HomeMethoden & WissenChange-Management-MethodenVorstandsbesuche: Ein starkes Signal der Ernsthaftigkeit
Je größer der Konzern, desto mehr Parallelen
haben Vorstandsbesuche mit dem
Nikolausabend im Kindergarten: Große Aufregung im Vorfeld,
sorgfältige Einstudierung von Geschichten, die mit dem
wirklichen Leben wenig zu tun haben, Herzklopfen, laienhaftes
Theaterspiel, wohlgefälliges Brummen des hohen Gastes
– und große Erleichterung, wenn alles vorbei ist.
Gerade deshalb sind Vorstandsbesuche eine höchst wirksame
Methode, um Veränderungsprozesse voran zu treiben –
insbesondere, wenn sie sich in gut abgestufter Folge wiederholen.

Säkularisierter Nikolausabend

Tournee der Konzernleitung

Wie wirksam solche Vorstandsbesuche sein können, zeigte sich zum Beispiel im Zuge eines konzernweiten Veränderungsprojektes, das sich aus Hunderten von Einzelprojekten zusammensetzte. Dort beschloss der Vorstand, dass jedes Mitglied der Konzernleitung zehn Veränderungsprojekte im Monat besuchen sollte, um sich ein Bild von den Aktivitäten vor Ort zu machen.

Inszenierte Show

Die erste Besuchsrunde trug deutliche Züge einer Laientheatervorführung: Die Projektteams und deren Geschäftsleitungen in den Konzernunternehmen führten dem hohen Gast eine sorgfältig abgesprochene und bis ins Detail abgestimmte Show vor, wonach alles wunderbar lief und große Fortschritte machte. Bei der Auswertung der Besuche im Vorstand war man sich einig, dass man über den wahren Stand der Projekte vermutlich wenig erfahren hatte. Stattdessen hatte man einen Effekt erzielt, der wohl noch wichtiger war: Die Vorstandsbesuche waren vor Ort sowohl bei den Projektteams als auch bei den Geschäftsführungen der Unternehmen als starkes Signal verstanden worden, dass der Konzernleitung das Veränderungsprojekt wirklich am Herzen lag.

Effekte der zweiten Runde

Um dieses Signal der Ernsthaftigkeit noch zu verstärken, beschloss die Konzernleitung, zwei bis drei Monate nach dem ersten Termin eine zweite Besuchsrunde durchzuführen. Damit löste sie fast noch größere Aufregung aus als beim ersten Mal. Im Koordinationsbüro in der Konzernzentrale gingen hektische Anrufe ein mit der flehentlichen Bitte, diesmal ein anderes Mitglied der Konzernleitung zu schicken, weil man noch nicht so viel weiter gekommen sei und gern Teile der ersten Präsentation noch einmal verwenden würde. Was von dem Koordinationsbüro kaltherzig abgelehnt wurde. Stattdessen zog man daraus den Schluss, auch zu den anderen Unternehmen in jedem Fall wieder die gleichen Vorstandsmitglieder zu schicken.

Hektische Betriebsamkeit

Dies löste in einigen Konzernunternehmen, die ihre Projekte hatten schleifen lassen, hektische Betriebsamkeit aus. In zwei bis vier Wochen musste die Projektarbeit von zwei Monaten nachgeholt werden; das ging nicht ganz ohne Stress und Überstunden ab. Beim zweiten Besuch konnten den innerlich schmunzelnden Vorständen durch die Bank echte Fortschritte präsentiert werden – auch wenn auf einigen Folien die Farbe noch nicht ganz trocken war.

Lockerung der Diskussionen

Zugleich wurden die Diskussionen lockerer. Die Teammitglieder legten ihre Scheu vor den “hohen Tieren” aus der Konzernleitung allmählich ab und begannen, offener zu reden – nicht nur mit Erfolgsmeldungen, sondern auch mit vorsichtigen Hinweisen auf Schwierigkeiten und Probleme.

Ermutigung

Die meisten Mitglieder der Konzernleitung waren klug genug, nicht nur Dampf zu machen, sondern Unterstützung zu geben und die Teams zu grundlegenden Veränderungen zu ermutigen. Bei der dritten Besuchsrunde war das Klima schon relativ gelöst, und in den Präsentationen wurde nicht mehr schöngefärbt als in anderen Lenkungsausschüssen auch. Das Wichtigste aber war, dass die grundlegende Message, dass die Change-Projekte der Konzernleitung ein großes Anliegen sind, bei allen Führungskräften und Mitarbeitern im Konzern angekommen war. Was eine enorme Schubkraft für das gesamte Vorhaben auslöste.

Hoher Aufwand

Nun wird mancher Top-Manager aufstöhnen: “Wo soll ich denn die Zeit für solch ein Besuchsprogramm her nehmen?” In der Tat bedeutet der Besuch von 10 Projekten pro Monat, die quer über Deutschland oder Europa verstreut sind, einen Zeiteinsatz von mindestens drei, realistisch eher vier oder fünf Tagen. Das ist sehr viel Zeit, wenn man den Kalender von Top-Managern kennt.

Unterstreichen der Bedeutung

Doch genau das ist ein wesentlicher Teil der Message. Gerade weil jeder Manager weiß, dass der Kalender des Vorstands bis zum Anschlag voll ist, ist es ein extrem starkes Signal, wenn der gesamte Vorstand – oder auch nur der “Schirmherr” des Projektes – gleich etliche Tage pro Monat dafür frei macht. Denn Zeit, nicht Geld, ist die knappste Ressource von Top-Managern – genau deshalb gehen sie ja so knauserig damit um. Wenn sie also wesentliche Teile ihres Kalenders für eine Sache freiräumen, dann ist das der Beleg dafür, dass sie dieser Sache höchste Bedeutung beimessen. Und dann greift ein ganz simpler Übertragungsmechanismus innerhalb einer Hierarchie. Die Mitarbeiter, insbesondere aber die oberen Führungskräfte, sagen sich:

“Wenn mein oberster Chef dieser Sache allerhöchste Bedeutung beimisst, sollte ich es besser auch tun.”

Hochwirksame Signalübertragung

Diese “Signalübertragung” innerhalb von Unternehmen ist ein zentrales Führungsinstrument für Top-Manager. Gerade weil Ihre Zeit so knapp ist, setzen Sie durch deren Allokation sehr starke Signale – im Positiven wie im Negativen. Werfen Sie also noch einmal einen Blick in Ihren Kalender und fragen Sie sich noch ein zweites Mal: Wie wichtig ist Ihnen das Change-Vorhaben wirklich? Durch Ihre Zeitallokation, und nicht durch verbale Bekenntnisse, beantworten Sie diese Frage.

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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