HomeMethoden & WissenPMI – Post Merger IntegrationAbstoßungsreaktion bei Fusion: Die größte Gefahr kommt aus dem eigenen Lager
Unverträglichkeiten der Unternehmenskulturen werden als einer
der häufigsten Gründe genannt, weshalb Fusionen und Übernahmen scheitern.
Das ist zwar nicht falsch, aber zu ungenau, um daraus die richtigen Schlussfolgerungen
für das Management einer Integration abzuleiten. Denn
es lenkt die Aufmerksamkeit in die falsche Richtung: Die größte Gefahr
einer “Abstoßungsreaktion” geht nämlich nicht von dem übernommenen
Unternehmen aus, sondern den Mitarbeitern und mittleren Führungskräften
des übernehmenden (!) Unternehmens.

Vorsicht, falsche Fährte!

Nicht risiko-, sondern verlustscheu

Wichtige Erkenntnisse über die psychologischen Abläufe bei einer Übernahme oder Fusion kommen aus den Forschungen über das menschliche Risikoverhalten. Entgegen weit verbreiteten Meinungen sind Menschen nicht generell risikoscheu. Vielmehr hängt ihre Risikobereitschaft stark davon ab, in was für einer Ausgangssituation sie sich befinden: Haben sie einen Besitzstand zu bewahren, sind sie in der Tat risikoscheu und suchen alles zu vermeiden, was diesen Besitzstand in Gefahr bringen könnte. Wollen sie hingegen einen drohenden Verlust (oder Nachteil) abwenden, sind sie oft überraschend risikobereit. Für Change Management-Vorhaben bewirkt das häufig eine Zweiteilung: Typischerweise sind die Verantwortlichen für die Veränderung eher risikobereit; die Betroffenen hingegen, die ihre heutigen Besitzstände zu bewahren haben, verhalten sich eher risikoscheu sind und verspüren keine große Neigung, sich auf Neuerungen und andere Abenteuer einzulassen.

Sechs Lager mit unterschiedlichen Interessenlagen

Hierarchien stehen sich gegenüber

Bei Fusionen, Übernahmen und Integrationsprozessen ist die Gemengelage komplizierter. Hier steht der Hierarchie des übernommenen Unternehmens die Hierarchie des Übernehmers gegenüber, und es lassen sich auf jeder Seite drei große Gruppen unterscheiden. Jede davon ist geprägt von ganz typischen Ängsten und Befürchtungen (siehe Grafik).

Ängste und Befürchtungen nach Hierarchieebenen

Abb.: Ängste und Befürchtungen nach Hierarchieebenen

Unterschiedliche Ausgangssituation

Vier von diesen sechs Gruppen sind mit dem Rechtskräftigwerden der Fusion in einer “Verlustposition”, das heißt in einer Situation, wo sie erhebliche persönliche Nachteile (“Verluste”) nur noch abwenden können, wenn sie aktiv werden und etwas riskieren. Die beiden Ausnahmen, die nichts riskieren brauchen, sondern nur ihren Besitzstand bewahren und verteidigen müssen, sind, wie wir gleich sehen werden, die Mitarbeiter und das mittlere Management des übernehmenden Unternehmens.

Top-Management zum Erfolg verurteilt

Das Top-Management des Übernehmers ist “zum Erfolg verurteilt”: Es muss bei Strafe seiner unehrenhaften Ablösung den Beweis erbringen, dass die versprochenen Synergien tatsächlich realisiert werden können und der Wert des Unternehmens durch die Übernahme steigt. Das Top-Management des übernommenen Unternehmens hat entweder – bei einer feindlichen Übernahme – die Schlacht verloren; dann steht sein Absprung mit dem “goldenen Fallschirm” unmittelbar bevor. Oder es hat der Fusion zugestimmt und ist in den Vorstand des fusionierten Unternehmens eingezogen – dann ist es jetzt in der gleichen Situation wie das Management des Übernehmers: Es ist den Shareholdern schuldig, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um die Fusion zum Erfolg zu führen und so den Wert ihres Kapitals zu steigern.

Mittleres Management und Mitarbeiter

Das mittlere Management wie auch die Mitarbeiter des übernommenen Unternehmens müssen weitgehend die Spielregeln akzeptieren, die vom Übernehmer gesetzt werden. Was ihnen an Besitzständen verbleibt, ergibt sich aus den Modalitäten der Fusion bzw. aus den gesetzlichen Regeln zum Betriebsübergang (§613a BGB), ihren individuellen Arbeitsverträgen sowie dem Kündigungsschutzgesetz. Wenn sie sich nicht passiv in ihr Schicksal ergeben, sondern in dem fusionierten Unternehmen noch etwas werden wollen, müssen Sie daher aktiv nach Chancen suchen, die Initiative ergreifen und etwas riskieren. Sofern sie ihren Job behalten, befinden sie sich in den neuen Abteilungen meist in einer Minderheitenposition. Auch hier müssen sie daher die Initiative ergreifen und auf ihre neuen Kollegen zugehen, wenn sie eine Chance auf Integration haben wollen.

Besitzstandsverteidigung

Ganz anders das mittlere Management und die übrigen Mitarbeiter des übernehmenden Unternehmens. Sie befinden sich in einer relativ komfortablen Position: Zwar ahnen sie natürlich, dass die Integration auch für sie einige Verwerfungen bringen kann, doch in der Regel behalten sie nicht nur ihre Jobs, sondern im wesentlichen auch ihre Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter. Auch die eingespielten Abläufe, Netzwerke und Informationskanäle bleiben zunächst einmal bestehen. Sie brauchen also keine großen Risiken eingehen, sondern nur ihren Besitzstand gegen die unliebsame Konkurrenz zu verteidigen. Und genau das tun sie auch!

Das Risiko-Paradoxon

Größte Gefahr: Die eigenen Leute

Die größte Gefahr für den Erfolg einer Fusion geht daher nicht von den Abwehrreaktionen des übernommenen Unternehmens aus und auch nicht von der viel beschworenen “Unverträglichkeit der Unternehmenskulturen“, sondern von den eigenen Leuten. Sie fühlen sich einerseits als Sieger, ahnen andererseits die drohende Konkurrenz durch die “Neuankömmlinge”. Also sind sie sich auch ohne explizite Absprachen schnell darüber einig, dass man den ungebetenen Fremden erst einmal zeigen muss, wo der Hammer hängt. Das heißt, viele Mitarbeiter und mittleren Führungskräfte des übernehmenden Unternehmens lassen ihre neuen Kollegen nach allen Regeln der Kunst auflaufen, bremsen sie aus, werfen ihnen Knüppel zwischen die Beine – und sind davon allenfalls durch ein gutes Management der Integration abzubringen.

Fallbeispiel Nixdorf

Ein Paradebeispiel für diese Abstoßungsreaktion war vor vielen Jahren die Übernahme von Nixdorf durch Siemens. Nixdorf war ein flexibles und kundenorientiertes Unternehmen gewesen, das vor allem im Bankensektor eine starke Stellung besaß. Doch nach dem plötzlichen Tod seines Gründervaters Heinz Nixdorf war es in eine wirtschaftliche Schieflage geraten, die durch seine Nachfolger eher verschärft als gelöst wurden.

Frustrierte Abwanderung

Die Übernahme wurde zum Desaster. Insbesondere die mittleren Führungsebenen von Siemens verhielten sich genau so, wie nach obiger Analyse zu erwarten, mit der Folge, dass die flexiblen Nixdorfer förmlich an der Siemens-Bürokratie zerschellten. Ihre Anliegen wurden durch den kühlen Verweis auf Antragswege, Zuständigkeiten etc. systematisch abgeblockt. Das hatte Folgen: Die Nixdorf-Mitarbeiter begannen abzuwandern; zunächst nur wenige, aber bald in hellen Scharen. Nach wenigen Jahren waren von der Nixdorf-Belegschaft nur noch diejenigen übrig, die entweder keine Alternativen fanden oder zu ängstlich für einen Wechsel waren – eine konsequente Negativ-Auslese. Was zur Folge hatte, dass das Ganze bald deutlich weniger Wert war als die einzelnen Teile – ein klassisches Beispiel dafür, dass Synergieeffekte auch negativ sein können.

Welche Rolle spielen die Unternehmenskulturen?

Imkombatible Selbstverständlichkeiten

Nun könnte man argumentieren, dass solche Abstoßungsreaktionen eben doch etwas mit einer Unverträglichkeit der Kulturen zu tun hätten – schließlich seien auch im Siemens-Nixdorf-Beispiel zwei sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander getroffen. In der Tat spielen die Unternehmenskulturen bei Fusionen eine Rolle – allerdings eher als mögliche zusätzliche Erschwernis, nicht als die eigentliche Ursache von Abstoßungsreaktionen. Je unterschiedlicher die “kulturellen Eichungen” der beteiligten Unternehmen sind, desto häufiger kommen Missverständnisse und Fehlinterpretationen vor, und desto schwerer tun sich die Beteiligten, miteinander warm zu werden. Besonders schwierig wird es nach unseren Erfahrungen, wenn eine offene, hohe persönliche Gestaltungsspielräume bietende Kultur von einer sehr patriarchalischen oder formalistischen Organisation übernommen wird.

Kontrastverstärkung

Das heißt aber noch lange nicht, dass die Integration einfach ist, wenn sich die Kulturen ähnlich sind. Vielmehr kommt es in solchen Fällen häufig zu einer “Kontrastverstärkung”, das heißt, die Mitarbeiter beider Seiten betonen die bestehenden Unterschiede und blähen sie auf. Das ist psychologisch der gleiche Mechanismus wie wenn jemand eigentlich keinen Grund zum Streit hat, aber “auf Krawall gebürstet ist”: Wenn er danach sucht, wird er auch bei noch so großer Einigkeit in der Sache immer ein Punkt finden, der sich zu einem Streit aufbauschen lässt. Die sachlichen Meinungsverschiedenheiten bzw. kulturellen Unterschiede sind nicht die Ursache für den Streit – sie liefern nur das Thema.

Wie die Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit der Unternehmenskulturen die Abstoßungsreaktionen beeinflusst, lässt sich anhand des folgenden Schemas vorhersagen:

Prognose der kulturellen Entwicklung

Prognose der kulturellen Entwicklung

Abb.: Prognoseraster für das Zusammentreffen unterschiedlicher unterschiedlicher Kulturen

Konflikte und “Vertreibung” oder durch “Aussterben”. Zur Assimilation, also zum völligen Aufgehen der einen Kultur in der anderen, kommt es dann, wenn die Mitarbeiter des übernommenen so weit zerstreut und vereinzelt werden, dass nirgendwo die kritische Masse für eine eigene Subkultur bestehen bleibt. Schließlich können zwei oder drei Leute auf die Dauer keine lebensfähige eigene Kultur bilden.

Enklavenbildung

Andererseits zeigen viele Beispiele aus Politik und Gesellschaft, dass für eine “Enklavenbildung”, also für das Entstehen kleiner kultureller Inseln, schon relativ wenige Personen reichen – wenigstens für einige Jahre oder Jahrzehnte. Auch in Unternehmen findet man manchmal noch Jahre nach einer Fusion solche Inseln einer (stilisierten) alten Kultur, die meistens auch von ihrer Umgebung als “Staat im Staat” empfunden und bezeichnet werden. Das Paradebeispiel ist, wenn Banken fusionieren und bei der Integration ihre Filialnetze zusammenlegen. Dann halten sich in aller Regel noch sehr lange “A-Filialen” und “B-Filialen”, die von den ursprünglichen Unternehmenskulturen geprägt sind und beinahe unbeeindruckt von der Fusion fortbestehen.

Stellungskrieg

Wenn keine der beiden Kulturen stark genug ist, sich durchzusetzen, kann, nach vorausgegangener Kontrastverstärkung, der ungünstigste Fall eintreten: ein “Stellungskrieg” zwischen den Kulturen, der alle Merkmale eines “kalten Konflikts” hat. Das militärische Vokabular ist in diesem Fall angebracht, denn zwischen den Lagern kommt es hier tatsächlich zu anhaltenden Feindseligkeiten, die mit hoher destruktiver Energie und erheblichen “Kollateralschäden” für das Geschäft ausgefochten werden. Häufig finden solche Stellungskriege zum Beispiel mit hinzugekauften in- oder ausländischen Tochtergesellschaften statt, wo die einen verzweifelt darum kämpfen, ihre verbliebene Autonomie zu wahren, während die anderen verbissen versuchen, die widerspenstige Niederlassung endlich “an die Spielregeln des Unternehmens zu gewöhnen” und “auf Kurs zu bringen”.

Prävention und Therapie

Toten Winkel beobachten

Angesichts der Tatsache, dass die größte Bedrohung für den Erfolg einer Integration von den eigenen Leuten ausgeht, stellt sich die Frage: Was kann man tun, um dem entgegenzuwirken? – Ein erster wichtiger Schritt ist mit dem Erkennen der Problemlage bereits getan. Denn oftmals dauert es unglaublich lange, bis das Top-Management überhaupt bemerkt, was sich da in seinem toten Winkel abspielt. Wenn man sich der Gefahr bewusst ist, hat man das Problem zwar noch nicht gelöst, weiß aber zumindest, worauf man gefasst sein und wo man hinschauen muss.

Innere Linie finden

Der zweite Schritt besteht darin, dass Sie eine klare Linie für den Umgang mit diesen Verhaltenstendenzen entwickeln. Einerseits können Sie ein solches Verhalten nicht zulassen, wenn Sie nicht den Erfolg der Integration aufs Spiel setzen wollen; andererseits hätte es keinen Sinn, darauf wütend zu reagieren oder in moralische Entrüstung zu verfallen. Denn was Sie hier erleben, ist, auch wenn es den Erfolg der Integration in Gefahr bringt, keine Bösartigkeit, sondern ganz normales menschliches Risikoverhalten.

Rahmenbedingungen verändern

Mit moralischen Appellen werden Sie hier wenig bewirken. Die Tendenz zur “Abwehr der Eindringlinge” werden Sie großflächig nur dann reduzieren, wenn Sie die Rahmenbedingungen verändern. Denn es hilft alles nichts: Solange sie Besitzstände zu bewahren haben, verhalten sich die meisten Menschen risikoscheu und defensiv. Erst wenn sie einen drohenden Verlust abwenden müssen, wirkt ihre Risikobereitschaft ansteigen. Ihre Aufgabe ist also, die eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte in eine Situation zu bringen, wo sie etwas tun müssen, um einen drohenden Verlust abzuwenden.

Stellenbesetzungsverfahren

Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, wäre, dass Sie alle Führungskräfte, gleich ob sie aus Ihrem eigenen Hause kommen oder aus dem übernommenen Unternehmen, einem Stellenbesetzungsverfahren unterwerfen, in dem sie um ihren Job kämpfen müssen. Damit wären auch ihre eigenen Leute in einer Situation, wo sie sich nicht darauf beschränken könnten, bloß Besitzstände zu verteidigen. Das Problem sind die Risiken und Nebenwirkungen: Ein solches Stellenbesetzungsverfahren lähmt das Unternehmen für mehrere Monate bis zur Handlungsunfähigkeit. Außerdem ist die Integration der Kulturen danach noch längst nicht geschafft – Sie haben lediglich eine gewisse Durchmischung der Führungsmannschaft erreicht.

Konfrontation mit schwieriger Aufgabe

Der beste Weg, die eigenen Leute aus ihrer defensiven Haltung herauszuholen, ist wohl, das Unternehmen unmittelbar nach der Fusion mit einer gemeinsamer Aufgabe zu konfrontieren, die die Manager aufs Äußerste fordert und sie unabhängig von ihrer Herkunft zur Zusammenarbeit zwingt. Dies ist nach unserer Kenntnis und Erfahrung aus mittlerweile rund 20 Fusionen die beste und wirksamste Integrationsstrategie überhaupt.

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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