Inhaltsverzeichnis:
Dejà-vu-Erlebnisse
“Schlussstrich”
Für neue Vorstände und Berater neigen zuweilen zu dem Glauben, die Geschichte des Unternehmens beginne im Grunde erst mit ihrem Eintritt in dieselbe. Für sie ist es verlockend, am Beginn eines großen Veränderungsvorhabens einen Neuanfang auszurufen. Was auch immer in der Vergangenheit war, es soll ein Schlussstrich unter alle Kämpfe, Debatten und Grabenkriege gezogen und ein neuer Anfang gemacht werden. Was für sie den Charme hätte, dass sie sich mit all den alten Geschichten nicht mehr zu befassen brauchten.
Vorgeschichte
Den Angesprochenen fällt das Ziehen eines Schlussstrichs nicht ganz so leicht: Niederlagen, Verletzungen und Enttäuschungen sind Bestandteil der eigenen Geschichte; sie lassen sich nicht wegwischen, sondern gehen unvermeidlich als “Altlasten” in jeden neuen Veränderungsprozess ein. Doch auch Erfolge, Ergebnisse und Vereinbarungen, die nach langen Auseinandersetzungen schließlich errungen wurden, will sich niemand so ohne Weiteres aus der Hand nehmen lassen. All dies einfach für überholt zu erklären, wird von vielen engagierten Mitarbeitern als unzulässiger Übergriff empfunden.
Erinnerung an zurückliegende Enttäuschungen
Bereitschaft
Trotzdem würden über den ersten Neuanfang die meisten Mitarbeiter und Führungskräfte noch mit sich reden lassen, insbesondere wenn klar ist, dass die Lage des Unternehmens dies notwendig macht. In einer schwierigen Gesamtsituation sind die meisten durchaus bereit, über ihren Schatten zu springen, Erreichtes und Verfehltes glattzustellen und einen neuen Anfang zu wagen.
Wachsende Abnutzung
Doch beim dritten Neubeginn lässt die Aufgeschlossenheit auch bei den Gutwilligsten spürbar nach, und spätestens beim fünften folgen nur noch ärgerliche, zynische und sarkastische Reaktionen – insbesondere, wenn diese Neuanfänge von Personen ausgerufen werden, die mit der Vorgeschichte nicht vertraut sind und sich auf diese Weise lediglich “eine fruchtlose (sprich: mühsame) Beschäftigung damit ersparen wollen”.
Bedachte Wortwahl
Wenn Sie daher für ein größeres Veränderungsvorhaben verantwortlich sind, überlegen Sie sich deshalb dreimal, ob Sie dafür Worte in den Mund nehmen wollen, die mit “Neu…” beginnen. Verwenden Sie solche volltönenden Verheißungen nur, wenn Sie mit der Vorgeschichte vertraut sind und wissen, dass der Wunsch nach einem Neubeginn nicht nur Ihren Bedürfnissen entspringt, sondern einer Grundstimmung im Unternehmen.
Zusätzliche Erwartungen
Und seien Sie sich bewusst, dass Sie mit der Wahl dieser Worte zusätzliche Verantwortung übernehmen. Denn wenn Sie einen Neubeginn versprechen, müssen Sie ihn um Ihrer Glaubwürdigkeit willen auch liefern. Das beginnt damit, dass Sie selbst mit unguten Traditionen aus der Vergangenheit brechen. Denn sonst produzieren Sie Enttäuschungen, Konflikte und tragen zur weiteren Entmutigung der Belegschaft bei. Wobei oftmals schwer zu erraten sind, welche Erwartungen Mitarbeiter und Management mit einem Neubeginn verbinden – sodass die erhebliche Gefahr von Fehldeutungen und daraus erwachsenden Enttäuschungen besteht.
Rückblickende Betrachtung
Überlegenswert ist deshalb, solche Begriffe, wenn überhaupt, erst im Nachhinein zu verwenden. Wenn Sie nach vollbrachter Tat bilanzierend feststellen: “Das war in vieler Hinsicht ein Neubeginn”, dann beziehen Sie sich erstens auf Dinge, die tatsächlich erreicht worden sind, und zweitens bringt das “in vieler Hinsicht” zum Ausdruck, dass eben nur manches, aber nicht alles, Gegenstand des Neubeginns war, dass also auch manche guten Dinge bewahrt und erhalten worden sind.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.