Inhaltsverzeichnis:
Schreckens-visionen
Kreisen um die Katastrophe
Dass solche Katastrophenphantasien ziemlich qualvoll sein können, weiß jeder, der es schon einmal ausprobiert hat. Die angstvollen Grübeleien sind noch nicht einmal das Schlimmste. Noch verheerender ist, dass sie jede Initiative lähmen. Denn wer ständig zwischen der Panikvorstellung, mitten in seiner Rede stecken zu bleiben, und dem verbissenen Vorsatz “Ich darf auf keinen Fall stecken bleiben!” hin und her pendelt, der ist kaum zu einer zuhörerorientierten Aufbereitung seiner Gedanken in der Lage. (Sie können das Beispiel auf beliebige andere Stressituationen übertragen.)Zudem besteht die Gefahr, dass diese Angstvorstellungen genau das Problem herbeiführen, das sie befürchten. Denn wer sich ständig vorsagt: “Ich darf auf keinen Fall stecken bleiben!”, der fixiert sich so auf das Steckenbleiben, dass er beste Chancen hat, seine Befürchtung Wahrheit werden zu sehen.
In drei Schritten zur emotionalen Entlastung
Nutzlose Beruhigungen
Aber was kann man tun, wenn man entweder selbst zu Katastrophenphantasien neigt oder mit einem Gesprächspartner zu tun hat, der innerlich bereits mitten in der Katastrophe steckt? Das Verleugnen der Bedrohung hilft in solchen Fällen ebenso wenig wie Beschwichtigungsformeln. Erst recht bringt es nichts, wenn einem wohlmeinende Mitmenschen gut zureden: “Du brauchst Dir überhaupt keine Sorgen zu machen!” oder: “Du schaffst das! Ich weiß, dass Du es schaffst!”
Drei Schritte zur Entlastung
Eine dauerhafte Entlastung ist nur auf dem genau umgekehrten Weg zu erreichen, nämlich dadurch, dass man der befürchteten Katastrophe ins Auge sieht und sie in aller Konsequenz zu Ende denkt. Den folgenden Dreischritt verdanke ich meinem Kollegen Dr. Hermann Bayer:
- Den schlimmsten denkbaren Fall als reale
Möglichkeit akzeptieren (“Ja, es kann passieren,
dass ich stecken bleibe!”). Wie wahrscheinlich
das ist, steht auf einem anderen Blatt, aber an der
Tatsache, dass dieses Risiko besteht, führt kein Weg
vorbei. - Die “größte anzunehmende Katastrophe” in aller Konsequenz zu Ende denken (“Falls ich tatsächlich stecken bleiben sollte und ich nicht mehr weiter weiß, wird die Situation vermutlich wie folgt weiter gehen: …”).
- Alles Erforderliche tun, um für einen erfolgreichen Verlauf zu sorgen (“Egal ob ich stecken bleibe oder nicht, folgende Punkte möchte ich den Leuten in jedem Fall rüberbringen: …”).
Reihenfolge einhalten
Dieser dritte Schritt funktioniert erst dann, wenn Sie den zweiten nicht übersprungen oder halbherzig ausgeführt, sondern wirklich zu Ende gebracht haben. Dass es so weit ist, erkennen Sie daran, dass der Druck allmählich nachlässt und eine gewisse innere Beruhigung einkehrt. Wenn Sie “den Boden gefunden” haben, löst sich die unterschwellige Panik auf, ins Bodenlose zu fallen. Damit wird der Kopf frei für neue Gedanken.
Die Katastrophe in aller Konsequenz zu Ende denken
Den Film wieder zum Laufen bringen!
Der zweite Schritt ist der entscheidende. Er ist deshalb besonders wichtig, weil er den angehaltenen Film wieder zum Laufen bringt. Wenn Sie den Mut haben, gleich ob für sich alleine oder im Gespräch mit jemanden anderen, den schlimmsten Fall zu Ende zu denken, relativiert das die allermeisten sozialen Katastrophen. Niemand, der sich vor dem Steckenbleiben fürchtet, würde ernstlich annehmen, dass er auch am anderen Tag noch in der selben Situation dasteht. Bei aller Panik würde vermutlich jeder einräumen, dass die befürchtete Katastrophe in weniger als einer Stunde vorbei wäre – ihre emotionalen Nachwirkungen nicht mitgerechnet. Es hat etwas enorm Befreiendes, wenn einem bewusst wird, dass, gleich wie die gefürchtete Situation ausgeht, doch am anderen Morgen die Sonne wieder aufgehen wird. Oder, weniger blumig gesagt, dass das Leben weiter gehen wird, und dass es trotz der erlebten Katastrophe auch weiter seine schönen Seiten haben wird.
Die möglichen Folgen durchdenken
Dabei geht es gerade nicht darum, die Situation und ihre möglichen Folgen zu bagatellisieren. Es geht im Gegenteil darum, der Gefahr ins Auge zu schauen und die möglichen Risiken in aller Konsequenz zu durchdenken: Würde eine solche Situation peinlich sein? Mit Sicherheit, und zwar sowohl für Ihnen selbst als auch den meisten Anwesenden. Würde sie Ihrem Selbstwertgefühl und Ihrer Reputation schaden? Vermutlich schon, wenn auch wohl weniger als Sie in Ihrer Panik befürchten. Würden die Leute über Ihren Blackout tratschen und Sie möglicherweise auch damit aufziehen, vielleicht sogar ihr Leben lang? Möglich – auch wenn der Neuigkeitswert der Geschichte rapide nachlässt. Werden die Leute, sobald Sie sich irgendwo blicken lassen, mit den Fingern auf Sie zeigen: “Schaut mal, das ist der, der in seiner Rede steckengeblieben ist und nicht mehr weiter wusste!”? Das ist dann wohl doch eher unwahrscheinlich. Würden Sie deswegen Ihren Job verlieren und nie wieder einen anderen finden? Auch ziemlich unwahrscheinlich.
Den “Boden” finden
Damit ist “der Boden gefunden”: Sie haben die Tiefe des möglichen Absturzes nach unten ausgelotet. Wenn sie es ausprobieren, werden Sie merken: Dann tritt Entlastung ein, und es kommt eine gewisse innere Ruhe auf. Die befürchtete Gefahr geht dadurch natürlich nicht weg, aber sie wird eingegrenzt und überschaubar. In Ihrer Rede steckenzubleiben, wäre immer noch ein Sturz, sprich, ein ziemlich unangenehmer Misserfolg, aber es wäre nicht mehr der Sturz ins Bodenlose, den Sie sich in Ihren Katastrophenphantasien ausgemalt haben. Gedanklich auf dem Boden angekommen, werden Sie sich sagen: “Es wäre ziemlich doof, wenn es so käme, aber es wäre nicht das Ende. Ich würde es überleben.”
Hinsehen statt verdrängen
Der schlimmste Fall kann eintreten
Mag sein, dass Ihnen das, bezogen auf Ihr eigenes Problem, zu oberflächlich oder, je nach Art der befürchteten Katastrophe, vielleicht sogar zynisch vorkommt. Doch es hilft alles nichts: Bei realistischer Betrachtung lässt sich kaum bestreiten, dass unsere schlimmsten Befürchtungen Realität werden können. Und dass wir, falls es denn wirklich passieren sollte, wohl oder übel einen Weg finden müssten, mit der veränderten Situation klar zu kommen. Da hilft es einfach, wenn wir die belastenden Gedanken an eine mögliche Katastrophe nicht verdrängen, sondern uns ihnen, wenn sie schon da sind, stellen. Die Erfahrung zeigt, dass diese Auseinandersetzung uns nicht schwächt, sondern entlastet – und damit stärkt.
Rückkehr zur Sache
Wenn nach dem Durcharbeiten von Schritt 2 Ängste und Katastrophengedanken allmählich nachlassen, dann (aber erst ab dann!) können und sollten Sie sich wieder auf die Sache konzentrieren. Schritt 3 ist genau diese Versachlichung: Während Ängste zwangsläufig um die eigene Person kreisen (somit “ichbezogen” sind), liegt die eigentliche Lösung des Problems auf der Sachebene: Eine gute Rede, um das Beispiel noch mal aufzugreifen, entsteht nicht, indem man sich anstrengt, alles richtig zu machen, auf keinen Fall stecken zu bleiben und sich dabei auch noch selbstkritisch beobachtet (“ichhaftes Denken”), sie entsteht dadurch, dass man sich voll auf seine Botschaft konzentriert und darauf, wie man sie den Zuhörern möglichst überzeugend vermitteln kann (“sachbezogenes Denken”).
Entlastung vor Versachlichung
Zu diesem sachbezogenen Denken sind wir aber erst bereit und in der Lage, wenn wir nicht mehr durch Katastrophenphantasien lähmen. Deshalb muss die emotionale Entlastung vor der Versachlichung stehen; eine vorschnelle Versachlichung, die vorhandene Ängste und Katastrophenphantasien ignoriert, funktioniert nicht.
Verwandte Themen:
Angst
Widerstand
Beschwichtigung
Kostenfreies Erstgespräch
Vereinbaren Sie hier ein kostenfreies Erstgespräch!
Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.