die Kurskorrektur erklärt, sondern auch intensiv mit den Adressaten bespricht, wie künftig mit Zielkonflikten umgegangen werden soll: Soll und darf ich als Außendienst-Mitarbeiter auf einen Auftrag verzichten, wenn ich ihn nur mit erheblichen Rabatten bekommen könnte? Und was ist, wenn ich dann mein Absatzziel nicht schaffe? Soll und darf ich, wenn ich ein sich abzeichnendes Qualitätsproblem erkenne, tatsächlich die Maschine stoppen, auch wenn das Stückzahlen kosten wird?
Nicht vor dem Dilemma drücken
Sich vor der Auseinandersetzung mit diesen Zielkonflikten zu drücken, ist kontraproduktiv. Und es nützt auch nichts, das Problem mit markigen Sprüchen für ungültig erklären oder es hinter rhetorischen Leerformeln (“Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen”) zu verstecken: Das lässt die Mitarbeiter nur mit dem Dilemma allein und verunsichert sie zusätzlich, mit der Folge, dass sie, um kein Risiko einzugehen, mit hoher Wahrscheinlichkeit erst einmal gar nichts ändern, sondern so weitermachen wie bisher.
Mitarbeiter brauchen klare Orientierung
Denn das Dilemma ist ja real: Wenn ich als Außendienstler beim Kunden sitze und befürchten muss, den Auftrag nicht zu bekommen, wenn ich nicht noch ein paar Prozent nachgebe, brauche ich eine klare Orientierung, was der Firma bzw. meinem Chef lieber ist: Soll ich noch ein paar Prozent nachgeben und dafür den Auftrag nach Hause bringen oder soll ich hart bleiben und möglicherweise mit leeren Händen zurückkehren? Klar wäre es das Beste, wenn mir beides gelänge und ich den Auftrag zu einem guten Preis gewönne: Das weiß ich selbst und brauche niemanden, der mir es mit unterschwelliger Herablassung erklärt. Nur hilft mir dieses Wissen nicht bei der Beantwortung der Frage, was ich tun soll, wenn ich der Überzeugung bin, dass ich beides zugleich nicht haben kann.
Mut machen, die preislichen Möglichkeiten auszuschöpfen
Da hilft es auch nicht, darauf zu verweisen, dass die meisten Außendienst-Mitarbeiter ihre Möglichkeit, bessere Preise zu erzielen, gar nicht ausschöpfen und viel zu leicht nachgeben. Erstens ist das eine unbewiesene Behauptung, die man nur deshalb ungestraft in Raum stellen kann, weil man die höhere Hierarchieposition innehat. Und zweitens lässt sich die Behauptung nur verifizieren, indem an in einer ausreichend großen Zahl von Fällen die Probe aufs Exempel macht und in der Preisverhandlung hart bleibt. Das aber werden die meisten Außendienst-Mitarbeiter nur riskieren, wenn sie nicht fürchten müssen, hinterher Ärger zu bekommen. (Auch für das Top-Management dürfte es ratsam sein, bei diesem Experiment nicht alles auf eine Karte zu setzen. Denn was, wenn sich die eigene Theorie als falsch erweist und der Absatz einbricht?)
Controlling steuert Verhalten
Ist das überhaupt eine Kulturveränderung?
Aber kann man solche Verhaltensänderungen, die letztlich nur durch die Mess- und Controllingsysteme – und, notabene, durch ein verändertes Verhalten des Managements – herbeigeführt wurden, überhaupt als Kulturveränderung bezeichnen? Handelt es sich dabei nicht eher um eine mehr oder weniger unfreiwillige, vielleicht sogar rein opportunistische Anpassung an das, was vom Unternehmen gefordert und mit einem gewissen Nachdruck nachgehalten wird?
Bekehrung: nicht sicher
Die Antwort hängt davon ab, was man unter einer Kulturveränderung versteht. Wenn man als solche nur anzuerkennen bereit ist, wenn sich die Überzeugungen und “Mindsets” (etwa im Sinne von Scheins “underlying values and beliefs”) geändert haben, dann kann man sich in diesem Fall nicht sicher sein: Zwar ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Mitarbeiter aufgrund der geführten Gespräche die Überzeugung gewonnen haben (oder auch schon davor immer der Meinung waren), dass es für den Geschäftserfolg besser wäre, nicht bloß auf die produzierte bzw. verkaufte Menge Wert zu legen, sondern zum Beispiel auch auf die Qualität und den erzielten Preis. Aber gewiss ist das nicht: Vielleicht folgen sie auch einfach nur der neuen Direktive.
Eindeutige Verhaltensänderung
Wenn wir dagegen der obigen Definition folgen, wonach Unternehmenskultur nichts anderes ist als das typische Verhalten eines sozialen Systems, weil das letztlich das Einzige ist, was für diejenigen, die es mit dieser Firma zu tun haben, relevant ist, dann ist die Antwort klar: Dann ist das durch die veränderten Mess- und Controllingsysteme ausgelöste Verhalten der Mitarbeiter ein wesentlicher Bestandteil der Kultur dieser Firma, und die Verhaltensänderung, die durch eine Veränderung der Mess- und Controllingsysteme bewirkt wird, ist uneingeschränkt eine Kulturveränderung.
Was gemessen und nachgehalten wird, bestimmt das Verhalten
Aber ist eine solche Verhaltensänderung denn stabil und von Dauer? Ist sie den Mitarbeitern tatsächlich und Fleisch und Blut übergegangen oder wird sie sich bei der nächsten Modifikation des Mess- und Controllingsystems wieder verändern? Das, mit Verlaub, ist genau der Punkt: Die Kultur, sprich, das beobachtbare und erlebbare Verhalten eines sozialen Systems, ist weit mehr von dem geprägt, was im jeweiligen Unternehmen gemessen und von den Führungskräften nachgehalten wird, als von dem, was den tiefsten Werten und Überzeugungen der beteiligten Personen entspricht. (Was einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen natürlich nicht ausschließt.)
Es geht auch ohne Austausch der “Mindsets”
Genau weil sich die Mitarbeiter aller Ebenen in erheblichem Maße daran orientieren, was in ihrem Unternehmen gemessen und nachgehalten wird, haben die bestehenden Mess- und Controllingsysteme maßgeblichen Einfluss auf ihr Handeln. Was letztlich eine ausgesprochen gute Nachricht für alle ist, die Kultur verändern oder weiterentwickeln wollen. Denn es bedeutet, dass wir dazu gar nicht in ihre “Mindsets” und tiefsten Überzeugungen eingreifen und ihnen erst recht kein neues Wertesystem einpflanzen müssen: Es reicht völlig, deutlich zu machen, welches Handeln von ihnen erwartet wird, und dieses Verhalten mit Beharrlichkeit und Konsequenz nachzuhalten. Wozu natürlich auch gehört, gegenläufige Einflüsse der bestehenden Mess- und Controllingsysteme auszuschalten, indem man sie entsprechend anpasst.
… und sogar besser
Und das Beste dabei ist: Wenn man es so angeht, dauern Kulturveränderungen auch keine drei bis fünf Jahre mehr, sondern nur noch einige Wochen oder Monate.
Literatur: Berner, Winfried (2019): Culture Change – Unternehmenskultur zum Wettbewerbsvorteil machen
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.