Inhaltsverzeichnis:
- 1 “Structure follows strategy” – aber wie?
- 2 Vom “Einzeller” zur funktionalen Organisation
- 3 Wachstum bedingt Differenzierung
- 4 Von der funktionalen zur Spartenorganisation
- 5 Organisationsänderungen bringen Konflikte
- 6 Mit der Ausdehnung kommt die Matrixorganisation
- 7 Probleme der Matrix
- 8 Alternative Organisationsmodelle
- 9 Sonderfall “Netzwerk-Organisation”
- 10
- 11 Kostenfreies Erstgespräch
“Structure follows strategy” – aber wie?
Worum geht es eigentlich bei “Organisation”?
Bei allen Organisationsfragen geht es letzten Endes darum, die unvermeidliche Arbeitsteilung auf möglichst sinnvolle Art und Weise vorzunehmen. Notwendig wird diese Arbeitsteilung teils wegen der zu erledigenden Arbeitsmenge, teils wegen ihrer unterschiedlichen Anforderungen: Schon in einem mittelständischen Unternehmen ist die Menge und Vielfalt dessen, was zu tun ist, sowohl quantitativ als auch qualitativ “zu viel für einen”. Gelungen ist die Arbeitsteilung dann, wenn durch die entstehenden Schnittstellen möglichst geringe Nachteile erstens für die Arbeitseffizienz und zweitens für deren Qualität entstehen. Zusätzliche Kriterien sind die Flexibilität der Arbeitsorganisation sowie die Steuerbarkeit des Unternehmens und seiner Teilbereiche.
Wie wir sehen werden, folgt die Organisationsstruktur dem natürlichen Wachstum und der Differenzierung eines Unternehmens; dabei ist es meistens so, dass die Realität des Unternehmens – und hier vor allem die Zahl seiner Geschäftsfelder und seine regionale Verteilung – eine ganz bestimmte Organisationsstruktur beinahe zwingend nahelegt oder die Entscheidung doch auf die Wahl zwischen sehr wenigen Alternativen einengt.
Es gibt keine “ideale Organisation”
Jede Organisation ist ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Anforderungen: ein Kompromiss zwischen Effizienz und Flexibilität, zwischen Spezialisierung und Ganzheitlichkeit, zwischen den Vorteilen der Einheitlichkeit (= Zentralismus) und denen der Entscheidungsfähigkeit vor Ort (= Dezentralisierung), und zwischen manchem anderen.
Das heißt: Es gibt keine “perfekte” Organisation, die frei von jeglichen Nachteilen wäre. Oft hat man nur die Wahl, welches Problem einem lieber ist: Unflexiblität beispielsweise oder gewisse Effizienznachteile. Wenn sich ein Mitarbeiter auf die eine Aufgabe und ein anderer auf die andere spezialisiert, dann ist das wahrscheinlich effizienter als wenn beide das gesamte Spektrum abdecken. Aber es ist leider unflexibler: Wenn dann aber einer von beiden krank oder überlastet oder im Urlaub ist, oder wenn er völlig überraschend in Rente geht, zeigt sich, dass man den Effizienzgewinn mit einem Verlust an Flexibilität bezahlt hat. Deshalb können Organisationsstrukturen niemals perfekt, sondern im günstigsten Fall optimal sein – optimal in dem Sinne wie im Wörterbuch definiert: unter den gegebenen Umständen bestmöglich geeignet für den jeweiligen Zweck.
Vom “Einzeller” zur funktionalen Organisation
Einfachstes Organigramm
Wie sich Organisationsstrukturen entwickeln und welche Zwangsläufigkeiten ihre Struktur bestimmen, wird am deutlichsten, wenn wir uns die Entwicklung dieser Strukturen einmal über die Wachstumsphasen einer Firma hinweg anschauen, vom Ein-Mann-Unternehmen bis zum mittleren Konzern. Die einfachste denkbare Organisationsstruktur ist – in ungewollter Ähnlichkeit zur Biologie – der “Einzeller”. Stellen wir uns einen jungen und talentierten Schreinermeister vor, der sich vor einiger Zeit selbständig gemacht und sich auf Einbauküchen spezialisiert hat. Das Organigramm unseres Schreiners ist ziemlich einfach: Es gibt nur ein Kästchen, und da steht alles drin.
Der organisato-rische Einzeller
Abb.: Der organisatorische Einzeller
Keine Schnittstellen
Dieses “Ur-Organigramm” hat viele Vorteile gegenüber allen späteren, differenzierteren Organisationsformen: Es gibt keinen Streit, wer zuständig ist, es gibt wenig Informationsverluste, und es gibt auch keine Diskussion, wer schuld ist, wenn etwas vermurkst oder vergessen wurde. Überdies passieren tatsächlich weniger Fehler, denn es gibt keine Schnittstellen, an denen Informationsverluste oder Missverständnisse entstehen können. Nur einen kleinen Nachteil hat diese Perle unter den Organigrammen: Das ist alles ein bisschen viel für einen. Spätestens wenn das Geschäft wächst und unser Handwerker auch ab und zu Schlaf braucht. Viele Handwerksbetriebe, aber auch viele Freiberufler, kranken denn auch daran, dass sie bei höherer Auslastung unzuverlässiger werden und so wieder Kunden verlieren – sodass sie in Folge wieder niedriger ausgelastet sind, bessere Arbeit abliefern und wieder mehr Kunden gewinnen: Ein Zirkel, der weder zum Ruf der Handwerker noch zu deren Lebensqualität beiträgt.
Alternative Darstellung
Im Übrigen hätte Schreinermeister Karl sein Organigramm auch völlig anders zeichnen können – es würde an der Realität nichts ändern und auch keine zusätzlichen Schnittstellen schaffen. Es würde nur ein wenig albern aussehen:
Der “größen-wahnsinnige Einzeller”
Abb.: Alternative Darstellung (“Größenwahnsinniger Einzeller”)
Funktionale Organisation
Abb.: Funktionale Organisation (mit einer kleinen Mogelei)
Der gewollte “Sündenfall”
Schreiner Karls Betrieb hat sich damit zu einer klassischen “funktionalen Organisation” entwickelt. (“Funktional” bedeutet, dass die Einheiten oder Abteilungen nach Aufgabenfeldern (Funktionen) und damit nach Kompetenzschwerpunkten untergliedert sind.) Durch diese Arbeitsteilung wird eine fachliche Überforderung vermieden oder zumindest reduziert – aber um den Preis der ersten Schnittstellen. Nun muss jeder Auftrag, wenn er von der Abteilung MVK (Marketing / Vertrieb / Kundenbetreuung) hereingeholt und geplant wurde, an die Produktion übergeben werden, und die wickelt ihren Materialeinkauf möglicherweise über die Verwaltung ab.
Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Schnittstellen sind im Augenblick noch dadurch abgemildert, dass der Chef der Planung nicht nur der Kollege des Produktionsleiters ist, sondern zugleich auch dessen Chef und Arbeitgeber. Das sorgt für eindeutige Kräfteverhältnisse und reduziert die Wahrscheinlichkeit von Machtkämpfen. Doch wenn der Informationsfluss nicht klappt, weil Meister Karl zu ungeduldig für lange Erklärungen ist, dann hilft auch keine Hierarchie.
Das Problem, zwei Herren zu dienen
Ein bisschen gemogelt hat Schreinermeister Karl in seinem Organigramm im Falle der Montage: Nach der gängigen Organisationslehre ist eine solche “Doppelzuständigkeit” nicht zulässig. Sie verweist indes auf ein typisches Schnittstellenproblem: Faktisch wird die Installation und Montage (sinnvollerweise) von Leuten aus der Produktion gemacht, die ihre Werkstücke kennen. Doch der Produktionsleiter kann diese Arbeiten im Hause des Kunden nicht überwachen, weil er im Betrieb gebraucht wird. Die Leitung des Einbaus vor Ort wird von Herrn Karls Abteilung MVK gemacht, die sich – durchaus zu Recht – auch für die Sicherstellung der Kundenzufriedenheit zuständig fühlt.
Die Montage sitzt dabei zwischen den Stühlen und bekommt möglicherweise ins linke Ohr andere Anweisungen als ins rechte. Beispielsweise könnte es vorkommen, dass der Produktionsleiter verlangt, dass seine Leute wegen des hohen Arbeitsanfalls sofort nach Abschluss der Montage in die Werkstatt zurückkehren, während der Kundenbetreuer darauf besteht, dass kleine Nacharbeiten noch am gleichen Tag vor Ort erledigt werden. (Mit ein bisschen Sarkasmus kann man dies als einen kleinen Vorgriff auf die Matrixorganisation ansehen.)
Wachstum bedingt Differenzierung
Differenzierung innerhalb der Struktur
Nehmen wir einmal an, die Schreinerei Karl hat die funktionale Organisation verkraftet und wächst trotz der damit in die Welt gekommenen Schnittstellen weiter. Dann wird sie fast zwangsläufig ihre funktionale Organisation weiter differenzieren. Beispielsweise mag es sein, dass sich in der Produktion ein Mitarbeiter (und später eine Abteilung) ganz auf knifflige Planungs- und Rechenarbeiten konzentriert (und dafür den Titel “Arbeitsvorbereitung” bekommt), während ein anderer sich hauptsächlich um das Wachsen, Beizen und Lackieren der Möbelstücke kümmert.
Diese Auffächerung bringt mit einiger Wahrscheinlichkeit weitere Qualitäts- und Effizienzvorteile infolge einer höheren Spezialisierung – aber zugleich zusätzliche Schnittstellen. Was die Logik der Organisationsstruktur betrifft, ändert sich dadurch jedoch nichts Grundlegendes, es erfolgt lediglich eine noch spezialisiertere Arbeitsteilung innerhalb des bestehenden Modells der funktionalen Organisation.
Parallele Funktionen
Eine erste Belastungsprobe kommt auf das Modell der funktionalen Organisation zu, wenn die Schreinerei von zufriedenen Küchenkunden immer mehr Anfragen auch nach Büro-, Praxen- und Geschäftseinrichtungen bekommt. Kleinmöbel wie Schränke und Tische sind dabei kein Problem; sie erfordern zwar weniger Planung vor Ort und keine Montage, laufen aber ansonsten in der ganz normalen Produktion mit.
Was aber, wenn jemand ein komplettes Büro oder ein Ladengeschäft von unserer Schreinerei einrichten lassen möchte? Die Produktion und Montage ist auch in diesem Fall nicht das Problem, denn auch hier geht es letztlich um Schränke, Regale und Tische. Unter Stress dürften hingegen Planung und Kundenbetreuung geraten, denn eine Büro- oder Praxiseinrichtung und erst recht die eines Ladenlokals erfordert anderes Know-how als eine Kücheneinrichtung. Und ein guter Küchenplaner muss nicht unbedingt ein guter Laden- oder Büroplaner sein, zumal auch die Klientel eine andere ist und andere Erwartungen hat.
“Dehnung” der funktionalen Organisation
Möglicherweise sieht sich unser Schreinermeister also gezwungen, einen neuen Bereich “Planung & Kundenbetreuung Büro / Praxis” einzurichten. Streng genommen hätte er damit keine reinrassige funktionale Organisation mehr, weil es nun zwei gleichartige Funktionsgruppen gibt, die beide zugleich “interne Kunden” der Produktion sind. Sinnvoll ist die Unterteilung vermutlich trotzdem, und das Konzept der funktionalen Organisation hält diese (wie auch so manche andere) “Dehnung” aus.
Von der funktionalen zur Spartenorganisation
Ein neues Geschäftsfeld
Endgültig an ihre Grenzen kommt die funktionale Organisation, wenn sich der inzwischen zum mittelständischen Unternehmer gewordene Schreinermeister Karl seinen Jugendtraum verwirklicht und sich entschließt, parallel seinem florierenden Geschäft mit Küchen- und Büroeinrichtungen einen neuen Geschäftszweig “Holzhäuser” aufzubauen.
Seine bisherige Produktion kann er dafür kaum gebrauchen, denn die Maschinen und Werkzeuge einer Schreinerei sind viel zu zart und fein, um damit zentnerschwere Holzbalken zu bearbeiten. Auch den Großteil seiner Mitarbeiter kann er für dieses Geschäft nicht einsetzen, denn Zimmerleute sind ein gröberer Menschenschlag – ihre Genauigkeit bemisst sich nicht in Millimetern, sondern in Zentimetern. Desgleichen schwenkt auch die Planungsabteilung die weiße Fahne der Kapitulation, und mit der Montage sieht es nicht besser aus. Nur seine Verwaltung lässt ihn nicht im Stich, sondern verspricht, ohne zu ahnen, worauf sie sich einlässt, sie sei bereit und in der Lage, nicht nur fünfstellige Zahlen zu addieren, sondern auch sechsstellige. (Dass das deutlich größere Projektvolumen völlig andere Anforderungen an Controlling und Liquiditätsmanagement stellt, stellt erst später heraus.)
Sparten-organisation
Wenn Unternehmer Karl seinen Jugendtraum dennoch realisiert, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit (und ohne eine wirkliche Alternative zu haben!) bei einer Spartenorganisation (oder “divisionalen Organisation”) ankommen. Er hat dann zwei Geschäftsbereiche (oder, wenn er mit der Mode geht, zwei “Strategic Business Units” oder SBU’s) sowie – weiterhin – eine Verwaltung:
Das neue Geschäftsfeld “erzwingt” Spartenstruktur
Abb.: Der neue Geschäftsbereich “erzwingt” eine Spartenorganisation
Projekt-organisation
Unterhalb des neuen Geschäftsbereichs “Häuser” muss man sich ebenfalls eine wachsende Unterstruktur vorstellen. Denn Unternehmer Karl, der fürs erste die Leitung dieses neuen Geschäftsbereichs übernommen hat, wird die Balken und Planken ja kaum selbst zusägen und verschrauben. Allerdings könnte Herr Karl darüber nachdenken, sich statt für eine funktionale Struktur für eine Projektorganisation zu entscheiden: Da Häuser ja relativ große Einzelprojekte sind, ist es möglicherweise sinnvoll, jeden Auftrag von einem festen (Kern-)Team bearbeiten zu lassen, das nur zu Spitzenzeiten – wie etwa bei der Errichtung der Häuser – um zusätzliche Mitarbeiter aus anderen Projekten verstärkt wird. Das heißt nicht, dass der Planer auch Balken zusägen oder auf dem First sitzen und Dachlatten festnageln sollte; möglicherweise ist es aber durchaus vorteilhaft, wenn er seinen Kunden über die ganze Dauer des Projekts hinweg bis zur Übergabe des Hauses begleitet.
Zentrale Verwaltung
Auch der “Zentralbereich Verwaltung” wird sich inzwischen vermutlich weiter differenziert haben, mit Unterfunktionen wie Rechnungswesen, Einkauf und Personal. Aufmerksamkeit verdient er aber noch aus einem weiteren Grund: Er versammelt nunmehr die meisten sogenannten “indirekten Funktionen”, also diejenigen, die vom Kunden nicht direkt bezahlt, sondern als Gemeinkosten (Overhead) auf die Produktkalkulation aufgeschlagen werden. Nun wird es immer wichtiger, darauf zu achten, dass hier kein “Wasserkopf” entsteht, denn sonst würde das operative Geschäft über Gebühr mit Kosten und Verwaltungsaufwand belastet. Und das könnte Aufträge kosten.
Organisationsänderungen bringen Konflikte
“Verlierer”
Wer sich in den bisherigen Organigrammen nicht nur die Funktionen angesehen hat, sondern auch die Namen, der wird möglicherweise ein gewisses Mitgefühl mit Herrn Heinrich empfinden: Obwohl er einer der Mitarbeiter der ersten Stunde ist und obwohl er sich über all die Jahre als Leiter einer wachsenden Produktion wacker geschlagen hat, ist er einer der Verlierer der neuen Organisationsstruktur: Im neuen Organigramm findet er sich auf der dritten Ebene wieder und muss damit fertig werden, dass ihm ein neuer Chef “vor die Nase gesetzt wurde” – noch dazu einer, der von außen eingestellt wurde, weniger vom Geschäft versteht als er und sich noch keinerlei Verdienste um die Firma erworben hat. Trotzdem hat Herr Karl vermutlich gut daran getan, nicht Heinrich zum Geschäftsbereichsleiter Einrichtungen zu machen. Denn da Herr Heinrich sein ganzes Leben lang in der Produktion tätig war, ist zu vermuten, dass er ein in der Wolle gefärbter Produktionsmann ist, dem Dinge wie Marketing, Verkauf und Kundenbetreuung zutiefst fremd und möglicherweise geradezu unheimlich sind.
Erhebliches Enttäuschungsund Konflikt-potenzial
Obwohl Herr Heinrich vermutlich ahnt, dass die Leitung eines Geschäftsbereich nicht wirklich “sein Ding” wäre, ist er mit einiger Wahrscheinlichkeit enttäuscht, gekränkt und fühlt sich zurückgesetzt: “Er hätte mich ja wenigstens fragen können!” Worauf Herr Karl kontert: “Wenn ich dich nicht wirklich in Betracht ziehe, darf ich dich auch nicht fragen.” Trotzdem birgt Herrn Heinrichs Gefühl, der Verlierer der Veränderung zu sein, ein erhebliches Konfliktpotenzial – sowohl zu Herrn Karl, mit dem er seit langen Jahren per “du” ist, als auch gegenüber seinem ungeliebten neuen Chef.
Reibungen mit dem neuen Chef
Den akzeptiert er schon deshalb nicht, weil er als fleischgewordene Verkörperung seiner Entthronung ein permanenter Stachel in seinem Selbstwertgefühl ist. Das hat zunächst einmal nichts mit der Person oder dem Verhalten des neuen Chefs zu tun; vielmehr handelt es sich um eine typische Personalisierung eines strukturellen Konflikts: Er lehnt den Neuen einfach deshalb ab, weil er auf dem falschen Stuhl sitzt (bzw. auf einem Stuhl, den es überhaupt nicht geben sollte). Doch je mehr sich dies in offenen oder verdeckten Attacken niederschlägt, desto sicherer wird daraus auch ein persönlicher Konflikt. Irgendwann stellt sich der Neue auf die Hinterbeine, weil er seine Autorität gefährdet sieht: der Machtkampf ist da.
Vorsicht, Shortcut!
Das Konfliktpotenzial mit Herrn Karl wiederum liegt weniger darin, dass er ihm die Umstrukturierung übel nimmt. Die wird er mit leisem Grummeln schließlich akzeptieren, insbesondere wenn sich Herr Karl darum bemüht, ihm seine Entscheidungen nachvollziehbar zu machen, und ihm zugleich seine Wertschätzung deutlich macht. Doch oft suchen solche Mitarbeiter, weil sie letztlich in ihrem tiefsten Inneren verunsichert sind, immer wieder die Bestätigung und den persönlichen Kontakt – zumal dieser intensive persönliche Kontakt gleichzeitig auch dabei hilft, den ungeliebten neuen Chef auszubremsen. Diesen “Shortcut” darf Herr Karl aber nicht zulassen, weil er sonst nicht nur seinen neuen Geschäftsbereichsleiter demontiert, sondern auch viel zu stark in das bestehende Geschäft eingebunden bleibt und zu wenig Zeit für den Aufbau des neuen gewinnt.
Dilemma zwischen Wertschätzung und Abwehr
Wenn er die Kontaktaufnahmen von Herrn Heinrich jedoch zu unsensibel und zu ungeduldig abwehrt, wird der dies als persönliche Zurückweisung empfinden und entweder stark in seiner Motivation einbrechen oder sich sogar zur Abwanderung entscheiden – nicht, weil er wirklich einen neuen Job haben möchte, sondern weil er in seiner Ehre und Selbstachtung gekränkt ist. Diese Hürde zu bewältigen, erfordert eine seltene Kombination von Fähigkeiten, nämlich einerseits große Konsequenz in der Sache (“Ich werde mich in keine Entscheidung einmischen, die Sache von Herrn Hauser ist!”), andererseits großer Sensibilität für die Person.
Sensibilität und Konsequenz
Je größer das Unternehmen, desto mehr solcher tatsächlicher oder vermeintlicher Verlierer gibt es bei Reorganisationen. Und genau aus diesem Grund sind Umstrukturierungen weniger ein Durchsetzungs- als ein Motivationsproblem.
Mit der Ausdehnung kommt die Matrixorganisation
Mehrere Standorte
Nehmen wir an, das unternehmerische Naturtalent Karl habe auch diese Hürde überwunden und seine beiden Geschäftsbereiche zu weiterem Wachstum geführt. Dabei ist auch der Einzugsbereich immer größer geworden, den seine beiden Geschäftsbereiche bedienen. Bei einer Analyse der Ertragslage stellt Karl gemeinsam mit seinen Spartenleitern fest, dass sowohl Einrichtungs- als auch Bauprojekte ab einer gewissen Entfernung von seinem Firmenstandort nicht mehr profitabel sind – einfach weil sowohl die Transportkosten für das Material als auch die Reisekosten und -zeiten für die Verkaufs- und Montagemannschaft zu hoch sind.
Sie entschließen sich daher zum schrittweisen Aufbau von Verkaufs- und Produktionsstandorten in anderen Bundesländern sowie dem benachbarten Ausland. Einige maschinen- und know-how-intensive Vorprodukte sollen jedoch weiterhin zentral am bisherigen Standort gefertigt werden (der damit unversehens zum “Stammwerk” wird). Auch Marketing und Vertrieb sollen weiterhin zentral erfolgen.
Keine Wahl
Mit dieser Entscheidung bewegen sich Herr Karl und seine Spartenleiter, ohne es noch zu ahnen, auf eine Matrixorganisation zu. Ihre künftige Organisationsstruktur wird mit großer Wahrscheinlichkeit etwa wie folgt aussehen:
Die Matrix-organisation
Abb.: Mit der Ausdehnung kommt die Matrixorganisation
Klassische Streitfragen
Spätestens mit der Matrix hat die Geschäftsleitung auch die ganzen klassischen Themen der Organisationsdiskussion am Hals: Etwa die Frage nach der Rolle der Zentrale (“Role of the Center”), die nach der Rolle und dem Stellenwert der Regionen und ihrer Chefs (“Landesfürsten”), die nach dem zweckmäßigen Grad von Zentralisierung bzw. Dezentralisierung sowie die nach der Klammer, welche die dezentralen Einheiten zusammenhält. Denn wenn jede Landesgesellschaft nur nach eigenem Gutdünken arbeiten würde, stellte sich ja die Frage, weshalb sie dann überhaupt unter dem Dach einer gemeinsamen Firma antreten und nicht als getrennte Unternehmen, die “zufällig” dem gleichen Inhaber gehören. (In welchem Fall die Ursprungsfirma zu einer Finanzholding würde.) Tatsächlich hat das Auftreten als gemeinsame Firma nur dann einen strategischen Sinn, wenn der Nutzen des gemeinsamen Auftritts größer ist als seine Kosten.
Alternative Regional-organisation
Als Alternative hätte die Geschäftsleitung auch über eine Regionalorganisation nachdenken können, oder zumindest über eine stärkere Betonung des “horizontalen Elements” in der Matrix. Dies wäre dann sinnvoll, wenn es sich in erster Linie um ein regionales Geschäft handelte und die Wertschöpfung der Zentrale relativ gering wäre. Doch in unserem Beispiel lässt sich der strategische Nutzen der zentralen Komponente (und damit des Stammhauses) klar benennen: Zum einen sind es die Kosten- und Qualitätsvorteile, die sich aus der zentralen Herstellung von Schlüsselkomponenten ergeben, zum anderen ist es die gemeinsame Ausrichtung an einer offensichtlich erfolgreichen Marketing- und Vertriebsstrategie. Zusätzliche Kostenvorteile lassen sich vermutlich aus der Bündelung der Verwaltungsfunktionen erzielen, etwa durch einen gemeinsamen Einkauf, durch ein zentrales Rechnungswesen und Personalmanagement.
Ein “Schwingprozess”
Dennoch hat die Diskussion, wie “zentral” oder “dezentral” eine Organisation sein soll, etwas von einem Dauerbrenner. Vermutlich gibt es hier keine objektiv richtige Antwort – und vielleicht ist es sogar sinnvoll, hier von Zeit zu Zeit zu wechseln. Denn wenn eine bislang sehr zentralistische Organisation dezentralisiert wird, bleibt das “zentrale Element” einfach über die Personen und ihre Beziehungen noch für eine Weile wirksam – doch nach ein paar Jahren beginnt es zu verblassen. Das Gleiche gilt, wenn eine dezentrale Organisation stärker zentralisiert wird.
Wer also die Vorteile des zentralen Elements (wie z.B. Einheitlichkeit) mit den Stärken einer dezentralen Struktur (wie z.B. Anpassung an die Verhältnisse vor Ort) verbinden will, muss die Organisationsstruktur möglicherweise von Zeit zu Zeit umstellen, damit die jeweils vernachlässigten Werte nicht völlig verloren gehen. Allerdings darf dieser “Schwingprozess” nicht dazu führen, dass ständig an der Organisation geschraubt wird, denn auch Kontinuität hat einen wirtschaftlichen Wert.
Probleme der Matrix
Blockade-anfälligkeit
Das zentrale Manko der Matrix ist, dass sie so viele Abstimmungen zwischen horizontaler und vertikaler Linie erfordert – und damit tendenziell schwerfällig und entscheidungsschwach ist. Da jeder operative Mitarbeiter und jede operative Führungskraft zwei Chefs hat, bekommen sie widersprüchliche Ansagen, so lange sich die beiden Chefs nicht einig sind – und können daher weitgehend machen, was sie wollen.
Die Matrix stellt deshalb hohe Anforderungen an die soziale Kompetenz des Managements: Sie ist faktisch unsteuerbar und handlungsunfähig, wenn die oberen Führungskräfte nicht bereit und in der Lage sind, sich zügig zu einem belastbaren Konsens zusammenzuraufen – und sich dann auch darauf verlassen können, dass das Vereinbarte so umgesetzt wird. Ein einziger “schwieriger” Manager – gleich ob zu rabiat, zu ängstlich oder beides zusammen – genügt, um einen ganzen Zweig der Matrix weitgehend lahmzulegen.
Erfolgsfaktor soziale Kompetenz
Wegen des hohen Abstimmungsaufwands und des noch höheren Konfliktpotenzials ist die Matrix unter Insidern gefürchtet. Trotzdem gibt es gerade für Großunternehmen kaum Alternativen. Umso strenger und fokussierter muss das Top-Management daher bei der Auswahl ihrer obersten Führungskräfte sein. Weiterhin ist der Mut erforderlich, Manager ohne langes Fackeln auszutauschen, wenn sie sich als dauerhafter Krisenherd innerhalb der Matrix erweisen.
Eigenleben der Zentrale
Ein weiteres Risiko der Matrix liegt in der “natürlichen Eigendynamik von Zentralfunktionen“, die dazu neigen, jedes Jahr mehr reglementierende Vorgaben für die operativen Einheiten zu machen. Das erlegt der Geschäftsleitung die Aufgabe auf, sicherstellen, dass nicht der Schwanz mit dem Hund wedelt. Denn auf die Dauer lebt der Erfolg einer Firma von der Kundenzufriedenheit und nicht von der Erfüllung zentralistischer Idealvorstellungen.
Dreidimensionale Matrix
Die nächste “Steigerung” der Matrixorganisation (die unserem Holzbaubetrieb hoffentlich erspart bleiben wird) ist die dreidimensionale Matrix. Sie wird erforderlich, wenn zu den beiden Dimensionen “Sparte” und “Land / Region” eine dritte Dimension hinzutritt. Oft ist dies die alte, aber deswegen nicht zwangsläufig veraltete funktionale Dimension. Zum Beispiel findet man in der Großchemie fast überall eine zentrale Forschung, ein zentrales Lieferantenmanagement und oft auch eine zentrale Verfahrenstechnik.
Die Gestalter der Organisation stehen allerdings vor der Frage, ob sie diese dritte Dimension wirklich für alle Funktionen durchziehen wollen, also beispielsweise auch ein zentrales Marketing und einen zentralen Vertrieb wollen, oder ob sie die dritte Matrixdimension auf jene Funktionen beschränken wollen, in denen sie wirklichen Nutzen bringt. Früher hat man Organisationen stark nach dem Prinzip der Einheitlichkeit und Durchgängigkeit geschnitten (Motto: “Entweder ganz oder gar nicht!”); heute geht die Entwicklung vernünftigerweise in Richtung Flexibilität und Orientierung am tatsächlichen Nutzen.
Alternative Organisationsmodelle
Die Suche geht weiter
Letztlich sind funktionale, divisionale und Matrixorganisation die drei Grundmodelle, die für die Strukturierung von Organisationen zu Verfügung stehen. Trotzdem flackert alle paar Jahre eine heftige Diskussion über angebliche alternative Organisationsmodelle auf. Vor allem Berater und Doktoranden scheinen von einem unstillbaren Bedürfnis besessen, die Welt mit neuen Organisationsmodellen und -theorien zu beglücken. Und sie schwärmen in unverschuldetem Selbstvertrauen von einem “Paradigmenwechsel”, wenn sie ihre “Vektororganisation”, “Process Organization” oder andere Kopfgeburten vorstellen.
Diese Modelle werden dann für eine Weile mit einer Mischung aus ehrfürchtigem Staunen und praktischer Ratlosigkeit diskutiert, bevor sie wieder in der verdienten Vergessenheit verschwinden. Tatsächlich habe ich in den letzten 30 Jahren nichts gesehen, was über Bezeichnungs- und Darstellungsvarianten der klassischen Organisationsformen hinausging.
Gescheiterte Versuche
So hatten wir vor vielen Jahren in der damaligen Praxisgruppe Organisation bei der Boston Consulting Group eine intensive Diskussion über ein kreisförmiges Organisationsmodell, das das Unternehmen in seiner Umwelt darstellte, mit dem Vorstand in der Mitte und den betrieblichen Funktionen rings darum angeordnet. Und wir hatten schon das Gefühl, einen Durchbruch geschafft zu haben, bis ein Kollege die Luft aus der ganzen Diskussion ließ mit der nüchternen Bemerkung: “Wenn ich da in der Mitte einen Haken hineinsteche und das Ganze nach oben ziehe, was habe ich dann? Die gute alte Pyramide!”
Kundenzentrierte Organisation
Auch der naheliegende Versuch, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und die betrieblichen Funktionen um ihn herum als kundenbezogene Leistungsprozesse gruppieren, führt allenfalls zu dessen ebenso bedrängender wie realitätsfremder Einkesselung, aber nicht zu wirklich neuen Einsichten. Erst recht führt es nicht weiter, klassische Organisationsmodelle umzubenennen und dann auf PowerPoint-Folien die angeblichen Unterschiede zwischen einer “Sektoralen Organisation” und der herkömmlichen Spartenorganisation an den Haaren herbeizuziehen. Vielleicht sollten wir uns einfach damit abfinden, dass die Organisationsstruktur weitestgehend durch das “So-Sein” des Unternehmens bestimmt ist, und unsere Kreativität dankbareren Aufgaben zuwenden.
Sonderfall “Netzwerk-Organisation”
Das Netzwerk lebt – schon lange!
Eine Sonderstellung nimmt bei alledem die “Netzwerk-Organisation” ein: Sie wir vielfach als “Organisationsmodell der Zukunft” gepriesen. Tatsächlich wird sie aber vermutlich schon seit Jahrhunderten im Mittelstand praktiziert. Wenn Sie zum Beispiel mit einer Gruppe in einem Hotel am Chiemsee sind und sich als touristisches Rahmenprogramm einen Ausflug auf die Fraueninsel wünschen, wird der Hotelier Ihnen anbieten, das alles gerne für sie zu organisieren. Er ruft dann den Busunternehmer an, organisiert das Schiff, reserviert den Tisch und bestellt die Inselführung; bei Bedarf organisiert er auch noch einige Ruderboote oder Surfbretter oder den Führer für eine nächtliche Fackelwanderung – und sorgt für eine schnelle und bequeme zentrale Abrechnung des Ganzen.
Wenn Sie den Hotelier aber hinterher fragen, was er über die moderne Netzwerk-Organisation denkt, wird er beschämt zugeben, dass er vor lauter Arbeit noch nicht dazu gekommen ist, sich damit zu beschäftigen, und sich unter diesem Wort daher nicht viel vorstellen kann. In ganz ähnlicher Weise wie dieser Hotelier verfährt im Übrigen unser Unternehmer Karl, wenn es um Elektroarbeiten, Trockenbau, Fliesenlegen oder andere Gewerke geht, die nicht in seine “Kernkompetenz” fallen: Die Netzwerkorganisation lebt – schon lange, und sicherlich noch lange!
“Auflösung der Grenzen”?
An die in jüngster Zeit viel beschworene “Auflösung der Grenzen der Organisation” hingegen glaube ich erst, wenn ich sie sehe. Denn Organisationen bestehen ja nicht bloß aus einer Anzahl von Menschen, die zufällig alle die Angewohnheit haben, jeden Morgen zur gleichen Zeit auf das gleiche Werksgelände zu strömen – und die sich unter veränderten Rahmenbedingungen auch angewöhnen würden, irgendwo anders hin zu strömen. Organisationen bestehen auch aus rechtlichen Einheiten, IT-Systemen, Arbeitsverträgen, Gehaltsabrechnungen, Krediten und Zahlungsströmen, Geschäftsberichten und Aktienkursen – lauter Dinge, die auf einer hohen Stabilität und einer gleich bleibenden Identität des Gesamtsystems basieren und ohne sie kaum denkbar sind.
Große Worte ohne Neuigkeitswert
Eine “Auflösung der Grenzen der Organisation” würde ohne Not und erkennbaren Nutzen sämtliche Geschäftsgrundlagen in Frage stellen, von der Finanzierung über das Berichtswesen bis hin zu der Vertragsfähigkeit. Falls aber mit dem großen Wort von der Auflösung der Grenzen nur gemeint ist, dass Zulieferer in der Fertigung ihrer Kunden mitarbeiten und zum Beispiel ihre Schiebedächer selbst in die Karosserien einbauen, stellt sich abermals die Frage, was daran so revolutionär sein soll: Seit jeher arbeiten ja zum Beispiel Baufirmen (zweckmäßigerweise) auf den Baustellen ihrer Kunden, und das je nach Projektgröße auch über Jahre hinweg. Auch Wachdienste und Reinigungsfirmen leben traditionell nicht bloß davon, dass sie das eigene Haus bewachen und sauber halten. Was wohl am Ende so viel heißt wie: Es ist leichter, über Organisation große Worte zu machen, als wirklich etwas Neues zu sagen.
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Über den Autor
Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung.