HomeMethoden & WissenChange ManagementChange ManagementVerdeckte Verhandlungen: Die Rationalisierung von Eigeninteressen
Viele Situationen im Change Management sind ihrem Charakter nach verdeckte Verhandlungen: Hinter der Maske einer “rein sachlichen” Diskussion werden in Wirklichkeit Eigeninteressen ausgefochten. Manchmal kommt das schon in der Bestandsaufnahme vor, wenn heftig über die Repräsentativität von Daten oder die “wahre” Sachlage gestritten wird, weil Betroffene die möglichen Konsequenzen der entstehenden Befunde ahnen. Das häuft sich, wenn es an die Umsetzung geht. Auch Fragen der Arbeitsverteilung und der Terminplanung im Projekt sind ein beliebter Gegenstand verdeckter Verhandlungen.

Hinter den Kulissen der “Sachdiskussion”

Uneingestandene Eigeninteressen

Zu verdeckten Verhandlungen kommt es immer dann, wenn Menschen einerseits das Gefühl haben, es sei nicht ratsam, sich offen zu ihren Interessen zu bekennen, sie ihre Interessen andererseits doch, so gut es geht, durchsetzen wollen. Die Tendenz, seine Interessen zu verleugnen, hat seine Gründe sowohl in der Persönlichkeit des Einzelnen als auch in den ungeschriebenen Regeln des sozialen Systems, in dem er sich bewegt.

Was ist das Besondere an verdeckten Verhandlungen, und welche Gesetzmäßigkeiten gelten für sie? Es geht schon damit los, wie es losgeht:

Der Trick, vollendete Tatsachen zu schaffen

“Normative Kraft des Faktischen”

Am günstigsten ist es natürlich, wenn man seine Interessen ohne Verhandlung erreicht. Deshalb ist es ein beliebter Trick, der verdeckten Verhandlung dadurch zuvorzukommen, dass man Fakten schafft – zum Beispiel indem man als Projektleiter die Arbeitsverteilung kurz vor der Abreise zu einem wichtigen Termin festlegt und (angeblich oder tatsächlich) keine Zeit für Diskussionen hat. Oder indem man als Mitarbeiter seine Arbeitsergebnisse so spät abliefert, dass keine Möglichkeit für vertiefende Untersuchungen mehr besteht.

Nicht überrumpeln lassen!

Für die Abwehr dieser Taktik gilt: Wer sich überrumpeln lässt, hat verloren. Wenn Sie mit Ihren Interessen also nicht unter die Räder kommen wollen, müssen Sie in solchen Fällen ein klares und deutliches Stopp-Signal setzen: “Augenblick mal! Das geht so nicht!” Dabei kommt es nicht primär auf die Qualität Ihrer Argumente an, sondern auf den Nachdruck Ihres Auftretens. Nur wenn Sie es schaffen, den abfahrenden Zug anzuhalten, haben Sie überhaupt noch eine Chance zur Einflussnahme.

Wiederaufnahme schwierig

Natürlich kann man, wenn man sich doch hat überrumpeln lassen, versuchen, eine “Wiederaufnahme” durchzusetzen. Doch der Widerstand dagegen wird erheblich sein, weil die anderen Beteiligten wenig Neigung verspüren werden, eine bereits geregelte Sache noch einmal aufzurollen. Zudem entfaltet die “Normative Kraft des Faktischen” umso mehr ihre Wirkung, je mehr Zeit verstrichen ist: Die Realität hat sich bereits in der eingeschlagenen Richtung weiterentwickelt; die anderen Teammmitglieder haben zum Beispiel bereits begonnen, gemäß der festgelegten Rollenverteilung zu arbeiten, sodass es nach einiger Zeit aus rein praktischen Gründen kein Zurück mehr gibt.

Die Spielregeln verdeckter Verhandlungen

Sich das Problem nicht zu eigen machen

Mit dem Widerspruch gegen die Vorgabe oder den Regelungsvorschlag ist die verdeckte Verhandlung eröffnet. Möglicherweise beginnt sie mit einer Vor-Verhandlung, bei dem die andere Seite noch einmal der Versuch macht, über den “Sachzwang” des Zeitproblems vollendete Tatsachen zu schaffen. Die richtige Taktik ist in diesem Fall, das Zeitproblem zur Kenntnis zu nehmen, ohne es sich aber zu eigen zu machen. So nach der Devise: “Das ist möglicherweise ein Problem, aber es ist ganz sicher nicht mein Problem.” Oder, noch kühler: “So wie Sie das darstellen, scheint hier in der Tat ein Zeitproblem zu bestehen. Also sollten Sie dringend etwas unternehmen, um es zu lösen!”

Sich nicht jeden Schuh anziehen

Diese Gedanken müssen Sie nicht unbedingt aussprechen, aber Sie sollten sie zur Grundlage Ihres Handelns machen. Denn bei solchen “Zeit-Spielen” ist ganz entscheidend, zu wessen Lasten die Zeit läuft: Wer ist unter Zeitdruck: Der Projektleiter, der zum Flieger muss, oder der Mitarbeiter, der mit der Aufgabenverteilung nicht einverstanden ist? Wenn Sie den Zeitdruck zu Ihrem Problem machen (lassen), dann werden Sie auch kaum umhinkommen, seine Konsequenzen zu akzeptieren.

Dialektisches Streitgespräch

Für die verdeckte Verhandlung selbst gelten die Spielregeln des dialektischen Streitgesprächs: Argumente und Gründe sind taktische Werkzeuge, um die eigene Position durchzusetzen; ihr Gewicht und selbst ihr Wahrheitsgehalt sind nachgeordnete Größen; allein Plausibilität, Eindruck und Wirkung zählen. (Dass Sie sich vermutlich trotzdem an gewisse Mindeststandards der Redlichkeit halten, ist eine ethische und keine taktische Frage.) Gesprächsziel des Streitgesprächs ist das rhetorische Schach-Matt bzw. das Aufgeben des Gegners: Also dass er zähneknirschend einlenkt, nicht, weil Sie ihn überzeugt haben (natürlich nicht), sondern weil ihm keine Gegenargumente mehr einfallen.

Zügig zu einem Ergebnis!

Versuchen Sie, verdeckte Verhandlungen möglichst zügig zu einem Ergebnis zu führen! Je länger man miteinander gerungen hat, desto größer ist am Schluss die Frustration für den, der unterliegt. Das birgt das Risiko einer dauerhaften Belastung der Beziehung. Natürlich haben Sie die Verhandlungsdauer nicht alleine unter Kontrolle. Das Wichtigste, was Sie dennoch zur Abkürzung tun können, ist, in Ihren Aussagen deutlich zu sein – vor allem in Bezug auf die Frage, wofür Sie unter keinen Umständen zu haben sind. Lassen Sie keine Erwartungen entstehen, die Sie nicht erfüllen wollen oder können, und verhindern Sie auch, dass falsche Hoffnungen entstehen! Wenn Sie am Anfang den Eindruck vermitteln, dass Sie sich unter Umständen doch breitschlagen ließen, verdoppeln Sie die Frustration Ihres Verhandlungsgegner, wenn Sie sich am Schluss doch unnachgiebig zeigen.

Wechsel in eine offene Verhandlung

Interessen auf den Tisch legen

Prinzipiell ist es in einer verdeckten Verhandlung jederzeit möglich, in eine offene Verhandlung überzuwechseln. (Außer – siehe oben – in Organisationen, in denen die Artikulation von Eigeninteressen tabu ist.) Der Wechsel in eine offene Verhandlung geschieht einfach dadurch, dass man sich offen zu seinen Interessen bekennt. Weniger ratsam ist, sich selbst bedeckt zu halten und stattdessen die Interessen des Verhandlungsgegners anzusprechen. Das würde er mit großer Wahrscheinlichkeit, als Foul ansehen – und die Unterstellung von Eigeninteressen gerade dann, wenn Sie richtig liegen, mit Schärfe zurückweisen.

Auch ein taktisches Kalkül

Der Wechsel in die offene Verhandlung kann angebracht sein, um ein Spiel mit falschen Karten, das immer offensichtlicher und unehrlicher wird, zu beenden und das Gespräch so abzukürzen: “Lassen Sie uns die Karten doch offen auf den Tisch legen. Mir geht es im Kern um Folgendes: ….” Allerdings setzt das ein gewisses Vertrauen in den Verhandlungsgegner voraus. Denn wenn der nicht mitzieht, sondern weiter kühl behauptet, dass es ihm ausschließlich um das große Ganze gehe, haben Sie sich einen taktischen Nachteil eingehandelt. Umgekehrt kann der Wechsel in die offene Verhandlung auch ein taktisch sinnvoller Schachzug sein – nämlich der letzter Ausweg, wenn man das taktische Streitgespräch zu verlieren droht.

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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