HomeMethoden & WissenKonflikteMediation / Konfliktmoderation: Kundige Hilfe bei der Konfliktbewältigung
Es gibt Konflikte, aus denen man aus eigener Kraft nicht mehr herauskommt – auch wenn es oft schwer fällt, sich das einzugestehen. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl hat das prägnant auf den Punkt gebracht: “Am Anfang hast du einen Konflikt, später hat dich der Konflikt.” In solchen Fällen gibt es im Grunde nur drei Möglichkeiten: Man kann getrennter Wege gehen, man kann einen destruktiven “kalten” Dauerkonflikt führen, oder man kann fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Während Konfliktberatung im privaten Lebensbereich unter den verschiedensten Namen eine lange Tradition hat – Erziehungsberatung, Eheberatung, Psychotherapie, Familientherapie –, ist eine professionelle Konfliktmoderation oder Mediation erst dabei, sich auch in Wirtschaft und Verwaltung zu etablieren. Dabei müsste sie eigentlich fester Bestandteil jeder “Streitkultur” sein.

Verfahrene und eskalierte Konflikte

Hilfe eines unparteiischen Dritten

Die Wurzeln der Mediation reichen weit zurück: Es ist keineswegs eine Erfindung unserer Zeit, zur Bewältigung von Streitigkeiten die Hilfe eines unparteiischen Dritten in Anspruch zu nehmen; diese Praxis findet sich schon bei Naturvölkern. Es ist nicht einmal neu, diese Tätigkeit zu professionalisieren: Tätigkeiten wie Friedensrichter, Schlichter, Schiedsrichter, Unterhändler und ähnliche Rollen, einschließlich des jüdischen Rabbi und des islamischen Imams, haben eine lange Tradition.

Eine Einigung ist besser als ein Urteil

Trennung von Inhalten und Prozess

Am Neuesten ist vielleicht die konsequente Trennung von Prozess- und Inhaltsverantwortung, die in der Mediation vorgenommen wird. Während Friedensrichter letztlich eine Entscheidung treffen, wenn sich die Parteien nicht einigen konnten oder wollten, und Schlichter mit ihrem Spruch zumindest einen Lösungsvorschlag machen, hält sich die Mediation aus den Inhalten völlig heraus und strebt an, allein durch eine sinnvolle Gestaltung der Konfliktbearbeitung eine Einigung zu erleichtern. Die streitenden Parteien bleiben dabei völlig autonom, was die Inhalte und Lösungen betrifft, und bestimmen alleine selbst, welche Lösungen ihnen annehmbar erscheinen und welche nicht.

Einigung vor Urteil

Allerdings wussten kluge Richter und Schlichter wohl schon immer, dass eine Konsensfindung der streitenden Parteien besser ist als ein noch so salomonisches Urteil und ein noch so abgewogener Schiedsspruch. Deshalb treffen sie eine eigene Entscheidung oft erst dann, wenn der Versuch gescheitert ist, eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen. Die deutsche Zivilprozessordnung stellt dem Gerichtsverfahren in § 278 sogar explizit eine “Güteverhandlung” voran, in der eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits versucht werden soll. Wobei Richter, um einen gewissen Einigungsdruck auszuüben, nicht selten auch noch in der Gerichtsverhandlung durchblicken lassen, wie sie die Rechtslage bewerten.

Beispiel Einigungsstelle

Der Grundsatz “Einigung vor Urteil” steht auch hinter den Regelungen zur Einigungsstelle im Betriebsverfassungsgesetz (§ 76 Abs. 3). Bei genauerem Hinsehen wird klar, wie geschickt das Verfahren aufgebaut ist: “Die Einigungsstelle fasst ihre Beschlüsse (…) mit Stimmenmehrheit. Bei der Beschlussfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, so nimmt der Vorsitzende nach weiteren Beratungen an der erneuten Beschlussfassung teil.”

Da die Parteien gleich viele Stimmen haben, bedeutet die Stimmenthaltung des Vorsitzenden in der ersten Runde, dass eine Lösung nur durch eine Einigung möglich ist. Denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass einzelne Beisitzer aus ihrem jeweiligen Lager ausscheren und mit Gegenseite votieren. In der zweiten Runde dagegen stimmt der Vorsitzende mit ab – und jetzt gibt seine Stimme de facto den Ausschlag. Wenn sich die Parteien also nicht in der zweiten Runde der Entscheidung des Vorsitzenden ausliefern möchten, tun sie gut daran, in der ersten Runde einen Kompromiss zu finden.

Prinzip strikter Inhaltsneutralität

Die Möglichkeit, durch Andeutungen seiner Sichtweise mit dem Zaunpfahl zu winken, steht einem Mediator oder Konfliktmoderator nicht zu Verfügung, weil er weder die Befugnis zu einem Urteil noch die zu einem Schlichtungsspruch hat. Deshalb nützt es auch wenig, wenn er deutlich macht oder zu erkennen gibt, wie er die Streitfrage sieht – es würde ihm im Gegenteil nur bei mindestens einer Partei die “Besorgnis der Befangenheit” einbringen. Deshalb tun Mediatoren gut daran, den Grundsatz der strikten Inhaltsneutralität ernst zu nehmen und sich ausschließlich auf den Prozess zu konzentrieren.

Alternative Streitbeilegung

Mediation und Konfliktmoderation sind nur eines (bzw. anderthalb) von einer ganzen Reihe von ADR- bzw. Konfliktbewältigungsverfahren, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben bzw. systematisiert wurden. “ADR” steht für Alternative Dispute Resolution, was auf Deutsch etwas bürokratisch mit “außergerichtliche Streitbelegungsverfahren” übersetzt wird (mehr dazu im Buch Mediation in der Wirtschaft). “Anderthalb” deshalb, weil Mediation und Konfliktmoderation zwar nicht identisch, aber auch nicht scharf voneinander abgegrenzt sind. Sie liegen nahe beieinander; die Konfliktberater Rudi Ballreich und Friedrich Glasl verwenden den Begriff Konfliktmoderation für die mediative Bearbeitung von Konflikten, die noch nicht sehr weit eskaliert sind.

“Allparteilichkeit” statt “Objektivität”

Nicht Partei sein oder werden

Neben einer einschlägigen Ausbildung zeichnet Mediatoren vor allem eines aus, nämlich, dass sie nicht Partei sind. Das heißt nicht, dass sie “objektiv” wären, denn das ist nicht möglich, auch nicht für geschulte Mediatoren. Vielmehr heißt es, dass sie nicht auf der Seite einer der Konfliktparteien stehen, sondern sozusagen auf allen Seiten gleichzeitig – was man im Fachjargon als “Allparteilichkeit” bezeichnet. Das ist keineswegs nur ein Wortspiel, mit dem durch die Hintertür doch wieder so etwas wie Objektivität eingeführt und in Anspruch genommen wird. Vielmehr versucht ein guter Mediator gar nicht erst, sich ein eigenes Urteil über die Streitfrage(n) zu bilden; stattdessen richtet er seine Aufmerksamkeit auf die Konfliktparteien und ihre Bedürfnisse.

Weshalb “Objektivität” kein sinnvolles Ziel ist

Aber warum sollen geschulte Mediatoren nicht “neutral” und “objektiv” sein können? Weil auch Mediatoren Werte und Überzeugungen haben. Es ist unvermeidlich so, dass sie den Konflikt sowie das Verhalten der streitenden Parteien durch die Brille dieser Werte und Überzeugungen betrachten: Sie werden die eine Seite vielleicht zu nachgiebig finden und die andere sehr bestimmend und fordernd, und sie werden manche Positionen der Parteien möglicherweise spontan als überzogen oder als unrealistisch ansehen, andere als nachvollziehbar. Dass auch Mediatoren solche spontanen Eindrücke und Meinungen haben, lässt sich nicht verhindern. Was sich aber verhindern lässt, ist, dass sie ihr Handeln bestimmen.

Akzeptieren beider Parteien und ihrer Bedürfnisse

Allparteilichkeit ist eine Grundhaltung den Konfliktparteien gegenüber. Sie ist getragen von der Absicht, die Ziele und Interessen beider (bzw. aller) Konfliktparteien zu akzeptieren, ihre dahinter liegenden Bedürfnisse zu verstehen, ihnen mit Respekt und professioneller Sympathie zu begegnen. So eine Allparteilichkeit ist sehr wohl möglich – aber nur dann, wenn sich der Mediator eines Urteils enthält.

Weder Richter noch Schiedsrichter

Er darf sich weder in die Rolle des Richters noch in die des Schiedsrichters begeben – und sich auch nicht in diese Rolle verlocken lassen. Selbst wenn er ausdrücklich nach seinem Urteil gefragt wird, muss und darf (!) er nicht sagen, wer aus seiner Sicht Recht hat. Sein Job ist vielmehr, einen Klärungsprozess zu organisieren, an dessen Ende die Parteien selbst zu einem für alle Beteiligten guten oder zumindest annehmbaren Ergebnis gelangen.

Rolle des Mediators

Die Rolle des Mediators oder Konfliktmoderators besteht allein darin, einen Prozess zu gestalten, anzuleiten und nötigenfalls auch durchzusetzen, der im ersten Schritt zu einer Klärung der beiderseitigen Sichtweisen führt, dann zu einem Herausarbeiten der eigentlichen Anliegen und Bedürfnisse hinter den vorgebrachten Positionen und Forderungen, und schließlich zu einer Suche nach Lösungsmöglichkeiten, die den Bedürfnissen beider Parteien gerecht werden.

Wann braucht man eine Konfliktmoderation?

Wenn man alleine nicht mehr weiter kommt

Solange man noch dazu in der Lage ist, einen Konflikt selbst zu klären und zu einer tragfähigen Lösung zu bringen – das heißt zu einer Lösung, die dann auch wirklich umgesetzt wird und funktioniert –, bedarf es keiner Einschaltung Dritter. Eine Mediation oder Moderation wird dann sinnvoll, wenn man sich festgefahren hat und mit Bordmitteln nicht mehr so recht weiterkommt. Oder auch dann, wenn ein Konflikt so weit eskaliert ist, dass eine konstruktive Diskussion nicht mehr möglich ist, weil die streitenden Parteien trotz aller guten Vorsätze nach kurzer Zeit wieder in Angriffe, Vorwürfe und wechselseitige Beschuldigungen “abgleiten”.

Engel-Teufel-Verzerrung

Ein klassisches Zeichen dafür, dass man als Konfliktpartei am Ende seiner – konstruktiven – Möglichkeiten ist, ist, wenn sich das Bild der Gegenpartei immer weiter ins Negative verschoben hat. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl spricht prägnant von einem “Engel-Teufel-Bild”: Wenn man die Gegenseite extrem negativ wahrnimmt und nur noch ihre Charakterfehler, moralischen Defizite und bösen Absichten sieht, während man die eigene Seite beinahe schon verklärt als Vertreter des Edlen, Wahren und Guten wahrnimmt, dann brennt es lichterloh: Solch eine Engel-Teufel-Verzerrung ist ein untrügliches Indiz für einen eskalierten Konflikt, denn aus eigener Kraft nicht mehr in den Griff bekommt.

Sich beschleunigende Eskalation

Dann wird es im Gegenteil gefährlich: Eine solche Wahrnehmungsverzerrung liefert vielmehr die Legitimation für eine rücksichtslose Bekämpfung des Gegners bis zu dessen Vernichtung – und ist damit ein Alarmsignal für eine Eskalation, die sich zu beschleunigen droht.

Unangenehmes Eingeständnis

Es ist natürlich unangenehm, sich – und anderen – eingestehen zu müssen, dass man einen Konflikt nicht mehr “im Griff hat” und auf fremde Hilfe angewiesen ist. Das Einzige, was wohl noch unangenehmer ist als dies einzugestehen, ist, den Beweis dafür zu liefern, dass es tatsächlich so ist, und sich hinterher fragen (lassen) zu müssen, warum man nicht rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch genommen hat. Denn die Kosten eskalierender Konflikte sind hoch, und sie sind umso höher, je höher die Hierarchieebene ist, auf der sich der Konflikt abspielt, bzw. je wichtiger die betreffende Kunden- oder Lieferantenbeziehung ist.

Den “Worst Case” durchdenken

Deshalb lohnt es sich, neben der vagen Hoffnung auf den “Best Case”, dass es doch noch irgendwie gelingt, den Konflikt ohne fremde Hilfe beizulegen, auch den schlimmsten denkbaren Fall, dass der Konflikt völlig aus dem Ruder läuft, zu durchdenken und ins eigene Kalkül einzubeziehen: Einmal angenommen, der Konflikt würde noch weiter eskalieren und eine produktive Zusammenarbeit dauerhaft unmöglich machen, welche Konsequenzen hätte das? Und wie würde es dann vermutlich weitergehen?

Der Eskalationsgrad bestimmt die Erfolgsaussichten einer Mediation

Von “Win – Win” zu “Lose – Lose”

In seinem bekannten und bewährten Modell der Konflikteskalation unterscheidet Friedrich Glasl neun Eskalationsstufen, die den Weg von einer ersten Verhärtung über einen erbitterten Machtkampf bis hin zur totalen Katastrophe des “Gemeinsam in den Abgrund” beschreiben. Diese neun Stufen fasst er in drei Triaden zusammen, die er mit “Win – Win”, “Win – Lose” und “Lose – Lose” überschreibt. “Lose – Lose” heißt im Klartext: Dem Gegner zu schaden, wird in diesen tiefsten Eskalationsstufen wichtiger als einen Nutzen zu erzielen und die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Das heißt, hier ist ein extremer Grad an Wut, Hass und Rachdurst erreicht.

Bei extremer Eskalation bleibt Autoritätseingriff

In diesen letzten drei Stufen ist keine Vermittlung mehr möglich und deshalb auch keine Mediation; hier bleibt nur noch ein Autoritätseingriff. Solchen Konflikten kann zum Beispiel ein Gerichtsurteil, das nötigenfalls mit staatlicher Autorität durchgesetzt wird, einen Schlusspunkt setzen. Innerhalb eines Unternehmens kann der Autoritätseingriff auch darin bestehen, dass die Geschäftsleitung der ständigen Grabenkriege zu Lasten des Unternehmens, die auf immer mehr Bereiche ausstrahlen, überdrüssig ist und sich von einem der Beteiligten oder von beiden trennt. (Wobei es den Beteiligten unbenommen bleibt, sich danach privat zu treffen und ihre Privatfehde weiterzuführen.)

Gute Chancen bei noch geringer Eskalation

Sehr gut sind die Vermittlungschancen dagegen am unteren Ende der Eskalation, wenn sich der Konflikt noch in der ersten Triade befindet: Dann hat ein besonnener und wohlwollender Dritter noch gute Chancen, mit ein wenig Geschick und Empathie erst eine Deeskalation, dann eine Aussprache und dann eine Einigung herbeizuführen. Das ist der Bereich, in dem Ballreich und Glasl von “Konfliktmoderation” sprechen – sozusagen als Eingangsstufe der Mediation. Der Schwierigkeitsgrad der Vermittlung wächst dabei zum einen mit dem Eskalationsgrad, zum anderen der eingetretenen Verhärtung: Ein “kalter” Konflikt, bei dem sich die Kontrahenten schon seit geraumer Zeit gegenseitig beschießen, ist schwerer zu bearbeiten als ein relativ frischer “heißer” Konflikt, bei dem die Beteiligten trotz wachsender Verstimmung noch an seine Lösbarkeit glauben.

Rapide steigende Schwierigkeit

In der mittleren Triade “Win – Lose” steigt der Schwierigkeitsgrad rapide von Stufe zu Stufe. Denn erstens wird die Prozesssteuerung methodisch anspruchsvoller, wenn man als Mediator zum Beispiel entscheiden muss, ob ein gemeinsames Gespräch mit den Beteiligten möglich und sinnvoll ist oder ob es mit einer “Pendel-Mediation”, also wechselnden Einzelgesprächen vorbereitet werden muss. Zweitens muss man hier als Mediator heftige Emotionen aushalten und deeskalierend mit ihnen umgehen können. Und drittens benötigen die Beteiligten in solchen Fällen, um sich aus ihren Festungen herauszuwagen, rasch mehr als eine bloße Mediation, nämlich etwas, was Glasl eine “system-therapeutischen Prozessbegleitung” nennt. Am oberen Ende dieser Triade kommen auch eine klassische Vermittlung, die auf die engen Streifragen begrenzt ist, sowie eine freiwillige oder obligatorische Arbitration in Betracht, also ein Schiedsspruch.

Niedrige Eskalationsstufen – trotzdem hohe Konfliktkosten

Nachlassende Selbstheilungskräfte

Das heißt im Klartext, die Möglichkeiten einer Mediation sind auf die unteren und mittleren Eskalationsstufen von Konflikten begrenzt, in denen die “Selbstheilungskräfte” des sozialen Systems noch einigermaßen intakt sind. Glasl vergleicht die beiden ersten Stufen mit einer Erkältung, bei der die Selbstheilung “intakt, aber gefordert” ist, und die nächsten beiden mit einer Lungenentzündung, in der sie “angeschlagen, aber erst recht herausgefordert” sind. In Stufe 5 “Gesichtsangriff und Gesichtsverlust” sieht er die Selbstheilungskräfte bereits als “nicht mehr funktionierend und überfordert” an – und ab dann wird es auch für die Mediation schwer (2011, S. 233).

Asymmetrische Häufigkeitsverteilung

Das klingt erst einmal so, als ob die Reichweite der Mediation nicht sehr groß wäre – und in der Tat reicht sie wohl allenfalls bis zu den Stufen 5 oder 6, und bereits sie sind nichts mehr für gutwillige Amateure, sondern verlangen gestandene Vollprofis. Doch zum Glück verteilt sich der Eskalationsgrad von Konflikten nicht gleichmäßig über alle Stufen; stattdessen finden wir eine extrem asymmetrische Häufigkeitsverteilung vor.

Extreme Konflikte sind in Unternehmen selten

Gerade innerhalb von Wirtschaftsunternehmen bewegen sich die allermeisten Konflikte in der ersten Triade, reichen vielleicht noch in Stufe 4, also zu “[Negativ-]Images und Koalitionen”, doch die allerwenigsten erreichen die dritte Triade – schon weil derartige Konflikte die Handlungsfähigkeit des Gesamtsystems so sehr beeinträchtigen würden, dass man sie sich gar nicht leisten könnte. Das heißt, in dem meisten Fällen werden sie schon zuvor durch freiwillige Abwanderung oder Trennung (“im gegenseitigen Einvernehmen”) behoben.

Privatfehden, Grabenkriege, Reibungsverluste

Andererseits sind die wirtschaftlichen Auswirkungen auch von niedrig eskalierten Konflikte nicht zu unterschätzen. Gerade wenn sie zu kalten Konflikten verhärten, also zu Privatfehden oder zu Grabenkriegen zwischen Abteilungen und Bereichen, können sie enorme Reibungsverluste und Konfliktkosten zur Folge haben: Kosten, die in keiner Bilanz und keinem Controlling-Statement auftauchen, die aber dennoch massiv auf das Geschäftsergebnis durchschlagen, weil die Zusammenarbeit trotz aller Prozessoptimierungen “aus unerfindlichen Gründen” nicht annähernd so effizient ist wie sie sein könnte und müsste. Auch für wiederkehrende Fehler und Qualitätsmängel sind schwelende Konflikte eine heiße Fährte.

Mediation zum Bestandteil einer Streitkultur machen

Enormes Potenzial

Das ist in dreifacher Hinsicht eine gute Nachricht: Zum ersten, weil die allermeisten Alltagskonflikte im “behebbaren Bereich” liegen, in dem die Selbstheilungskräfte noch funktionieren. Zum zweiten, weil man nicht für jeden Alltagskonflikt einen Vollprofi mit mindestens 60-jähriger Mediationserfahrung braucht; in der überwiegenden Zahl der Fälle kann man mit einer soliden Basisqualifikation plus Mut, Engagement und gutem Willen eine Menge bewegen. Zum dritten, weil dies ein enormes Potenzial zur Beseitigung interner und externer Reibungsverluste und zur Senkung versteckter Konfliktkosten hat.

Konsequenz und Beharrlichkeit erforderlich

Voraussetzung ist allerdings, dass man das Thema konsequent angeht. Denn die wenigsten streitenden Parteien in Unternehmen werden von sich aus den Finger heben, um sich um eine Mediation zu bewerben – teils, weil ihnen diese Möglichkeit fremd ist, teils weil sie Sorge haben, dass es ihrem Ruf schaden könnte, wenn ihr Name mit einem Konflikt in Verbindung gebracht wird, teils vielleicht auch, weil sie eine gewisse persönliche Befriedigung aus diesem Konflikt ziehen.

Mediation als Teil einer Streitkultur

Solange die Vorgesetzten also nicht darauf bestehen, dass Privatfehden zu Lasten der Firma inakzeptabel sind und dass vorhandene Konflikte entweder bilateral oder mit Hilfe einer Mediation beigelegt werden, wird sich an den zur Gewohnheit gewordenen Reibungsverlusten und ihren Konfliktkosten vermutlich wenig ändern. Was sich aber anbietet, ist, Mediation zum Bestandteil eine Kulturveränderung in Richtung konstruktive Streitkultur zu machen. Denn zu der sollte neben der Fähigkeit, fair zu streiten, auch die Kompetenz gehören, eskalierende Streitigkeiten einzufangen, bevor sie sich verfestigen und größeren Schaden anrichten. Und es wäre wohl zu viel Optimismus, zu unterstellen, dass das erste das zweite überflüssig macht.

Von einer halben zu einer runden Sache

Der Aufbau von Mediationskompetenz im Unternehmen trägt maßgeblich dazu bei, einer Streitkultur Glaubwürdigkeit zu verleihen. Denn damit wird sichtbar, dass das Top-Management die Fähigkeit, konstruktiv zu streiten, wirklich voranbringen will: Nicht nur, indem es eine offene Auseinandersetzung über strittige Fragen fordert und fördert, sondern auch, indem es zeigt, dass es auch das destruktive Potenzial von Konflikten erkannt hat und ernst nimmt – und die praktischen Konsequenzen daraus zieht, statt sich auf Deklarationen zu beschränken. Denn die Forderung, Konflikte “auszustreiten” und zu klären, gewinnt erheblich an Überzeugungskraft, wenn das Unternehmen für den Fall, dass dies den Beteiligten nicht aus eigener Kraft gelingt, die nötige Unterstützung bereitstellt.

Zusammenarbeit oder Trennung

Geregelt muss in diesem Fall auch werden, was geschieht, wenn sich die streitenden Parteien innerhalb der Mediation nicht einigen können oder wollen. Was die sachliche Seite betrifft, wird die Entscheidung dann im Regelfall “eskaliert” und von der nächsthöheren Führungsebene getroffen. Falls der Konflikt auf der persönlichen Ebene liegt, muss sich zeigen, wie ernst die Regel “Keine Privatfehden zu Lasten der Firma” gemeint ist. Falls sie dies ist, stehen die Beteiligten vor einer ebenso einfachen wie klaren Wahl: doch Zusammenarbeiten oder Trennung.

Ablauf einer Mediation

Mitarbeit erforderlich

Mediation ist Teamarbeit. Auch wenn der Mediator dabei natürlich in der Vorhand ist, kann sie nur gelingen, wenn sich die streitenden Parteien darauf einlassen und konstruktiv mitarbeiten. Dazu zählt zum einen die Bereitschaft, sich ehrlich zu äußern, zum anderen die, zuzuhören und dem, was die andere Partei sagt, mit Offenheit und Aufgeschlossenheit zu begegnen. Weiter zählt dazu die Bereitschaft, dem Mediator, der ja die Prozessverantwortung hat, die Ausübung dieser Rolle auch zu ermöglichen, also grundsätzlich bereit zu sein, seiner Führung zu folgen. Das schließt das kritische Hinterfragen einzelner Vorschläge nicht aus, aber eine Mediation kann nur funktionieren, wenn sich keiner der Beteiligten völlig verweigert oder querlegt.

Einführung durch den Mediator

Der grundsätzliche Ablauf einer Mediation ist unspektakulär und ziemlich logisch. Der Mediator beginnt mit einer Einführung, zuweilen auch “Eingangsstatement” genannt. Je nachdem, wie vertraut die Beteiligten mit der Methode der Mediation sind, erläutert er kurz oder auch etwas ausführlicher, was Mediation ist und wie sie funktioniert, mit besonderem Hinweis auf die Trennung von Inhalts- und Prozessverantwortung: Dass er als Mediator keine inhaltliche Beurteilung abgibt und weder ein Urteil noch einen Schiedsspruch fällen wird, sondern ausschließlich für den Prozess verantwortlich ist und sein Bestes tun wird, um für einen guten und erfolgreichen Ablauf der Verhandlung zu sorgen.

Spielregeln vorschlagen und Bestätigung einholen

Zugleich macht er auch deutlich, dass die Parteien ihre volle Autonomie behalten, einschließlich der Entscheidung, die Mediation abzubrechen. Sie entscheiden auch alleine darüber und haben die alleinige Verantwortung dafür, welche Lösungsvorschläge sie machen und akzeptieren. Ebenso entscheiden sie alleine, was sie sagen und was sie nicht sagen. Dabei wird der Mediator auch einige Spielregeln vorschlagen und die Zustimmung der Parteien dazu einholen, insbesondere die der Vertraulichkeit und der Bereitschaft, sich gegenseitig ausreden zu lassen und dabei zuzuhören.

Möglichkeit für Pausen und Einzelgespräche

Nützlich ist, gleich in der Einführung zu erwähnen, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, Pausen, Unterbrechungen und Einzelgespräche mit dem Mediator vorzuschlagen. Und dass der Mediator von dieser Möglichkeit auch von sich aus Gebrauch machen wird, wenn er glaubt, dass dies nützlich für den weiteren Verlauf sein könnte. Wichtig ist auch der Hinweis, dass sich die Mediation bei Bedarf auch über mehrere Sitzungen erstrecken kann: Dies sorgt für realistische Erwartungen und nimmt etwas den “Leistungsdruck” aus der ersten Sitzung.

Commitment einholen

Es ist sinnvoll, nach dieser Einführung noch einmal ausdrücklich die Zustimmung der Beteiligten zum vorgeschlagenen Vorgehen einzuholen: “Wollen wir auf dieser Basis einen Versuch miteinander wagen?” Auch wenn dies redundant erscheinen mag, nachdem sich die Beteiligten ja schon auf eine Mediation eingelassen haben, stärkt es das Commitment, weil die Parteien damit in voller Kenntnis des konkreten Ablaufs ihre Entscheidung bestätigt haben.

Herausarbeiten der Streitfragen

Die Streitfragen identifizieren

Der zweite Schritt ist, die Streitfragen möglichst klar herauszuarbeiten. Spannend ist dabei, ob die Parteien relativ schnell zu einer übereinstimmenden Darstellung der Streitfragen finden oder ob es Streit darüber gibt, was eigentlich die Streitpunkte sind. Im diesem Fall müssen als erstes die Streitfragen so weit geklärt werden, dass es einen Konsens über die strittigen Punkte gibt. Wenn das eine Weile dauert, dann ist es eben so – vorher hat es wenig Sinn, in die Details einzusteigen.

Missverständnisse und Fehlinterpretationen

Unvermeidlich wird die Benennung der Streitfragen zu einem ersten inhaltlichen Einstieg in die Streitthemen; der Mediator sollte jedoch darauf achten, dass die Themen hier nur übereinstimmend benannt und, wenn nötig, kurz erläutert, nicht aber inhaltlich diskutiert werden, denn sonst kommt die Prozesssteuerung des Mediators bereits hier ins Wackeln. Unter Umständen lösen sich bei dieser Inventarisierung einzelne Streitpunkte auf oder stellen sich als Missverständnisse oder Fehlinterpretationen heraus. Das kann entlastend wirken, weil es den wahrgenommenen “Problemberg” verringert, und eine Ermutigung zum genaueren Zuhören für den weiteren Verlauf sein.

Streitpunkt oder nicht?

Prinzipiell sollte die Klärung der Streitpunkte keine unlösbaren Probleme aufwerfen: Jeder Punkt, zu dem es unterschiedliche Auffassungen, Forderungen oder Positionen gibt, ist ein Streitpunkt; jeder Punkt, zu dem es keine unterschiedlichen Vorstellungen gibt, ist keiner – oder, wenn doch ein Dissens spürbar ist, steckt ein anderes strittiges Thema dahinter, das noch genauer herausgearbeitet werden muss. Wichtig ist, über solche Punkte des Zögerns nicht hinwegzugehen, sondern bis zu einer Klärung nachzufragen. Damit zeigt der Mediator den Teilnehmern von vornherein, dass er mit voller Aufmerksamkeit bei ihnen ist und nicht aus bloßer Ungeduld oder Unachtsamkeit über ihre Anliegen hinweggeht, wenn sie noch nicht klar artikuliert werden können.

Vollständigkeit überprüfen

Vor allem bei einer größeren Zahl von Streitpunkten ist es nützlich, sie allesamt an ein Flipchart zu schreiben. Und abschließend nochmal zu fragen: “Sind das jetzt alle Punkte oder fehlt noch etwas?” Prinzipiell kann man übersehene Streitpunkte natürlich später immer noch nachtragen. Oft ist den Teilnehmern aber für ihr Vertrauen in den Prozess das Gefühl wichtig, dass nach bestem Wissen und Gewissen wirklich alle strittigen Punkte sichtbar dokumentiert und festgehalten wurden.

Einstieg in die Streitpunkte

Zusammenhänge zwischen den Streitpunkten

Sofern es nicht offensichtlich ist, empfiehlt es sich, nachzufragen, ob und wie die Streitpunkte zusammenhängen. Denn das Abarbeiten der Liste Punkt für Punkt ist nur dann sinnvoll, wenn die Punkte in keinem logischen oder praktischen Zusammenhang stehen. Wenn einzelne Punkte zum Beispiel Folgefragen einer zu treffenden Grundsatzentscheidung sind, ergibt sich fast automatisch sowohl die Reihenfolge als auch die Gewichtung. Geht es um mehrere voneinander getrennte Themen, eröffnet dies unter Umständen Spielräume für eine Kompromissfindung.

Verständigung über die Reihenfolge

Falls sich nicht aus der Sache heraus eine logische Abfolge der Themen ergibt, muss man sich auf eine Reihenfolge verständigen. Von der Sache her empfiehlt es sich, weder mit dem schwierigsten Thema zu beginnen noch mit einem Bagatellthema. Weil sich diese Frage auf den Prozess bezieht, kann der Mediator hier einen Vorschlag machen; er sollte dazu aber das Einverständnis der Parteien einholen.

Möglicherweise erste Tests

Möglicherweise nutzt eine der Parteien die Gelegenheit, um den Umgang des Mediators mit Meinungsverschiedenheiten zu testen. Deshalb empfiehlt es sich, hier über divergierende Vorschläge nicht zu locker hinwegzugehen. Wenn eine Partei einen Alternativvorschlag macht, fragt man die andere, ob sie damit einverstanden ist. Falls nicht, lautet die Frage: “Wie wollen wir vorgehen, um diese Entscheidung zu treffen?” Möglichkeiten dazu gibt es viele: Festlegung des Mediators, Losentscheid … – theoretisch könnte man die Mediation an dieser Frage auch platzen lassen, aber das wird zu diesem Zeitpunkt niemand ernstlich wollen.

Nacheinander Sichtweisen darlegen – und zuhören!

Der erste Schritt ist dann, dass die Parteien Gelegenheit bekommen, nacheinander (!) ihre Sichtweise des Problems oder Konflikts darzulegen. Nach den vereinbarten Spielregeln hat die jeweils andere dabei zuzuhören, auch wenn ihm die Aussagen der anderen heftig missfallen; daran muss der Mediator bei Bedarf erinnern, notfalls mit Nachdruck. Wenn er hier die Zügel zu locker lässt, läuft er Gefahr, dass die Kontrahenten sich im weiteren Verlauf kaum noch von ihm bremsen lassen.

Wechselseitige Spiegelung

Falls der Mediator den Eindruck hat, dass sich die Parteien sehr schwer damit tun, die Sichtweise der Gegenseite überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, kann er ihnen eine kleine Übung zur Verbesserung der Verständigung vorschlagen. Dann bekommt jede Partei die Aufgabe, die Sichtweise der Gegenseite mit eigenen Worten treffend wiederzugegeben, und zwar so lange, bis die andere sich richtig verstanden fühlt. Das wird den Beteiligten keinen großen Spaß machen, aber es hilft enorm – und das spüren die Kontrahenten auch ziemlich schnell.

Die Interessen hinter den Positionen und Forderungen erkennen

Unversöhnliche Positionen

Wenn die Streitpunkte klar sind, ist dies ein größerer Fortschritt ist als es zu diesem Zeitpunkt scheinen mag: Möglicherweise sind sich die Parteien jetzt zum ersten Mal darüber einig, worüber sie sich eigentlich uneinig sind. Andererseits stehen sich jetzt ihre Standpunkte, Positionen und Forderungen scheinbar unversöhnlich gegenüber. An diesem Punkt waren die streitenden Parteien oft auch vor der Mediation schon – und sind daran gescheitert. Ab hier haben sie sich gegenseitig mit wachsender Verärgerung ihre Positionen und Argumente um die Ohren gehauen und sind schließlich ergrimmt auseinander gegangen.

Von den Positionen zu den Interessen

Hier liegt eine wichtige Weichenstellung: Um über diesen toten Punkt hinwegzukommen, muss etwas Anderes passieren als bisher. Die Parteien warten deshalb oft mit einer Mischung von Neugier und Skepsis, was der Mediator nun als nächstes macht. Dieses “Anders” ist die Bitte des Mediators an beide Parteien, zu erläutern, warum ihnen diese Positionen und Forderungen so wichtig sind: Was sind die Interessen und Bedürfnisse hinter ihren Positionen? Deshalb lautet die Frage des Mediators sinngemäß: “Könnten Sie uns bitte beide einmal erläutern, aus welchen Gründen Ihnen Ihre jeweiligen Position oder Forderung so wichtig ist? Welche Interessen und Bedürfnisse stehen dahinter? Was wollen Sie erreichen oder vermeiden?”

Die Interessen sind oft besser vereinbar als die Positionen

Hinter dem Bestreben, zu den Interessen vorzustoßen, steht die Erfahrung, die die Harvard-Konfliktforscher Roger Fisher und William Ury in ihrem berühmt gewordenen Bestseller “Getting to Yes” (deutsch: Das Harvard-Konzept des Verhandelns) als erste sehr klar herausgearbeitet haben: Auch wenn sich die Positionen der Parteien oft unvereinbar gegenüber stehen, müssen die dahinter stehenden Interessen keinesfalls unvereinbar sein. Erstaunlich häufig gibt es andere Möglichkeiten, den Interessen beider Seiten gerecht zu werden, die wesentlich besser vereinbar sind als ihre ursprünglichen Forderungen. Aber das kann man erst herausfinden, wenn man die Interessen kennt – und darüber wird üblicherweise nicht offen gesprochen, schon gar nicht in Verhandlungen: Man will sich ja nicht in die Karten schauen lassen.

Beispiel: Forderung nach mehr Autonomie

Beispielsweise erheben in größeren Unternehmen sehr häufig die Geschäftsbereiche (und Landesgesellschaften) die Forderung, sie müssten bestimmte Funktionen, die bislang in der Zentrale angesiedelt sind, im eigenen Verantwortungsbereich zu haben, wie beispielsweise IT, Einkauf oder bestimmte Personalfunktionen. Damit dringen sie selten durch, weil dagegen sowohl Kostengründe als auch die Einheitlichkeit und Konsistenz der Systeme sprechen. Geht man der Frage nach, welche Interessen hinter dieser Forderung stecken, stellt sich häufig heraus, dass die betreffenden Funktionen erstens einen kritischen Engpass für die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsfelds darstellen und zweitens aus Sicht der Bereiche nicht schnell genug und nicht gut genug auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Wie sich dann oft zeigt, reißen sie sich weder um die zusätzliche Arbeit noch geht es ihnen um die Ausweitung ihrer Machtfülle – sie wollen schlicht einen kritischen Engpass beheben, der sie bei der Entwicklung ihres Geschäfts ausbremst. Ihre Forderung entspringt der Vorstellung, dass sie diesen Enpass nur dann beheben können, wenn sie die jeweilige Funktion unter ihrer eigenen Kontrolle haben und demgemäß die Prioritäten selbst bestimmen.

Ohne Zweifel wäre der Wechsel der Zuständigkeit eine Möglichkeit, ihr Problem zu lösen – aber es ist keineswegs die einzige. Möglicherweise wäre aber eine (beinahe) genauso gute Lösung, wenn sie mehr Einfluss auf die Prioritätensetzung und die Ressourcenausstattung des jeweiligen Bereichs hätten, selbstverständlich bei einer Weiterbelastung der Kosten. Dass dies dem eigentlichen Bedürfnis der Geschäftsbereiche gerecht wird, sieht man daran, dass kaum je die Forderung erhoben wird, die Zuständigkeit für zentral abgewickelte Funktionen zu bekommen, die aus Sicht der Bereiche problemlos funktionieren. Mit anderen Worten, wenn die Interessen erst einmal transparent sind, lassen sich fast immer Lösungen finden, die besser vereinbar sind als die ursprünglichen Forderungen.

Gemeinsame Suche nach Lösungsoptionen

Den Interessen beider Seiten gerecht werden

Oft lässt schon die Klärung der Interessen beider Seiten erste Ideen für eine konstruktiven Lösungsfindung entstehen. Die Leitfrage für diesen nächsten Schritt lautet ganz simpel: Welche Möglichkeiten fallen uns ein, die Interessen beider Seiten bestmöglich unter einen Hut zu bringen? Bestmöglich heißt dabei: So, dass sie sich möglichst wenig gegenseitig in die Quere kommen.

Klare Regel: Ideensammlung ohne Festlegung

An dieser Stelle ist oft eine Hürde, die Beteiligten dafür zu gewinnen, sich auf diese Suche nach möglichen Lösungsoptionen einzulassen: Sie befürchten, wenn sie spontan und ohne sorgfältige Überlegung mögliche Optionen nennen, dann hinterher auf diese Lösung festgenagelt zu werden. Deshalb ist es wichtig, hier von vornherein als klare Regel festzulegen, dass dieses Sammeln von Optionen keinerlei Festlegung für irgendjemanden beinhaltet.

Streichen ist leichter als Erweitern

Die Vorgehensweise, in einer Art Brainstorming möglichst viele mögliche Lösungsoptionen und Lösungselemente zu sammeln, folgt vielmehr der Erfahrung, dass es wesentlich leichter ist, im nächsten Schritt aus einer größen Liste von Lösungsideen all jene Optionen zu streichen, die für eine der Parteien auf keinen Fall in Frage kommen, als neue, unkonventionelle Lösungsideen ins Gespräch zu bringen, die sich aus Angst vor einer voreiligen Festlegung niemand zu nennen gewagt hat.

Nicht zu rasch zufriedengeben

Wichtig ist, sich als Mediator nicht mit einer Handvoll von Lösungsoptionen zufriedenzugeben, sondern die Parteien zu ermutigen, möglichst viele weitere Ideen und Optionen zu nennen, auch unausgegorene, halbfertige, unkonventionelle … im günstigsten Fall hat das neben der Verlängerung der Liste einen weiteren Effekt, der für die Weiterarbeit wichtig ist: Die Parteien beginnen, beim Sammeln von Ideen zusammenzuarbeiten, haben vielleicht sogar Spaß daran, aber zumindest lockert es das angespannte Gegeneinander etwas auf.

Sichten und Bewerten der Lösungsoptionen

Streichung unannehmbarer Vorschläge

Die gelockerte Atmosphäre kann allerdings rasch wieder kippen, wenn eine der Parteien die gesammelten Optionen im nächsten Schritt zu radikal zusammenstreicht. Zwar sind die Parteien autonom und daher berechtigt, dies zu tun – und sie müssen bzw. sollten dies sogar tun, wenn tatsächlich keiner der Vorschläge für sie Teil einer Lösung sein könnte. Es hilft aber nicht weiter, sondern droht im Gegenteil, die Mediation weit zurückzuwerfen, unter Umständen sogar hinter den Ausgangspunkt.

Radikale Streichungen auf Gegenseitigkeit

Denn für die jeweils andere Seite ist es natürlich eine Brüskierung, wenn der Großteil der Optionen, die sie sich gerade mühsam ausgedacht hat, von der Gegenseite gleich wieder gestrichen werden. Und sie könnte versucht sein, darauf mit dem gleichen Mittel zu reagieren: “Streichst du meinen Vorschlag, streich ich deinen Vorschlag!”

Zu maßvollen Streichungen mahnen

Deshalb kann und darf der Mediator, wenn ihm dies angezeigt erscheint, den Parteien empfehlen, bei ihren Streichungen nicht zu radikal vorzugehen, sondern zunächst einmal nur die Punkte von der Liste zu nehmen, die für sie in die völlig falsche Richtung gehen und daher überhaupt nicht als Bestandteil einer Lösung in Betracht kommen.

Überlegenswerte Vorschläge nennen

Da die Streichung der eigenen Vorschläge aber immer ein Element von Kränkung hat, kann der Mediator auch den umgekehrten Weg gehen und die Parteien bitten, jeweils die Optionen zu nennen, die aus ihrer Sicht Element einer Lösung sein könnten oder ihnen zumindest einer vertiefenden Betrachtung wert scheinen. Es ist normal, wenn die Parteien dabei eine größere Sympathie für ihre eigenen Vorschläge als für die der Gegenseite an den Tag legen; trotzdem nennen sie in der Regel wenigstens einen oder zwei Vorschläge der anderen Seite als überlegenswert.

Der Weg zu einer Einigung

Ermutigen, aber nicht drängen

Oft kristallisieren sich an dieser Stelle schon die Umrisse einer Einigung heraus. Dann gilt es, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, und die kooperative Stimmung dafür zu nutzen, die Einigung unter Dach und Fach zu bringen. Der Mediator sollte dabei ermutigen, aber nicht drängen. Denn wenn sie sich gedrängt fühlen, reagieren die meisten Menschen mit Unwillen und Widerstand. Und selbst wenn sie sich drängen lassen, beeinträchtigt das hinterher ihr Gefühl, sich aus freiem Willen geeinigt zu haben, und damit ihr Commitment zu der Einigung.

Zeit für eine Verhandlungspause?

Wenn sich dagegen noch keine Einigung abzeichnet, ist es möglicherweise Zeit für eine Denkpause, also für eine Verhandlungsunterbrechung. Unter Umständen brauchen die Parteien etwas Zeit, um sich mit der neuen Lage vertraut zu machen. Vielleicht ging ihnen das alles zu schnell, und sie trauen dem Frieden noch nicht. Oder sie zucken im letzten Moment vor der plötzlich greifbar gewordenen Einigung zurück. In all diesen Fällen kann es helfen, wenn sie sich etwas Zeit nehmen – und man sie ihnen lässt.

Die Gründe positiver und negativer Bewertungen

Ansonsten kann man im nächsten Schritt gemeinsam daran gehen, die verschiedenen Lösungsoptionen und -Bausteine zu bewerten. So kann der Mediator die Parteien bitten, jeweils zu erläutern, was sie an den einzelnen Lösungsoptionen attraktiv und was sie daran weniger attraktiv finden. Auf diese Weise wird für alle Beteiligten transparenter, was für Gedanken und Bewertungen, Befürchtungen und Bedürfnisse hinter den positiven oder ablehnenden Reaktionen stehen. Das fördert nicht nur das wechselseitige Verstehen, sondern stößt unter Umständen auch zusätzliche Lösungsideen an.

Auch Feilschen und Kuhhändel sind erlaubt

In aller Regel mündet dies in eine Verhandlung über mögliche Lösungen. Der Mediator wird dabei immer wieder anregen, nach Lösungen zu suchen, die den Interessen beider Seiten gerecht werden. Öfter als man vermuten würde, gelingt dies – und wenn nicht, müssen die Parteien halt noch ein bisschen feilschen, um zu einer Einigung zu kommen. Dabei sind auch “Kuhhändel” (“Kommst du mir da entgegen, komme ich dir da entgegen”) möglich und erlaubt. Das ist dann vielleicht nicht die eleganteste Lösung – aber was man nicht mit Eleganz hinbekommt, muss man eben noch mit Anstrengung überbrücken, wenn man zu einer Einigung kommen will.

Letzte Ermutigung

Meistens klappt das auch ganz gut, weil auf dem Weg bis zu diesem Punkt nicht nur die Bereitschaft zu einer Einigung gewachsen ist, sondern auch das wechselseitige Vertrauen und der Glaube an die Einigungsbereitschaft der anderen Seite. Doch auch hier sollte der Mediator nicht drängen. Falls die Parteien aber im letzten Moment zögern, den entscheidenden Schritt zu tun, darf er ihnen sehr wohl die Frage stellen: “Für wie wahrscheinlich halten Sie es, falls Sie sich jetzt nicht einigen, dass Ihnen dies zu einem späteren Zeitpunkt gelingt und dass es zu einer besseren Lösung führt?”

Nicht die Einigung zählt, sondern deren Umsetzung

Großes Potenzial für Enttäuschung und Verbitterung

Den wenigsten Menschen ist bewusst – und schon gar nicht im Moment der Einigung –, dass ein Konflikt nicht dann gelöst ist, wenn man sich auf eine Lösung verständigt hat, sondern erst dann, wenn diese Lösung tatsächlich in der Praxis umgesetzt wurde. Viel tiefe Enttäuschung und Bitterkeit in persönlichen Beziehungen resultiert daraus, dass man eine Einigung mit einer erfolgreich umgesetzten Lösung verwechselt. Wer hohe Erwartungen in die Einigung gesetzt hat, ist danach umso mehr enttäuscht und verletzt, wenn die verabredete Lösung dann nicht umgesetzt wird. Oft fühlt sich die betroffene Partei dann regelrecht betrogen und verraten.

Nachhalten und Eventualplanung

Um dem vorzubeugen, ist es sinnvoll, vor dem Abschluss einer Mediation zwei Fragen auf den Tisch zu bringen, die zu diesem Zeitpunkt noch ohne Verärgerung und Vorwürfe diskutiert werden können, nämlich erstens: Wie halten Sie die verabredete Lösung nach? Und zweitens: Was geschieht, wenn die Lösung nicht so wie verabredet umgesetzt wird?

Schlechte, gute und andere Gründe

Dafür, dass eine Lösung nicht wie verabredet umgesetzt wird, kann es nicht nur schlechte Gründe geben, sondern auch nachvollziehbare. Auch wenn die davon negativ Betroffenen in solchen Fällen oft der festen Überzeugung sind, dass die andere Seite von vornherein nie die Absicht hatte, die Vereinbarung einzuhalten, ist Arglist keineswegs der einzige mögliche Grund, und nicht einmal der häufigste. Manchmal liegt das Problem auch darin, dass die Vereinbarung schlicht nicht umsetzbar war – oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand. Unter Umständen hat die andere Seite die Sache auch schleifen lassen, nachdem sie merkte, dass ihr die Einhaltung mehr Mühe kostet als sie erwartet hatte – und gehofft, dass sie damit durchkommt. Oder was auch immer.

Risiko eines nachträglichen Scheiterns minimieren

Da es solche Fälle gibt, hilft es nichts, darauf zu bestehen, dass das nicht passieren darf – und unentschuldbar zu finden, wenn es doch passiert. Um so viel Entrüstung und Enttäuschung gar nicht aufkommen zu lassen, ist es sinnvoll, eine Verabredung zu treffen, wie die Vereinbarung nachgehalten wird, und was geschieht, wenn sie nicht eingehalten wird – und möglicherweise nicht eingehalten werden kann. Die gemeinsame Beschäftigung mit diesem Fall ist zugleich eine wirksame Immunisierung gegen die Vorstellung, dass es das gar nicht geben kann oder dass dahinter zwangsläufig böse Absicht stecken muss.

Risiko eines nachträglichen Scheiterns minimieren

Diese innere Vorbereitung reduziert das Risiko eines nachträglichen Scheiterns der Mediation und erhöht die Umsetzungschancen – entweder auf Anhieb oder im zweiten Anlauf. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Parteien zu der Erkenntnis kommen, dass sie sich, wenn die Vereinbarung nicht, wie geplant, umgesetzt wird, noch einmal zusammensetzen müssen, gleich ob mit oder ohne Mediator. Und dass die mangelhafte Umsetzung nicht als Instrument dafür missbraucht werden darf, durch diese Nachverhandlung einen Rabatt auf die ursprüngliche Vereinbarung durchzusetzen.

Wenn sich die Parteien nicht einigen

Nichteinigung ist eine zulässige Option

Insgesamt haben Mediationen eine sehr gute Erfolgsquote: Die Juristen und Mediatoren Duve, Eidenmüller und Hacke berichten in Mediation in der Wirtschaft von zahlreichen Forschungsbefunden, nach denen die Einigungsquote zwischen knapp 70 und 87,5 Prozent liegt. Trotzdem endet nicht jede Mediation mit einer Einigung. Aber wenn es nicht zu einer Einigung kommt, heißt das nicht zwangsläufig, dass die Mediation gescheitert ist – und mit ihr der Mediator.

Alternativen zu einer Einigung

Denn man muss sich nicht um jeden Preis einigen. Die Parteien haben in aller Regel Alternativen zu einer Einigung, worin auch immer diese Alternativen im konkreten Fall bestehen – etwa in einer Kündigung, einer Trennung, einem Rechtsstreit, einem Versuch, die eigenen Vorstellungen ohne Einigung durchzusetzen, oder was auch immer.

Rationale Gründe, sich nicht zu einigen

Spieltheoretisch kann es sogar rational sein, eine mögliche Einigung abzulehnen, wenn für eine Partei die erzielbare Lösung schlechter ist als ihre beste Alternative zu einer Verhandlungslösung. Roger Fisher und William Ury sprechen in “Getting to Yes” von der “BATNA”, der “Best Alternative to a Negotiated Agreement”. Nach ihren Empfehlungen muss jeder Verhandelnde seine BATNA kennen, um bestimmen zu können, ab welchem Punkt eine Lösung für ihn attraktiv ist – und ab wann der Verzicht auf eine Einigung seinen Zielen und Interessen mehr dient als eine Unterschrift.

Brücken über emotionale Hindernisse bauen

Gibt es irrationale Gründe, sich nicht zu einigen?

Gibt es auch irrationale Gründe, sich zu einigen bzw. nicht zu einigen? Das hängt davon ab, was man unter rational versteht. Wenn man ausschließlich die eigenen wirtschaftlichen Interessen zum Maßstab macht, wie es manche Ökonomen explizit oder implizit tun, kann es irrational erscheinen, einer Lösung zuzustimmen, die wirtschaftlich schlechter ist als die eigene BATNA, vielleicht weil einem die sozialen Beziehungen wichtiger sind als die letzten paar Euro. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass man sich meist mehrfach begegnet im Leben, ist es oft rationaler, ein bisschen weniger “rational” zu sein als das Maximale herauszuholen.

Verengtes Verständnis von Rationalität

Umgekehrt kann man es für irrational halten, wenn jemand sich einer Lösung verweigert, weil ihm seine Selbstachtung wichtiger ist als seine wirtschaftlichen Interessen. Aber was wäre das für ein verengtes Verständnis von Rationalität? Es geht implizit davon aus, das Geld wichtiger ist als alles andere im Leben – ein Gedanke, den man mit Fug und Recht als hochgradig irrational ansehen kann.

Brücken über emotionale Hindernisse bauen

Trotzdem sollte eine greifbare Einigung nicht daran scheitern, dass jemand es nicht schafft, über seinen Schatten zu springen, dass er es mit seinem Stolz nicht vereinbaren kann, der Gegenseite Zugeständnisse zu machen, oder dass er Angst hat, dann vor seinen Mitarbeitern und Kollegen als “Umfaller” dazustehen. Eine wichtige Rolle des Mediators liegt darin, Brücken über solche emotionalen Hindernisse zu bauen.

Nutzen trotz Nichteinigung

Dennoch kann sich eine Mediation auch dann gelohnt haben, wenn sie nicht mit einer Einigung endet. Etwa dann, wenn die Beteiligten ihre Beziehungen verbessert haben, oder wenn sie den Konflikt danach mit dem Gefühl hinter sich lassen können, alles in ihren Möglichkeiten Stehende für eine Einigung getan zu haben. Oder auch dann, wenn sie im Laufe der Mediation ihre eigenen Ziele, Interessen und Bedürfnisse und/oder die der Gegenseite besser kennengelernt haben und auf diesem Weg ihre BATNA, ihre beste Alternative zu einer Einigung klarer erkannt haben.

Natürlich ist das Ziel jeder Mediation eine Einigung – aber sie ist nicht ihr alleiniger Erfolgsmaßstab.

Literatur: Duve, Christian; Eidenmüller, Horst; Hacke, Andreas (2011): Mediation in der Wirtschaft. Wege zum professionellen Konfliktmanagement

Ballreich, Rudi; Glasl, Friedrich (2011): Konfliktmanagement und Mediation in Organisationen. Ein Lehr- und Übungsbuch

Fisher, Roger; Ury, William (1984): Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln (Orig.: Getting to Yes)

Glasl, Friedrich (2004): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater

Jiranek, Heinz; Edmüller, Andreas (2003): Konfliktmanagement. Als Führungskraft Konflikten vorbeugen, sie erkennen und lösen

Rosenberg, Marshall B. (2001): Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens. Gestalten Sie Ihr Leben, Ihre Beziehungen und Ihre Welt in Übereinstimmung mit Ihren Werten

Rosenberg, Marshall B. (2005): We Can Work It Out. Resolving Conflicts Peacefully and Powerfully

Ury, William (1999): The Third Side. Why We Fight and How We Can Stop

Ury, William (2015): Getting to Yes With Yourself and Other Worthy Opponents

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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