Inhaltsverzeichnis:
Aufgabenstellung des “Comm Teams”
Keinen “König ohne Land”!
Die ursprüngliche Idee war, das “Comm Team” einfach als weiteres Teilprojekt parallel zu den übrigen in die Projektstruktur einzufügen. Aber das wäre keine gute Idee gewesen, denn die Kommunikatoren hatte ja keine eigenen Inhalte, die sie hätten transportieren können, sie waren in erster Linie Mittler zwischen den Fragen, Ängsten und Informationsbedürfnissen der Belegschaft und den Inhalten des Projekts. Deshalb musste das Comm Team einerseits regelmäßig in Erfahrung bringen, welche Sorgen die Mitarbeiter und Führungskräfte beschäftigten, andererseits musste es der Arbeitsstand der Teilprojekte kennen und aus ihm herausdestillieren, welche (Zwischen-)Ergebnisse für die Mitarbeiter bzw. die weltweite Führungsmannschaft wissenswert waren und daher kommuniziert werden sollten. Als isoliertes Teilprojekt hätte es dies kaum bewirken können, vielmehr kam es auf eine enge Verzahnung mit den operativen Teilprojekten an.
Das “Comm Team” und seine Arbeit
Sinnvoll in die Projektstruktur einbauen
Deshalb wurde das Comm Team als Querschnittsprojekt konzipiert; entsprechend gehörten ihm Mitglieder der wichtigsten Teilprojekte an. Die Leitung übernahm das verantwortliche Vorstandsmitglied selbst, mit der Begründung, dass der Großteil der Kommunikation wohl ohnehin auf ihn zulaufen werde. Als Change Management-Experte wirkte ein Berater der Umsetzungsberatung mit, dazu als “operative Kommunikationsdrehscheibe” die Vorstandssekretärin. Letzteres erwies sich als Glücksgriff, weil die betreffende Dame sowohl aufgrund ihrer Position als auch aufgrund ihrer guten Vernetzung viele Dinge erfuhr, die sonst möglicherweise an dem Comm Team vorbeigegangen wären. Die personelle Verflechtung mit den fachlichen Teilprojekten wiederum stellte sicher, dass das Comm Team über die Fortschritte und Ergebnisse der Teilprojekte Bescheid wusste.
Gerüchten und Spekulationen vorbeugen
Das Comm Team begann seine Tätigkeit dann auch gleich damit, nachdrücklich Kommunikation einzufordern. Die ursprüngliche Idee der fachlichen Projektteams war gewesen, mit der Kommunikation zu warten, bis belastbare Ergebnisse vorlagen; man wollte – typisch Ingenieure! – nicht “über ungelegte Eier gackern”. Sie ließen sich aber davon überzeugen, dass sie damit eine Springflut von Gerüchten und Spekulationen ausgelöst hätten. Denn die weltweiten Führungskräfte und Mitarbeiter bekamen ja mit, dass die Mitglieder der Projektteams alle paar Wochen durch die Welt flogen und für ihre eigentlichen Aufgaben kaum noch zu Verfügung standen – was sie unweigerlich zu dem Schluss führen musste, dass dieses Projekt sehr hoch aufgehängt war und offenbar “ans Eingemachte ging”. Da wäre es hochgradig beunruhigend für die Mitarbeiter und Führungskräfte gewesen, nichts über dessen Ziele und Hintergründe zu erfahren. Ein solches Kommunikationsdefizit hätte unweigerlich Ängste, Gerüchte und misstrauische Spekulationen beflügelt.
Handlungsbedarf und weitere Kommunikation
Also wurde beschlossen, unverzüglich eine “Roadshow” zu starten, das heißt, erste intensive Kommunikationsrunde an allen Standorten. Dazu trat jeweils ein Mitglied der Projektleitung gemeinsam mit dem Leiter des Standorts vor die Führungsmannschaft, um ihr das Projekt anhand einer einheitlichen Präsentation vorzustellen; einige Stunden später wurde dann die gesamte Belegschaft informiert. Ziel war erstens, beiden Zielgruppen mit harten Fakten von dem bestehenden Handlungsbedarf zu überzeugen, zweitens, ihnen die Ziele, das Konzept und die konkrete Vorgehensweise des Projektes zu erläutern, drittens, auf mögliche Ängste und Sorgen einzugehen. Gerade deshalb wurden auch heikle Themen wie Kostensenkung und Personalabbau nicht ausgespart. Den Mitarbeitern wurde zugesichert, sie durch einen regelmäßigen Newsletter über den Fortgang des Projekts zu informieren; bei wichtigen Entscheidungen sollten erneute Informationsveranstaltungen vor Ort stattfinden.
Regelmäßiger E-Mail-Newsletter
Unmittelbar nach dieser ersten Roadshow machte sich das Comm Team an die Erstellung des ersten Newsletters. Dabei entstand der übliche Konflikt, wie offen darin auch über unangenehme Themen – von Verzögerungen im Projekt über Rückschläge im Markt bis hin zu zu geplanten Personaleinsparungen – berichtet werden sollte. Der Vorstand bewies trotz gelegentlichen “Zuckens” den Mut, die angekündigte offene Informationspolitik tatsächlich durchzuhalten. Im Abstand von etwa vier Wochen wurden die Mitarbeiter über wesentliche Entwicklungen im Projekt sowie über bedeutende Veränderungen im Markt informiert. Viel Feedback hierzu erhielt das Comm Team nicht, außer dass der Vorsitzende des Betriebsrats sich einmal in einem Nebensatz anerkennend über die offene Information äußerte. Ansonsten kaum Zustimmung, aber auch keine Kritik – offenbar war dieses unauffällige Kommunikationsinstrument schnell zum Bestandteil der “betrieblichen Normalität” geworden war. Was im Nebeneffekt eine wohltuende Entdramatisierung des Projekts bewirkte.
Außergewöhnliche Methoden für außergewöhnliche Nachrichten
Weltweite Management-Tagung
Als die Projektteams nach vier Monaten ihre Ergebnisse und Lösungsvorschläge vorlegten, war es an der Zeit für einen spektakuläreren Schritt: Alle oberen und mittleren Führungskräfte weltweit wurden zu einer Konferenz in die Zentrale nach Deutschland eingeladen. Da eine ganztägige “Frontalbeschallung” wenig Sinn gehabt hätte, es andererseits nicht so leicht ist, mit mehr als 100 Personen eine interaktive Veranstaltung zu gestalten, standen wir vor der Frage nach einer geeigneten Methode.
… ausgestaltet als Info-Markt
Wir entschieden uns für einen Info-Markt – eine Veranstaltungsform, die zwar nicht neu, aber relativ unbekannt ist und damit für die Teilnehmer (und den Großteil des Comm Teams) auch den Reiz des Neuen hatte. Sie besteht im Kern daraus, dass die Teilnehmer nach einer Eröffnung im Plenum in vier Gruppen eingeteilt werden, die im Dreiviertelstundentakt durch vier Stationen “rotieren”. Auf diese Weise entstehen vier kleinere Gruppen, in denen ist es viel eher möglich, wirklich zu diskutieren als im großen Plenum. Der einzige Nachteil ist, dass die Referenten viermal das gleiche Lied singen müssen und die Diskussion an den anderen Stationen nicht mitbekommen.
Die “Sesselkrise”
Kurz vor der Eröffnung des Info-Markts gab es noch eine kleine Krise: Die Haustechniker teilten uns mit, dass auf der Konferenzetage der Konzernzentrale nicht genügend Sessel zu Verfügung standen, um sowohl das Plenum als auch die Gruppenräume für einen so großen Teilnehmerkreis zu bestuhlen. Die Sessel müssten also vor der Aufteilung in die Gruppen umgeräumt werden, was selbst bei Einsatz alles verfügbaren Personals mindestens 15, eher 20 Minuten dauern würde, und bei der Rückkehr aus den Gruppen ins Plenum desgleichen.
… und die “Sesselprozession”
Unser Zeitplan war damit über den Haufen geworfen, noch bevor der erste Vortrag begonnen hatte, und für das Klima der Veranstaltung klangen diese Umbau-Unterbrechungen auch nicht gerade verheißungsvoll. Nach kurzer Diskussion entschlossen wir uns zu einer pragmatischen Lösung: Warum sollten Manager nicht Manns bzw. Weibs genug sein, ihre Sessel selbst in die Gruppenräume zu schaffen? Schließlich konnte man die Sessel auf ihren Stahlkufen mühelos über den Teppichboden vor sich her schieben. Kurzerhand bauten wir dies als kleine Lockerungsübung in das Programm ein und zogen in einer “Sesselprozession” unter großem Hallo ins die Nebenräume um, staunend und schmunzelnd beobachtet von den Haustechnikern, die so etwas noch nie erlebt hatten. Diese amüsante Episode trug mit dazu bei, die Atmosphäre der Veranstaltung zu entkrampfen.
Gehet hin und lehret alle Völker
Führungskaskade
Die Teilnehmer fuhren von dem Info-Markt mit dem Vorstandsauftrag nach Hause, die wesentlichen Inhalte der Veranstaltung auch an ihre Mitarbeiter zu kommunizieren. Zu diesem Zweck erhielten sie ein “Promotion Package”, also ein Informationspaket mit den wesentlichen Inhalten der Veranstaltung in der jeweiligen Landessprache. Allerdings wurde nicht nachgehalten, ob und in welcher Sorgfalt und Genauigkeit die Führungskräfte diesem Auftrag nachkamen. (Aus heutiger Sicht würde ich hier wenigstens auf ein Minimum an Kommunikations-Erfolgskontrolle wert legen, etwa in Gestalt eines Rückmeldebogens, in dem Datum und Dauer der Mitarbeiterinformation zu nennen sowie ein Feedback über Reaktionen und aufgetauchte Fragen zu geben ist.)
Auftakt zur Umsetzung
Nach dem Info-Markt ging es erst einmal mit dem elektronischen Newsletter weiter, bis drei Monate später der Punkt erreicht war, wo die Umsetzung vor Ort beginnen sollte. Da sie erhebliche Auswirkungen auf die einzelnen Standorte haben würde, fühten wir diesmal wieder Informationsveranstaltungen vor Ort durch, und zwar nach dem gleichen Muster wie zum Auftakt, nur dass diesmal das zuständige Vorstandsmitglied sowie fast alle Teilprojektleiter zu jedem einzelnen Standort reisten, um die Bedeutung dieses Aufbruchs zu unterstreichen. Diese Veranstaltungen waren der Auftakt zu der Umsetzung an den Standorten, an der eine sehr viel größere Zahl von Mitarbeitern beteiligt sein sollte.
… überrollt von der nächsten Welle
Mitten in diesen Prozess platzte die Nachricht, dass die gesamte Sparte an einen Wettbewerber verkauft werden sollte: Ein hautnahes Beispiel dafür, wie sich die Wellen der Veränderung zunehmend überlagern – und zugleich die nächste große Herausforderung für die Change-Kommunikation. Ein Nachweis für den Erfolg der Vorgehensweise lässt sich unter diesen Umständen kaum erbringen. Dennoch halten wir es für richtig und wichtig, gerade Restrukturierungen mit intensiver Kommunikation zu begleiten, um so von vornherein zu verhindern, dass Gerüchte und misstrauische Spekulationen eine gefährliche Eigendynamik entfalten.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.