Inhaltsverzeichnis:
Einsparungen
Unterschiedliche Quellen …
Die Begründungen, die für Fusionen, Übernahmen und Umstrukturierungen gegeben werden, lesen sich auf den ersten Blick sehr unterschiedlich: Mal soll damit die Überlebensfähigkeit der zu verschmelzenden Unternehmen gesichert werden (a), mal geht es um den Eintritt in einen wichtigen Markt (b), mal ist von der Integration einer zusätzlichen Wertschöpfungsstufe (a) bzw. von horizontaler (a, b) oder vertikaler Integration (a) die Rede. In wieder anderen Fällen wird behauptet, dass sich die Produktpaletten (Verzeihung: Portfolios) der beiden Firmen ideal ergänzten (a, b), dass ungeahnte Möglichkeiten zum Cross-Selling entstünden (a, b), dass den Kunden erheblicher Zusatznutzen geboten und damit Preisprämien erzielt werden könnten (b) oder dass erhebliche Vorteile im Einkauf (a) sowie Skaleneffekte in Entwicklung, Produktion und Logistik (a) erreicht werden könnten.
… für Synergien
So unterschiedlich diese Begründungen klingen, am Ende geht es dabei immer um Synergieeffekte. Und zwar eigentlich nur um zwei Arten von Synergien: entweder um Kostensynergien (a) oder um Marktsynergien (b) oder um beides (a, b).
Synergien setzen Überschneidungen voraus
Operativer oder strategischer Fit
Synergien können nur erzielt werden, wenn es nennenswerte Überschneidungen zwischen den Produkten, Dienstleistungen oder Aktionsfeldern der beiden Unternehmen gibt. Man spricht hier von Ergänzungspotenzialen oder von operativem bzw. strategischem Fit – je nachdem, ob sich die beiden Firmen in ihrer heutigen Struktur gut ergänzen oder ob die eine sich schlüssig in die Zukunftsstrategie der anderen einfügt. Was einseitig, aber auch wechselseitig sein kann: Wenn die eine Firma zum strategischen Ziel hat, sich den asiatischen Markt zu erschließen, kann sie eine asiatische Firma kaufen, die in diesem Markt bereits eine starke Stellung hat; sie könnte sich aber auch mit einer asiatischen Firma zusammentun, die ihrerseits den europäischen Markt erobern will. So ergibt sich möglicherweise für beide ein strategischer Fit.
Übernahme ohne Synergien
Wenn hingegen ein Maschinenbau-Unternehmen eine Großbäckerei übernimmt, weil die aufgrund von Nachfolge- oder Finanzierungsproblemen gerade günstig zu haben ist, dann riecht das nicht gerade nach einem wie auch immer gearteten Fit. Allenfalls könnte man über Synergien in den Verwaltungsbereichen nachdenken, aber auch hier wäre zu befürchten, dass die Mehrkosten, die durch wachsende Komplexität entstehen, höher sind als die realistisch erzielbaren Synergien. Trotzdem kann eine solche Investition sinnvoll sein, wenn der Preis stimmt und sie eine entsprechende Eigenkapitalrendite bringt. Aber dann handelt es sich um eine reine Finanzanlage, das heißt um Portfolio-Management, und auf große Synergien sollte man besser nicht hoffen.
Kein Fit – keine Synergie
Hier liegt einer der Knackpunkte für den Erfolg von Fusionen und Übernahmen: Wenn der Merger strategisch keinen Sinn macht, kann auch noch so gutes Integrations-Management keinen Erfolg daraus machen. Denn wo keine nennenswerten Überschneidungen sind, sind auch mit dem besten Management keine Synergieeffekte zu holen.
Der tiefe Sturz in das Wertloch
Viel Aufwand
Am Anfang einer Fusion oder Übernahme stehen ohnehin nicht eindrucksvolle Synergieeffekte, sondern erst einmal ein Riesenberg von Arbeit (= Kosten) und dazu ein Riesenberg von Schulden. Dazu schreiben die BCG-Berater Neil Monnery und Art Peck (The Work Begins After the Deal Is Closed; 2000; BCG Perspectives):
… und hohe Schulden
“A M&A venture always begins in the red. Despite the fact that companies enter a merger or an acquisition to create value, the immediate effect of most deals is the exact opposite. Companies usually pay a considerable premium for their acquisitions. That premium is the capitalized future of the company’s earnings stream, and it must be paid back before the company can go forward. Put bluntly, a company falls into a value hole when it buys another company, and its first job is to climb out.”
Schulden oder Erwartungsdruck
Zwar kann man der enormen Schuldenlast dadurch entgehen, dass man das andere Unternehmen nicht “cash” bezahlt, sondern mit eigenen Aktien, gegebenenfalls im Rahmen einer Kapitalerhöhung. Oder dass man sich formell mit ihm vereinigt, also keine Akquisition durchführt, sondern einen Merger. Dann hat man zwar nicht mehr die Banken im Nacken, aber um so mehr die Shareholder, die der Fusion ja primär deshalb zugestimmt haben, um eine höhere Eigenkapitalrendite zu erzielen oder, auf gut deutsch, “more bang for the buck” einzufahren. Aus Sicht der Anteilseigner ist der Kauf mit eigenen Aktien in aller Regel das schlechtere Geschäft, gleich ob im Rahmen einer Akquisition oder einer Übernahme, argumentiert der erfahrene Großinvestor Warren Buffett. Denn meist verwässert er den Wert dieser Aktien, weil dann entsprechend mehr Aktien an künftigen Wertsteigerungen partizipieren, sodass die Wertsteigerung pro Aktie geringer ausfällt.
Hoher Erwartungsdruck
Schnelle Ergebnisse
So oder so, das Top-Management steht unter gewaltigem Druck, die riesige Investition wieder einzuspielen und sie angemessen zu verzinsen. Dabei steht es unter scharfer Beobachtung des Kapitalmarkts, der Banken wie auch der eigenen Aufsichtsgremien. Ihnen allen hat es im Vorfeld erklärt, dass sich die Fusion oder Übernahme rechnet und wie das funktionieren soll. Nun wird erwartet, dass es dieses Versprechen einlöst und dass sich dies in einem steigenden Aktienkurs bezahlt macht. Und diese Erwartung ist oftmals mit nur wenig Langmut hinterlegt.
Bristante Rollenverteilung
Nicht selten findet sich das Top-Management dabei in einer Falle wieder: Es hat sich öffentlich auf Synergieeffekte festgelegt, die ihm von Beratern und Investmentbankern vorgerechnet wurden. Diese Zahlen hat es unterschrieben, weil es die Fusion oder Übernahme unbedingt wollte, der Expertise der Berater vertraute und möglicherweise von den Synergiepotenzialen selbst beeindruckt war. Dabei hat es vielleicht zu spät bemerkt, welch brisante Rollenverteilung in diesem Spiel steckt: Die Berater machen die Versprechen (oder arbeiten sie zumindest aus, ohne selbst in der Verantwortung für deren Einlösung zu sein) – das Management muss sie halten.
In der Falle
Nun sitzt der Vorstand in der Falle. Zurückrudern geht nicht, weil das dem Eingeständnis der eigenen Inkompetenz gleichkäme. Also bleibt nur die Flucht nach vorn: Liefern. Um die eigene Haut zu retten, muss er Synergien nun notfalls auch mit der Brechstange erzwingen. Und dabei zeigt sich zuweilen, dass sich die Realität nur begrenzt zwingen lässt.
Überhöhter Kaufpreis
Zusätzlicher Druck auf das Einspielen von Synergien geht oftmals auch davon aus, dass für das erworbene Unternehmen ein hoher Kaufpreis gezahlt worden ist. So lange das nur der Mehrpreis ist, der sich, wie Neil Monnery und Art Peck schrieben, aus dem “kapitalisierten Wert der künftigen Erlösströme” ergibt, geht es noch, denn dieser Teil ist durch die Synergiepotenziale seriös abgedeckt. Gerade in den letzten Jahren wurde für Akquisitionen aber oftmals noch eine erhebliche zusätzliche “Prämie” bezahlt – teils weil im Zuge der Konzentration vieler Märkte die Zahl der in Frage kommenden Akquisitionskandidaten deutlich weniger wurde, was den Preis nach oben trieb, teils wohl auch aus Torschlusspanik und egozentrischen Größenphantasien.
Strategische Akquisitionen
Was sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen ließ, wurde dann oftmals “strategisch” begründet – zuweilen sicher zu Recht, manchmal aber auch zu Unrecht. Deutlich wird dies an den Reaktionen des Kapitalmarkts: Während er Fusionen und Übernahmen in früheren Jahren meist durch steigende Aktienkurse belohnte, wurden in den letzten Jahren die Fälle immer häufiger, wo der Markt sie durch absackende Kurse bestrafte. Was den Druck auf das Management natürlich dramatisch erhöht(e), denn es muss nun den Beweis führen, dass nicht sie sich verschätzt haben, sondern der Kapitalmarkt.
Jagd nach Synergien
Drei Schritte
In jedem Fall geht, kaum dass die Tinte unter dem Vertrag trocken ist, oder genauer: unmittelbar nach dem “Closing” die Jagd nach den Synergien los. Denn das Errechnen ist eine Sache, das Realisieren eine ganz andere – und das erstere ohne Zweifel der gemütlichere Job. Um die Synergien zu “heben”, müssen zunächst die Synergiefelder, die im Vorfeld der Fusion vermutlich nur grob untersucht wurden, genauer analysiert werden, um die Größe der Synergiepotenziale zu bestimmen. Daraus werden die Synergieziele abgeleitet, die dann entweder den operativen Bereichen oder speziell eingerichteten Integration Teams aufgegeben werden. Die ersten beiden Schritte müssen so rasch wie möglich durchgezogen werden, damit frühzeitig mit dem dritten – der eigentlichen Arbeit – begonnen werden kann.
Synergieziele
Die Synergieziele sollten ambitioniert, aber realistisch sein. Ihre Formulierung eine Führungsentscheidung und kein partizipativer Prozess – was aber nichts daran ändert, dass sie sachlich gerechtfertigt sein müssen. Denn Ziele, die von den Betroffenen als abwegig empfunden werden, können erleblichen Schaden anrichten: Sie wirken hochgradig demotivierend und bewirken so, dass mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal der Teil der Ziele erreicht wird, der eigentlich erreichbar wäre.
Bottom-Up und Top-Down
Bei der Bestimmung der Synergieziele müssen ein Bottom-Up-Prozess (Festlegen der Ziele pro Synergiefeld) mit einem Top-Down-Prozess (Aufteilen der Gesamtziele auf die einzelnen Synergiefelder) in Einklang gebracht werden. Dabei genügt es in aller Regel nicht, wenn die Summe aller Bottom-Up-Ziele mit Mühe und Not das insgesamt erforderliche Synergieergebnis liefert.
Puffer einplanen
Ein gewisser Puffer ist einfach deshalb ratsam, weil es bei der Realisierung fast immer unliebsame Überraschungen gibt: Manche Synergieeffekte sind entweder gar nicht zu realisieren oder fallen aus unabweisbaren sachlichen Gründen kleiner aus als erhofft und eingeplant. So kann es passieren, dass man sich erhebliche Synergien von der Zusammenlegung zweier Geschäftsfelder erwartet hatte – bis sich dann bei näherer Untersuchung herausstellt, dass diese Geschäftsfelder zu unterschiedlich sind, um dort nennenswerte Synergien zu holen.
In solchen Fällen hat es wenig Sinn, trotzdem “Synergien anzuordnen” – damit würde man das böse Erwachen bloß in die Zukunft verlagern und sich faktisch eine Zeitbombe ins eigene Nest legen. Da positive Überraschungen sehr viel seltener sind, stünde man ohne Puffer bereits vor der äußerst unangenehmen Alternative, entweder anderswo zusätzliche Einsparungen zu erzwingen oder eine Ad-hoc-Meldung mit einer Ergebniswarnung herauszugeben.
Wenn es eng wird
Der Jagd zweiter Teil
Wenn Bottom-Up- und Top-Down-Planung auf Anhieb so zusammen passen, dass noch ein gewisser Puffer bleibt, haben Sie Glück gehabt. Wenn nicht, bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, ein zweites Mal zur Jagd zu blasen und zu versuchen, ohne allzu rabiate “Realitätsbegradigung” die fehlenden Synergien zu finden. Ein pauschaler Aufschlag für alle hat wenig Sinn – besser ist, erstens alle Synergiefelder noch einmal kreativ daraufhin anzuschauen, ob nicht doch noch etwas mehr zu erreichen ist, und zweitens zu versuchen, zusätzliche Potenziale in Feldern zu finden, die bislang noch nicht so genau betrachtet wurden.
Notverkäufe
Zur Not kommen auch Verkäufe von nicht geschäftsnotwendigem Vermögen oder von strategisch verzichtbaren Geschäftsfeldern in Betracht, auch wenn das streng genommen keine Synergien sind, sondern Einmaleffekte. Trotzdem werden viele Beobachter mit Milde reagieren, wenn die Zahlen unter dem Strich erfreulich aussehen.
Wenn es nicht aufgeht
Falls es auch danach noch nicht reicht, wird es bitter. Eine dritte “Jagdrunde” macht kaum noch Sinn, weil Ihre nachgeordneten Führungsebenen ihre Möglichkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit bereits ausgeschöpft haben; jetzt wäre es allenfalls noch möglich, Ihnen zusätzliche Synergieziele aufs Auge zu drücken und sie so faktisch auf die gemeinsame Lebenslüge “Lasst uns alle so tun als ob” einzuschwören. Statt das Problem “nach unten durchzustellen” und damit den Zeitzünder für die “Bombe” zu aktivieren, ist es professioneller, den Shareholdern gleich die Wahrheit zu sagen. Das ist zwar ausgesprochen unangenehm, aber es ist im Sinne eines proaktiven Konfliktmanagements immer noch besser als eine schleichende Erosion von Glaubwürdigkeit, Motivation und Aktienkurs stattfinden zu lassen.
Prävention
Eine wirkliche Lösung des Problems ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, denn wenn die versprochenen Synergien objektiv nicht einzulösen sind, dann sind sie es eben nicht. Die einzige realistische Prävention ist, ganz am Anfang, also bei der Ankündigung der Fusion, den Mund nicht zu voll zu nehmen und im Bewusstsein der Tatsache, dass immer ein paar Teufelchen im Detail stecken, nicht gleich an die Obergrenze dessen zu gehen, was Sie zu realisieren hoffen. Letztlich treffen wir damit wieder einmal auf die oberste Grundregel der Konfliktprävention, die lautet, keine Erwartungen zu wecken, die man nicht erfüllen kann oder möchte.
Verwandte Themen: Kapitalmarkt Fusionsstrategie Integrationskonzept Massenpsychologie der Fusion
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.