HomeMethoden & WissenUnternehmenskultur & KulturveränderungNachhaltigkeit: Die bewusste Entscheidung zur Wahrung und Mehrung der Substanz
Der Begriff “nachhaltig” ist in der Geschäftssprache zu einem modischen Synonym für langfristig, dauerhaft geworden. Wenn etwa von einer “nachhaltigen Ertragssteigerung” die Rede ist, soll das in der Regel heißen, dass es nicht bloß um kurzfristige Effekte geht, sondern um Steigerungen, die von Dauer sind. Doch eigentlich bedeutet dieser Begriff etwas ganz anderes. Der Begriff “Nachhaltigkeit” kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und beschreibt einen Grundsatz guter forstwirtschaftlicher Praxis, nämlich, dass man aus einem Wald nicht mehr Holz entnimmt als dort nachwächst. Nur durch diese Selbstbeschränkung – und damit durch den bewussten Verzicht auf Raubbau – lässt sich gewährleisten, dass nicht nur man auf lange Sicht von den Erträgen dieses Waldes leben kann, statt durch kurzfristige Übernutzung langfristig die eigene Existenzgrundlage kaputt zu machen.

Den Bogen nicht überspannen

“Nachhaltigkeit” ohne Nachhaltigkeit

Wenn im Business von “Nachhaltigkeit” die Rede ist, schwingt dabei keineswegs die Mahnung mit, den Bogen nicht zu überspannen, um die langfristige Ertragskraft nicht zu gefährden – im Gegenteil: Wenn Vorstände eine “nachhaltige Ertragssteigerung” fordern, wollen sie damit gerade nicht sagen, dass mit den Ergebnisverbesserungen von heute auf keinen Fall die Substanz aufgezehrt werden dürfe, von der die Firma morgen leben muss. Vielmehr heißt ihre Forderung im Klartext: “Da geht noch mehr! Ich bin der Überzeugung, dass sich aus diesem Geschäft dauerhaft noch mehr herausholen lässt!” Dennoch ist die Forderung nach einer nachhaltigen Ertragssteigerung keine Aufforderung, ohne Rücksicht auf morgen herauszuholen, was herauszuholen geht. Vielmehr spielt der Gedanke der langfristigen Substanzerhaltung in dieser Forderung nach “Nachhaltigkeit” schlicht keine Rolle; er wird weder in Frage gestellt noch bildet er die Grundlage des Vorgehens; er ist schlicht nicht mitgedacht.

“Nachhaltigkeit” contra Nachhaltigkeit

Kurzfristige Verbesserungen zu Lasten des langfristigen Erfolgs

Das Problem ist nur: Wenn man auf diese Weise eine “nachhaltige Ertragssteigerung” fordert, läuft man Gefahr, dass sich die Forderung bei der Umsetzung in das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit verkehrt: Diejenigen, die den Auftrag dazu erhalten haben, verstehen ihn so, dass sie jetzt unter allen Umständen eine Ergebnisverbesserung abzuliefern haben – und das ist ja auch kein Missverständnis. Eine kritische Diskussion, welche dieser Ergebniseffekte wirklich “nachhaltig” sind und welche auf lange Sicht dem Geschäft eher schaden, ist dabei nur hinderlich. So verkehrt sich die nachlässige Verwendung des Begriffs “Nachhaltigkeit” unmerklich in ihr genaues Gegenteil: Statt einer sorgfältigen Analyse, wie man die Erträge steigern kann, ohne die Substanz des Geschäfts zu gefährden, werden unter dem Zeichen der “nachhaltigen Ertragssteigerung” nicht selten Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, die kurzfristige Kostensenkungen zu Lasten der langfristigen Geschäftsentwicklung bringen.

Beispiel Callcenter

Beispielsweise haben viele Firmen ihren telefonischen Kundenservice in Callcenter verlagert, teilweise sogar in nicht deutschsprachige Länder, und ihn zudem in First-Level- und Second-Level-Support untergliedert, ohne sich ausreichend um die Qualität der erbrachten Serviceleistungen zu kümmern. Auf diese Weise konnten sie zwar erhebliche Kosteneinsparungen – und damit Ertragssteigerungen – erzielen, aber “nachhaltig” im Sinne von nachhaltig waren sie gerade nicht: Viele Kunden verzweifelten an dem “Service”, den die überforderten und zunehmend frustrierten Hotline-Mitarbeiter ihnen boten.

Und während sich die Geschäftsleitungen damit trösteten, dass dies unvermeidliche Anlaufprobleme seien, luden die Kunden ihre Frustration in Diskussionsforen und Produktbewertungen im Internet ab. Mit der Folge, dass der gute Ruf mancher Firmen erheblichen Schaden nahm – und viele Kunden begannen, sich bei ihrer Kaufentscheidungen nicht mehr an den Empfehlungen von Fachzeitschriften und Warentestern zu orientieren, sondern an den in Einkaufsportalen veröffentlichten Kunden-Feedbacks. Resultat: Die angeblich “nachhaltige Ertragssteigerung” hat in etlichen Fällen die Substanz beschädigt und so der Nachhaltigkeit des Geschäfts nachhaltig geschadet.

Bedarf für wirkliche Nachhaltigkeit

Ähnliche Beispiele gibt es zuhauf, und sie haben das Wort “nachhaltig” in der Industrie zu einer modischen, aber inhaltsarmen Leerformel verkommen lassen. Dabei wäre es gerade angesichts der Krisen unserer Zeit durchaus lohnend, darüber nachzudenken, wie ein tatsächlich nachhaltiges Wirtschaften gestaltet werden könnte, also eines, das nicht ständig Blasen produziert, die sich früher oder später unter erheblichen Turbulenzen und Kollateralschäden entladen. Das gilt auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, aber es gilt auch auf Unternehmensebene, wo ebenfalls immer wieder kurzsichtige Optimierungen zu Lasten des langfristigen Unternehmenswertes vorgenommen werden, die alles sind, nur nicht nachhaltig. Auch Gewinnsteigerungen und Kostensenkungen zu Lasten der Substanz sind ja letzten Endes nichts anderes als Blasen, die die Ertragskraft des Unternehmens vorübergehend größer erscheinen lassen als sie wirklich ist – aber nur, weil sie klammheimlich einen Teils des Unternehmenswertes “liquidieren”.

Ein prinzipielles Dilemma

Die Grenze ist schwer zu bestimmen

Genau wie jeder Waldbesitzer steht auch jede Unternehmensleitung vor dem Dilemma zwischen kurzfristigem Ertrag und Nachhaltigkeit (in der eigentlichen Bedeutung des Wortes). Weder für die einen noch für die anderen ist es eine große Kunst, kurzfristig viel Geld herauszuholen, indem sie an die Substanz gehen. Was in aller Regel eine Zeit lang gut geht und “Eindruck macht”, aber eben nicht von Dauer ist. Doch in beiden Fällen ist die Grenze nicht ganz leicht zu bestimmen. Denn so einleuchtend das Prinzip ist, nicht mehr zu entnehmen als im gleichen Zeitraum an Substanz nachwächst, so schwer lässt sich objektiv bestimmen, wie viel denn genau nachwächst. In der Waldwirtschaft gibt es dazu Erfahrungswerte, aber auch hier spielen Klima und Witterungsbedingungen ebenso eine Rolle wie die eingesetzten Baumsorten. In ähnlicher Weise beeinflussen in der Wirtschaft die Entwicklungen von Markt und Wettbewerb, wie viel Substanz nachwächst, aber auch die interne Aufstellung des Unternehmens: seine Effizienz, seine Innovationskraft und nicht zuletzt seine Führungskultur.

Dilemma nicht mit Rhetorik lösbar

Dieses Dilemma ist nicht rhetorisch zu lösen. Natürlich kann man sich hinstellen und erklären: “Für uns sind kurzfristige Ertragskraft und langfristiger Erfolg kein Widerspruch.” Doch solche Deklarationen beseitigen das Dilemma nicht, sondern artikulieren lediglich die Weigerung, es zur Kenntnis zu nehmen. Entsprechend vage (und gereizt) sind deshalb in der Regel auch die Antworten auf die Frage: “Und weshalb ist das, was objektiv ein Zielkonflikt ist, für Sie kein Widerspruch? Auf welche Weise genau bringen Sie diese konkurrierenden Ziele unter einen Hut?” Prinzipiell ist es zwar möglich, die Ertragskraft eines Unternehmens tatsächlich “nachhaltig” zu steigern – aber dafür muss man sich dann wirklich etwas einfallen lassen: Das geht nur durch Innovationen, konsequentes Kostenmanagement und/oder eine wirksamere Vermarktung, nicht durch heroische Beschlüsse und ein verbales Wegwischen des Zielkonflikts.

Die Gretchenfrage der Ertragssteigerung

Während im Wald weitgehend durch die Natur vorgegeben ist, wie viel Holz pro Hektar nachwächst, kann ein Unternehmen durch kluges Vorgehen sowohl die “Anbaufläche” vergrößern als auch den “Hektarertrag” dauerhaft steigern: etwa durch effizientere Prozesse, bessere Technik, vor allem aber auch durch den “Anbau” attraktiverer Produkte. Doch bei jeder Ertragssteigerung stellt sich unerbittlich die Frage nach ihrer wirklichen Nachhaltigkeit: Beruht sie auf echten Innovationen, die zu einem dauerhaften Produktivitätsfortschritt und/oder zu einem zusätzlichen Nutzen für die Kunden geführt haben, oder geht die Ertragssteigerung offen oder verdeckt zu Lasten der Substanz? Diese Frage ist nicht einfach zu entscheiden, und es sind – siehe Call Center – Fehleinschätzungen und Irrtümer möglich: Es hätte ja sein können, dass das Callcenter-Konzept funktioniert. Im Nachhinein ist es immer leicht, Fehlschläge “vorherzusagen”, doch vorab ist längst nicht bei jeder Innovation eindeutig zu erkennen, ob sie trägt.

Der Vorstand muss Hüter der Nachhaltigkeit sein

Doch gerade weil diese Frage einerseits schwer zu entscheiden, andererseits von existenzieller Bedeutung für den langfristigen Unternehmenswert ist, muss sich der Vorstand bzw. die Geschäftsführung als oberster Hüter der Nachhaltigkeit verstehen. Es ist ausgesprochen riskant und potenziell verhängnisvoll, diese Aufgabe mit der vieldeutigen Forderung nach “nachhaltigen Verbesserungen” nach unten zu delegieren. Zwar ist es natürlich notwendig, ständig zu schauen, wie sich Kosten senken und Erlöse steigern lassen, doch wer, wenn nicht der Vorstand, soll darüber wachen, dass solche Maßnahmen nicht zu Lasten der Substanz gehen? Dies zu entscheiden – und zu verantworten! –, ist nur aus einer Gesamtperspektive heraus möglich, die auch die direkten oder indirekten Auswirkungen der ins Auge gefassten Maßnahmen erkennt und ins Kalkül zieht. Gerade weil Projektleiter und mittlere Manager immer unter Druck stehen, Ergebnisse und Verbesserungen vorzuweisen, muss die Geschäftsleitung, damit das Unternehmen keinen Schaden nimmt, eisern darüber wachen, dass nur Maßnahmen umgesetzt werden, die im wahren Sinne des Wortes nachhaltig sind, also die mittel- und langfristige Ertragskraft des Unternehmens nicht beeinträchtigen – und sie nach Möglichkeit zu verbessern.

Ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit

Ökonomische Nachhaltigkeit ist Grundlage

Jene konsequente Orientierung am Substanzerhalt, die für Unternehmen richtig ist, muss auch und erst recht für den Umgang mit der unseren natürlichen Lebensgrundlagen gültig sein. Viele Unternehmen bemühen sich daher mittlerweile auch um Nachhaltigkeit in einem ökologischen Sinne, also darum, ressourcenschonend und energieeffizient zu wirtschaften. Etliche veröffentlichen darüber “Nachhaltigkeitsberichte” oder “Corporate Responsibility Reports”. Die ökonomische Nachhaltigkeit ist dabei in gewisser Weise das Fundament für die ökologische: Wer sogar mit der eigenen Substanz Raubbau betreibt, wird mit den natürlichen Ressourcen, deren Dahinschmelzen ihn nicht so unmittelbar betrifft, kaum achtsamer umgehen.

Kein Alibi,sondern Ausdruck eines Wertewandels

Manche Kritiker halten diese Bemühungen um Nachhaltigkeit für Alibi-Veranstaltungen oder gar für arglistige Täuschungsmanöver – und das mag in manchen Fällen auch zutreffen, wird den Anstrengungen in ihrer Gesamtheit aber nicht gerecht. Tatsächlich ist es wohl eher so, dass hier hier ein wachsendes Drängen aus den Belegschaften, veränderte Erwartungen der Öffentlichkeit und eine zunehmende Handlungsbereitschaft vieler Manager zusammentreffen.

Beispielsweise bezieht sich schon seit Jahren in vielen Firmen ein erheblicher Teil der eingereichten Verbesserungsvorschläge auf Umweltfragen. Auch bei der Personalbeschaffung – und vor allem bei höher qualifiziertem Personal – ist es ein Vorteil, wenn ein Unternehmen belegen kann, dass es ökologische Belange ernst nimmt und auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle spielt. Immer weniger Hochqualifizierte und Nachwuchstalente möchten bei einer Firma arbeiten, die als “Umweltferkel” gilt – jedenfalls sofern sie Alternativen dazu haben. Mit bloßer Imagekosmetik ist es dabei nicht getan: Wer hohe Umwelt- oder Sozialstandards für sich in Anspruch nimmt, wird von einer kritischen Öffentlichkeit auch daran gemessen – und kann erheblichen Stress bekommen, wenn er den selbstgesetzten Ansprüchen nicht gerecht wird.

Signal für gute Marktposition

Richtig ist trotzdem, dass man sich solche Anstrengungen leisten können muss. Wer ökonomisch mit dem Rücken zur Wand steht, der kann sich ökologische (und auch ökonomische) Nachhaltigkeit kaum leisten. Wer ums Überleben kämpft, dem bleibt kaum anderes übrig als in die Rücklagen zu greifen, auch wenn er damit von der Substanz zehrt. Zwar kann ein sparsamerer Ressourceneinsatz in vielen Fällen helfen, Kosten zu sparen, doch oft sind dafür erst einmal Vorleistungen in Form von Geld und Arbeitszeit erforderlich. Und manchmal ist Nachhaltigkeit eben auch teurer, weil sie es erforderlich macht, teurere Verfahren oder Vorprodukte einzusetzen.

Ausweis eines langfristig orientierten Managements

Insofern kann man dabei an das “Handicap-Prinzip” erinnert fühlen, das die Soziobiologen Amotz und Avishai Zahavi entdeckt haben: Ein Unternehmen, das besonderen Wert auf Nachhaltigkeit legt und dafür auch Zeit und Geld aufwendet, präsentiert sich damit auch als starkes Unternehmen. Es zeigt damit, dass es wirtschaftlich gut dasteht, überdurchschnittlich leistungs- und wettbewerbsfähig ist und modern und verantwortungsbewusst ist: Eine subtile, aber clevere Form der Imagewerbung. Sogar für Investoren kann das die Attraktivität erhöhen, begründet es doch die Vermutung, dass dieses Unternehmen nicht ausschließlich nach kurzfristigen Renditeerwartungen geführt wird – und damit ein besseres Langfrist-Investment ist als Anteile von Firmen, bei denen jedes Quartal, koste es was es wolle, immer spektakuläre Zahlen herausgepresst werden.

Was heißt Nachhaltigkeit für das eigene Unternehmen?

Suche nach geeigneten Kriterien

Aber was heißt Nachhaltigkeit bei Wirtschaftsunternehmen? Wie kann man dies bestimmen, und woran kann man es messen? Das alte forstwirtschaftliche Kriterium, aus einem Wald nicht mehr an Holz zu entnehmen als im gleichen Zeitraum nachwächst, lässt sich nur dort anwenden, wo es um die unmittelbare “Ernte” natürlicher Ressourcen geht – etwa um Agrarproduktion oder Fischfang. Schon auf der nächsten Wertschöpfungsstufe taugt dieses Bezugssystem nicht mehr: Was heißt ökologische Nachhaltigkeit etwa für ein Sägewerk oder für eine Möbelfabrik, was heißt sie für einen Fischhändler oder eine Molkerei? Was heißt sie, wenn wir uns noch eine Stufe weiter von der Erzeugung der Rohmaterialen entfernen, für eine Schreinerei oder einen Möbelhändler, was für einen Lebensmittelhändler oder einen Gastwirt? Was gar für eine Bank oder Versicherung?

Vorprodukte aus nachhaltiger Erzeugung

Ein Kriterium für diese nachgelagerten Wertschöpfungsstufen kann sein, nur Vorprodukte zu verwenden, die aus nachhaltiger Erzeugung stammen – oder zumindest nach Möglichkeit auf solche Vorprodukte zurückzugreifen. Schon hier lässt sich erahnen, dass das erstens teurer werden dürfte, weil eine nachhaltige Produktion halt oft aufwendiger ist, und zweitens oft auch kompliziert. Denn zum einen ist die Nachhaltigkeit mit wachsendem Abstand zum Erzeuger immer schwieriger festzustellen, zum anderen sind bei manchen Produkten gar nicht die erforderlichen Mengen aus nachhaltiger Erzeugung verfügbar. In manchen Bereichen kann man sich auf Zertifizierungen stützen, in anderen kommt man um eigene Prüfungen nicht herum. Manchmal wird es sogar notwendig sein, sich die entsprechenden Lieferanten Schritt für Schritt aufzubauen. Dass das keine weltfremde Utopie ist, beweist die Tatsache, dass es etliche Lebensmittelerzeuger längst gemacht haben.

Beispiel Energie

Bei manchen Vorprodukten und Betriebsmitteln wird die Sache noch komplizierter – etwa bei der Energie. Denn dort werden wir, ob wir es wollen oder nicht, mit Grundfragen unserer Gesellschaft konfrontiert. Wenn wir etwa innerhalb weniger Generationen die Öl-, Gas- und Kohlevorräte unserer Welt aufbrauchen, die in der Erdgeschichte über Jahrmilliarden entstanden sind, kann die Frage, was hier Nachhaltigkeit bedeuten könnte, zwar ein heilsames Entsetzen auslösen, aber auch eine tiefe praktische Ratlosigkeit. Zumal auch die erneuerbaren Energien nicht frei von Problemen sind: Der Bau von Wasserkraftwerken ist ein tiefer und zerstörerischer Eingriff in das Ökosystem der betroffenen Flüsse; die Gewinnung von Wind- und Sonnenenergie kann das Landschaftsbild beeinträchtigen, und Biomasse erzeugt eine hochproblematische Konkurrenz zwischen Energie- und Nahrungsproduktion, die im Zweifel zu Lasten der Ärmsten dieser Welt geht. Andererseits lässt sich eine internationale Logistik schlecht auf der Basis von Fahrradkurieren organisieren – auch wenn der Beschäftigungseffekt ohne Zweifel erfreulich wäre.

Den “Stand der Technik” verschieben

Hier zeichnet sich bereits ab, dass es kaum möglich ist, perfekte Lösungen zu finden, sondern dass es um pragmatische Kompromisse gehen muss: Lösungen, die nicht ideal, vielleicht sogar anfechtbar sind, die aber trotzdem deutlich besser sind als ganz schlecht. Als gedankliches Vorbild kann dabei der “Blaue Engel” dienen: Mit ihm können Produkte ausgezeichnet werden, die in ihren Umwelteigenschaften besser sind als die besten Vergleichsprodukte, also solche, die also den “Stand der Technik” zugunsten der Umwelt verschieben. Das zumindest ist in jeder Branche möglich, und es ist zugleich ein gutes Training für die Kreativität und Innovationskraft von Management und Belegschaft – und hat zugleich auch einen sehr positiven Marketingeffekt, selbst wenn das nicht der primäre Zweck der Übung war.

Nachhaltigkeitsprojekte praktisch

Wie immer: Ein Projektteam

Aber wie kann man ein solches “Nachhaltigkeitsprojekt” konkret angehen? Im Grunde so wie jedes andere interne Veränderungsprojekt, das im Umfeld von Prozessoptimierung und Kulturveränderung angesiedelt ist: Man nehme ein Projektteam, das unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven vereint, füge, wenn nötig, einen externen Berater hinzu, der methodische Unterstützung liefert, und gebe ihnen Ziele.

Man kann auch mit vagen Zielen anfangen

Theoretisch sollten Ziele immer “SMART” sein: spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und dann auch noch terminiert. Aber das ist im richtigen Leben gar nicht so einfach, vor allem, wenn man mit einem Projekt in Neuland aufbricht. Denn um solche “smarten” Ziele setzen zu können, müsste man schon eine Menge darüber wissen, wie groß die Potenziale für das eigene Unternehmen sind, was überhaupt erreichbar ist, und auch, mit wie viel Aufwand das verbunden wäre. Wenn man das jedoch wüsste, hätte man das Problem schon zur Hälfte gelöst.

Stattdessen hat man am Anfang meist nur eine grobe Richtung: Dass das Unternehmen nämlich “nachhaltiger” werden soll, weil man Grund zu der Vermutung hat, dass da mehr ginge als heute realisiert ist. Entgegen allen smarten Lehrsätzen lautet der Auftrag also möglicherweise nur etwas vage: “Schaut einfach mal, wie wir im Bezug auf Nachhaltigkeit dastehen und was wir tun könnten oder sollten, und macht uns dann einen konkreten Vorschlag! Und zwar bis …” – damit wenigstens das “terminiert” erfüllt ist.

Partizipative Bestands-aufnahme

Das hört sich nach einer Bestandsaufnahme an – und das ist in der Tat kein schlechter Anfang, wenn man noch nicht genau weiß, was man genau vorhat und wie man es anpacken soll. Diese Inventur darf nicht nur eine fachliche Analyse sein, die von einigen wenigen Experten unternommen wird, sondern sollte als Bewusstseinsbildungsprozess angelegt werden, der das gesamte Unternehmen umfasst. Denn wie bei fast allen Veränderungsthemen, so gilt auch hier: Man muss das Problem verkaufen, bevor seine Lösung verkauft. Wenn man nämlich daran geht, Lösungen zu implementieren, die einige Fachleute entwickelt haben, bevor der Handlungsbedarf ausreichend vermittelt wurde, läuft man Gefahr, dass viele Mitarbeiter und Führungskräfte bis hinauf ins Management darauf mit der derben Frage reagieren: “Was soll denn der Quatsch schon wieder?!”

Ein breit angelegter Veränderungsprozess

Dialog schafft Akzeptanz

Daher ist es sinnvoll, die Bestandsaufnahme als einen breiten Prozess anzulegen, in dem alle Mitarbeiter und Führungskräfte – einschließlich des Betriebsrats – dazu aufgefordert sind, ihre Sichtweise einzubringen, und – beispielsweise in abteilungsspezifischen Workshops – die Gelegenheit dazu haben. Wenn das geschieht, hat es zwei nützliche Effekte: Erstens schauen sich alle Beteiligten ihre Prozesse und Vorgehensweisen unter der Perspektive der Nachhaltigkeit neu an; und zweitens geraten sie dabei in eine lebhafte Debatte darüber, wie wichtig dieses Ziel eigentlich ist und wie viel sie und ihr Unternehmen dafür zu tun bereit sein sollten. Bei diesem Vorgehen entsteht eine völlig andere Diskussion als wenn es bereits um die Implementierung fertiger Lösungen ginge: Wenn sie mit fertigen Lösungen überfallen werden, reagieren die allermeisten Menschen mit Unwillen und Widerstand; wenn sie hingegen die Möglichkeit haben, sich mit der Sache auseinanderzusetzen und sich im Dialog mit Vorgesetzten, Kollegen und Experten eine Meinung zu bilden, entsteht in der Regel eine abgewogene Akzeptanz für den einzuschlagenden Weg.

Anfangen und weiter machen

Zugleich sind diese Diskussionen auch ein Realitäts- und Akzeptanztest für die ins Auge gefassten Lösungen. Wenn das Projektteam seine Ideen nämlich regelmäßig mit der internen Öffentlichkeit rückkoppelt, wird sowohl sichtbar, welche Lösungen realitätstauglich sind und welche nicht, als auch, welche von den Betroffenen angenommen und mitgetragen werden. Um eine breite Akzeptanz zu erreichen, ist hier unter Umständen ein stufenweises Vorgehen sinnvoll: Statt eine 100-Prozent-Lösung gegen massive Widerstände durchzudrücken, kann man in einem ersten Schritt eine Basis schaffen, die von der Mehrzahl der Beteiligten akzeptiert ist und auf die man im Folgenden aufbauen kann. Denn die Diskussion geht ja weiter – sowohl im Unternehmen als auch in der Öffentlichkeit. Deshalb ist es sinnvoller als Hau-Ruck-Aktionen, den Weg zum nachhaltigen Unternehmen als Prozess zu sehen, den man einmal irgendwie beginnen, den man dann aber auch mit beharrlichen Schritten weiter gehen muss.

Umsetzung der Nachhaltigkeit nachhalten!

Diese Offenheit für Diskussionen heißt freilich nicht, dass es ins Belieben jedes Einzelnen gestellt bleiben darf, ob und in welchem Umfang die verabredeten Maßnahmen umgesetzt werden. Was festgelegt wurde, ist dann auch umzusetzen, und da darf es ebenso wenig wie bei anderen Veränderungsprozessen hingenommen werden, wenn einzelne Personen oder Bereiche sich aus der Verantwortung zu stehlen versuchen. Damit das überhaupt transparent wird, muss die Umsetzung auch nachgehalten werden, was wiederum am einfachsten und sichersten geht, wenn ein entsprechendes Messsystem installiert wird. Das übt nicht nur einen gewissen Handlungsdruck auf alle Beteiligten aus, sondern wirkt auch als Ermutigung, wenn messbare Fortschritte zu erkennen sind – und unterstützt so die Bereitschaft, bei dem Thema weiter am Ball zu bleiben.

Ganzheitliche Kulturentwicklung

So betrachtet, ist das Thema Nachhaltigkeit weit mehr als bloß die mehr oder weniger “technische” ökologische Optimierung einiger Prozesse von Beleuchtung über Heizung bis Supply Chain: Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich als eine Kulturentwicklung, bei der es entscheidend darauf ankommt, die Menschen mitzunehmen – in erster Linie natürlich die eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte, in einer erweiterten Betrachtung aber auch Kunden und Lieferanten. Das erfordert eine Menge an Diskussionen, Auseinandersetzungen und Überzeugungsarbeit, und es erfordert auch die Neuausrichtung von Mess- und Beurteilungssystemen. Zugleich ist es aber ein Prozess, der alle Beteilligten weiterbringt und einen wichtigen Beitrag zur “Zukunftsfähigkeit” unseres Wirtschaftens leistet.

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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