HomeMethoden & WissenUnternehmenskultur & KulturveränderungUnternehmenskultur & KulturveränderungKulturziele: Strategische Weiterentwicklung – mit Respekt vor der bestehenden Kultur
“Wenn mir damals bewusst gewesen wäre, welche Tragweite das für die gesamte weitere Arbeit hat, hätte ich darauf bestanden, dass wir uns für die Bestimmung der Ziele unserer Kulturveränderung mehr Zeit nehmen!” Dieses Feedback eines Vorstands klingt mir noch Jahre später in den Ohren, und es ist mir eine Mahnung. Offensichtlich war es uns damals nicht gelungen, die zentrale Bedeutung dieses Schritts ausreichend deutlich zu machen. Umso größeren Wert legen wir seither darauf, zu vermitteln, dass die Ableitung der Kulturziele aus der Unternehmensstrategie eine zentrale Weichenstellung bei jeder Kulturveränderung ist, die große Sorgfalt erfordert und nicht delegiert werden kann.

Mangelnde Sorgfalt bei der Zielbestimmung

Wann die grobe Richtung genügt – und wann nicht

Dass die Formulierung der Sollkultur oftmals recht locker angegangen wird, liegt wohl auch daran, dass die gängigen Leitbilder und Führungsgrundsätze in der Regel keine großen Konsequenzen haben. Üblicherweise werden sie halt erarbeitet, in einigen Schleifen diskutiert, schließlich verabschiedet, gedruckt, ausgehängt, ins Intranet gestellt, dann gibt es noch eine symbolträchtige Bekräftigung – und dann lässt man es gut sein und wendet sich anderen Dingen zu. Deshalb geben sich Vorstände hier meist zufrieden, wenn die grobe Richtung stimmt (und das Thema Kundenorientierung irgendwie abgedeckt ist). Je weiter man dagegen über bloße Appelle hinausgeht und die angestrebte Kulturveränderung umzusetzen und nachzuhalten gedenkt, desto wichtiger ist es, deren Ziele bedacht festzulegen, damit man hinterher tatsächlich in die richtige Richtung steuert.

Kulturveränderung oder unverbindlicher Appell?

Was wird mit dem Zielbild weiter geschehen?

Das eigentliche Missverständnis liegt wohl in den stillschweigenden Annahmen, was mit der festlegten Sollkultur weiter geschehen wird. Wenn es sich dabei nur um einen unverbindlichen Verhaltensappell handelt, dannn wäre es in der Tat Zeitverschwendung, wenn sich der Vorstand damit im Detail auseinandersetzen würde. Wenn das Ziel dagegen ist, das Verhalten der Belegschaft tatsächlich und dauerhaft in eine bestimmte Richtung zu lenken, dann ist es nicht bloß sinnvoll, sondern zwingend erforderlich, dass sich der Vorstand und das obere Management die Kulturziele selbst und mit Sorgfalt erarbeiten, um sicherzustellen, dass die Kultur tatsächlich auf die Unternehmensstrategie ausgerichtet wird.

Eine Grundsatz-entscheidung

Vor der Zielbestimmung steht daher eine Grundsatz-Entscheidung: Wollen wir tatsächlich eine dauerhafte Kulturveränderung herbeiführen, die sich an den strategischen Erfordernissen unseres Geschäfts ausrichtet, oder wollen wir nur einen Wohlverhaltensappell an unsere Belegschaft senden? Wenn die Frage so gestellt wird, ist es wohl allzu naheliegend, die erste Option zu wählen, deshalb muss sich daran unvermeidlich die Folgefrage anschließen: Sind wir bereit, den Preis dafür zu bezahlen und einen substanziellen Teil unserer eigenen knappen Zeit in die Kulturveränderung investieren?

Bereitschaft, den Preis zu bezahlen

Denn ob jemand ein Ziel wirklich erreichen möchte, erkennt man nicht daran, mit wie viel Begeisterung er davon spricht, sondern allein daran, ob er die dafür erforderlichen Anstrengungen auf sich nimmt. Ob jemand beispielsweise den Mount Everest besteigen möchte, erkennt man nicht am Leuchten seiner Augen, wenn er über dieses Ziel redet, sondern daran, ob er konsequent dafür trainiert und sich die Mittel dafür beschafft. Genau so ist es bei jedem anderen Ziel, auch bei der Unternehmenskultur: Wer eine Kultur wirklich verändern will, darf sich nicht darauf beschränken, ein suggestives Wunschbild zu “verabschieden” – er muss die Umsetzung dieser Zielkultur dann auch konsequent nachhalten, ihre Einhaltung durchsetzen und dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen und Anreize die gewünschte Verhaltensänderung unterstützen.

Konzentration aufs Wesentliche

Weil das mit einigem Aufwand verbunden ist, ist dabei eine Konzentration auf das Wesentliche erforderlich: Es muss geklärt, welche Merkmale der Kultur für den künftigen geschäftlichen Erfolg so wichtig sind, dass sich der Aufwand lohnt, sie durchzusetzen und die Steuerungssysteme, Anreize und Rahmenbedingungen entsprechend auszurichten. Dabei gilt, wie fast immer im Leben, der Grundsatz: Je weniger, desto besser die Erfolgsaussichten. Auch für die Kultur gilt: Man kann fast alles verändern, aber nicht alles gleichzeitig. Ein, zwei oder maximal drei Schwerpunkte sind das Maximum; bei allem, was darüber hinaus geht, nähert sich die Prognose asymptotisch der Nulllinie.

Fundamentalkritik und ihre Gefahren

“Eigentlich muss sich die gesamte Kultur ändern!”

Fragt man Top-Manager, was sich an der Kultur ihres Unternehmens ändern müsse, erhält man oft erstaunlich radikale Antworten – bis hin zu: “Eigentlich alles: Diese Kultur muss sich von Grund auf ändern!” Gerade neue Vorstände sind vielfach so scharf in ihrer Kritik, dass es einem fast den Atem nimmt. Fragt man genauer nach, erhält man meist anekdotenreiche Schilderungen der Kulturmerkmale, die den Betreffenden derzeit am meisten auf die Nerven gehen: “Dass alles so unendlich lang dauert”, “Dass man immer erst einmal ellenlange Erklärungen bekommt, was alles nicht möglich ist und warum es nicht möglich ist”, “Dass wir so unglaublich kompliziert sind” etc.

Reflektionen von Ungeduld und Genervtheit

Dass derartige Eigenheiten ungeduldigen Vorständen ungeheuer auf die Nerven gehen können, ist leicht nachvollziehbar. Längst nicht so offensichtlich ist indes, ob und in welchem Ausmaß diese Merkmale tatsächlich den Geschäftserfolg beeinträchtigen. Zwar kann man argumentieren, dass solche Verhaltensmuster Entscheidungsprozesse verlangsamen und die Entscheidungen vermutlich auch defensiver und konservativer machen – aber Plausibilität ist eine Sache, die Untermauerung der geschäftlichen Nachteile mit belastbaren Fakten ist eine ganz andere. Vielleicht tragen diese defensiven Tendenzen ja auch dazu bei, manche unbedachten Schnellschüsse abzupuffern?

Drei tödliche Gefahren

Den Wunsch nach einer Kulturveränderung mit einer derartigen Fundamentalkritik zu begründen, birgt drei Gefahren: Erstens die, dass man damit einen Großteil der Führungskräfte und Mitarbeiter vor den Kopf stößt – und sie damit in eine Trotzposition gegenüber dem Vorstand und “seiner” Kulturveränderung treibt, noch ehe die überhaupt begonnen hat. Zweitens die, dass man das Vorhaben zu breitbandig und ohne klaren Fokus anlegt – und sie deshalb hinterher kaum nachhalten kann. Und drittens, dass man sich bei der Neuausrichtung der Unternehmenskultur zu sehr an den Wünschen des Vorstands orientiert und zu wenig an den tatsächlichen Erfordernissen des Geschäfts.

Hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns

Jede dieser Gefahren ist für sich genommen groß genug, um ein Scheitern der Kulturveränderung herbeizuführen, aber in der Kombination sind sie absolut tödlich: Wer eine Kultur von Grund auf in Frage stellt, kränkt und entwertet damit zugleich ja ihre Träger und treibt sie so in den Widerstand. Zugleich machen es der überbreite Ansatz und der unklare geschäftliche Nutzen schwierig, die Umsetzung konsequent voranzutreiben und die Einhaltung der festgelegten Kultur auch gegenüber den “erfolgreichen Regelignoranten” durchzusetzen. Infolgedessen versanden solche Rundumschläge in den allermeisten Fällen früher oder später – und meist früher.

Mehr Respekt vor der bestehenden Kultur

Warum existiert diese Firma überhaupt noch?

Statt die vorhandene Unternehmenskultur pauschal zu entwerten, weil einem persönlich manche ihrer Eigenheiten auf die Nerven gehen, ist mehr Respekt vor dem Bestehenden angebracht: Auch wenn die vorhandene Kultur – wie jede Kultur – in mancher Hinsicht eine Begrenzung und ein Handicap darstellt, muss es ja einen Grund geben, weshalb dieses Unternehmen “trotz seiner Kultur” – oder vielleicht sogar wegen ihr – noch nicht untergegangen ist, sondern bis heute besteht.

Kultur und Geschäftserfolg

Dies gilt erst recht, wenn das Unternehmen nicht nur mit knapper Not überlebt hat, sondern sich in seinem Geschäft bei ehrlicher Betrachtung sogar ganz respektabel schlägt. Denn dann ist das Argument erst recht nicht von der Hand zu weisen, dass diese Firma auch irgendetwas richtig zu machen scheint und dass ihre Kultur dem Erfolg anscheinend weniger abträglich ist als mancher vorschnelle Kritiker glaubt. Damit ist zwar noch nicht bewiesen, dass die Kultur, so wie sie ist, einen maßgeblichen Beitrag zum Geschäftserfolg leistet – gewiss ist aber zumindest, dass sie ihm nicht allzu sehr im Wege steht.

Entscheidend sind die Folgen

Manchen Top-Managern muss man es in aller Deutlichkeit ins Stammbuch schreiben: Längst nicht jede Eigenart einer Kultur, an der sich der Vorstand stört, bedarf tatsächlich einer Veränderung und rechtfertigt den dafür erforderlichen Aufwand. Es ist daher ein grober und folgenschwerer Fehler, aus den – tatsächlich oder vermeintlich – ärgerlichen Aspekten einer Kultur vorschnell auf einen Veränderungsbedarf zu schließen: Entscheidend ist nicht, was Kritikern an einer Kultur gefällt oder missfällt, sondern alleine, ob und wie sich diese Eigenheiten auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Wenn sie keine erkennbar nachteiligen Auswirkungen auf das Geschäft haben, gilt die eiserne Regel: Finger weg. Handlungsbedarf besteht nur, wenn wiederkehrende Verhaltensmuster entweder die Zufriedenheit der Kunden beeinträchtigen oder erhebliche interne Reibungsverluste mit sich bringen.

Unterschiedliche Wege zum Erfolg

Auch bei der Kultur ist wichtig, sich klar zu machen und zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Wege zum Ziel gibt. Das ist ähnlich wie bei Länderkulturen. Beispielsweise hat die kulturvergleichende Forschung eine ganze Reihe von Dimensionen herausgearbeitet, in denen sich Länder und Kulturkreise unterscheiden. Dazu zählt etwa, wie hierarchisch eine Kultur ist, ob sie eher individualistisch oder eher kollektivistisch denkt oder wie wichtig die Vermeidung von Unsicherheit ist.

Ein Unterschied, der keinen Unterschied macht, ist irrelevant

Doch so trefflich sich Kulturen nach derartigen Kriterien unterscheiden lassen, so wenig lassen sich daraus unmittelbare Handlungsanleitungen ableiten: Offenbar können sowohl extrem individualistische Länder erfolgreich sein (USA, Frankreich) als auch sehr kollektivistische (Japan, Korea). Desgleichen können sowohl sehr hierarchische Kulturen (Frankreich, Japan) erfolgreich sein als auch solche, die sehr flache Hierarchien haben (Schweden, Finnland). Ebenso können sowohl sehr strukturierte, systematische Kulturen erfolgreich sein (Deutschland, Japan) als auch solche, die großen Wert auf Spontanität und Kreativität legen (Frankreich, Italien). Offensichtlich wählen diese Kulturen unterschiedliche Wege zum Ziel, aber keiner dieser Wege scheint allen anderen so weit überlegen zu sein, dass er als alleiniges Erfolgsrezept heraussticht.

Drei Kategorien von Kulturmerkmalen unterscheiden

Erfolgsrelevante und damit bewahrenswerte Kulturmerkmale

Bevor man daher eine grundlegende Kulturveränderung oder gar eine umfassende Neuausrichtung der Unternehmenskultur initiiert, sollte man sich Rechenschaft darüber ablegen, welche Merkmale dieser Kultur den erheblichen Aufwand ihrer Veränderung überhaupt rechtfertigen. Prinzipiell kann man bei einer Kultur drei Kategorien von Merkmalen unterscheiden (siehe Grafik): Erstens solche, die einen wesentlichen Beitrag zum Geschäftserfolg leisten – diese Merkmale darf man auf keinen Fall in Gefahr bringen; sie muss man im Gegenteil sorgfältig pflegen und sollte darauf achten, sie beim Bestreben, die Kultur zu verändern, nicht aus Versehen zu beschädigen.

Kulturmerkmale ohne erkennbare Bedeutung für den Geschäftserfolg

Zweitens gibt es (zahlreiche!) Merkmale einer Unternehmenskultur, die für den Geschäftserfolg schlicht ohne nennenswerte Bedeutung sind. Ob man in einer Firma zum Beispiel Anzug und Krawatte trägt oder eher leger gekleidet ist, ob der interne Umgangston eher förmlich oder locker ist, ob man neue Ideen erst einmal skeptisch beäugt oder ob man sich bewusst “positiv” gibt, das dürfte für den Geschäftserfolg in vielen Fällen ziemlich unerheblich sein. Um mit der Kulturveränderung keinen Rohrkrepierer zu produzieren, ist ganz entscheidend, von solchen Kulturmerkmalen die Finger zu lassen. Denn hier fehlt es an einem ausreichend starken Veränderungsinteresse: Kein Vorstand der Welt wird Konflikte mit Leistungsträgern eingehen, um eine Verhaltensänderung durchzusetzen, die keinen wesentlichen Nutzen für den Geschäftserfolg bringen.

Kulturmerkmale, die für den künftigen Erfolg kritisch sind

Stattdessen sollten im Fokus einer Kulturveränderung ausschließlich jene Kulturmerkmale stehen, die dem heutigen und/oder künftigen geschäftlichen Erfolg im Weg stehen – oder die neu aufgebaut werden müssen, weil das Geschäft dies erfordert. Denn nur bei Einstellungen und Verhaltensweisen, die für den künftigen Geschäftserfolg eine zentrale Rolle spielen, macht es für das Top-Management Sinn, Zeit und Energie in ihre Durchsetzung zu investieren. Und nur wenn das Management dazu erkennbar entschlossen ist und dafür, wenn nötig, auch den Beweis antritt, werden sich auch die üblichen Verdächtigen, die erfolgreichen Regelignoranten bequemen, sich an die neuen Regeln zu halten.

Drei Kategorien von Kulturmerkmalen

att einer Kulturrevolution: behutsame Weiterentwicklung der bestehenden Kultur mit Fokus auf den künftigen Geschäftserfolg

Abb.: Statt einer Kulturrevolution behutsame Weiterentwicklung der bestehenden Kultur mit Fokus auf den künftigen Geschäftserfolg

Hohe Akzeptanz bei Führungskräften und Mitarbeitern

Solch eine Herangehensweise hat mehrere entscheidende Vorteile. Zum ersten findet sie von Anfang an breite Akzeptanz, einfach weil sie respektvoll mit der bestehenden Kultur umgeht – und damit auch mit den langjährigen Führungskräften und Mitarbeitern, die sie repräsentieren. Wenn sie sehen und spüren, dass die vorhandene Kultur – und damit auch sie – im Grundsatz als wertvoll angesehen werden, sind erfahrungsgemäß alle bereit, sehr offen über Denk- und Verhaltensmuster zu reden, die sich ändern müssen. Dann benennen sie die Schwachpunkte der bestehenden Kultur selbst, und zwar oft mit überraschend deutlichen Worten. Wenn sie sich und ihre Kultur hingegen pauschal angegriffen fühlen, machen sie zu – wie die meisten Menschen.

Die Gretchenfrage nach der Unterstützung der Geschäftsleitung

Präziser Fokus auf entscheidende Kulturmerkmale

Zum zweiten bewirkt dieser Ansatz, dass der Fokus der Veränderung sehr viel klarer und präziser auf die Merkmale der Kultur zielt, die für den Geschäftserfolg tatsächlich unverzichtbar sind. Damit erhöht sich drittens sprunghaft die Relevanz der Kulturveränderung für die Geschäftsleitung, denn dann ist sie nicht bloß “nice to have”, sondern ein entscheidender Hebel für den künftigen Erfolg. Dementsprechend hat die Geschäftsleitung unter dieser Voraussetzung ein starkes Interesse daran, diese Veränderungen tatsächlich voranzubringen und sie auch gegen Widerstände durchzusetzen.

Beiläufige Behebung eines notorischen Problems

Damit beugt diese Vorgehensweise quasi im Vorrübergehen einem Problem vor, an dem sonst sehr viele Kulturveränderungen scheitern, nämlich an der mangelnden Unterstützung des Vorstands bzw. der Geschäftsführung. Denn wenn die angestrebte Kulturveränderung tatsächlich eine wichtige Rolle für den künftigen Geschäftserfolg spielt, dann ist es überhaupt keine Frage, ob die Geschäftsleitung sie unterstützt: Dann liegt es in ihrem ureigensten Interesse, dies zu tun, um das Ziel voranzubringen, an dem sie selbst gemessen wird, nämlich den Erfolg des Geschäfts.

Korrektur nerviger Marotten lohnt keinen Konflikt

An der Unterstützung durch das Top-Management mangelt es in aller Regel dann, wenn bei genauerem Hinsehen durchaus zweifelhaft ist, ob die ausgerufene Kulturveränderung in nennenswertem Umgang auf den künftigen Geschäftserfolg einzahlt. In solchen Fällen ist es auf den zweiten Blick völlig logisch, dass das Management sie nur halbherzig unterstützt. Denn die Geschäftsleitung wird letztlich nicht an Kulturkosmetik gemessen, sondern an den Geschäftszahlen. Wenn es letztlich nur um die Korrektur einiger nerviger Marotten geht, dann wird sie es sich daher dreimal überlegen, ob sie ihretwegen einen Konflikt mit Leistungsträgern eingeht, auf deren Unterstützung sie zur Erreichung ihrer Geschäftsziele angewiesen ist.

Mangelnde Unterstützung = falsche Ziele

Das heißt im Umkehrschluss auch: Wann immer sich Kulturprojekte über einen Mangel an “nachhaltiger” Unterstützung durch die Geschäftsleitung beklagen, liegt das tiefere Problem mit ziemlicher Sicherheit darin, dass die festgelegten Kulturziele keinen Bezug zum Geschäftserfolg haben oder dass dieser Bezug zumindest nicht ausreichend klar sichtbar ist. Vermutlich wurden dann schlicht die falschen Ziele festgelegt: solche, deren Erreichung zwar “wünschenswert”, sprich, “nett” wäre, aber auch wieder nicht so nett, dass es der Geschäftsleitung größere Auseinandersetzungen wert ist. Und umgekehrt: Wenn der geschäftliche Nutzen der Kulturveränderung klar ist, dann ist die Unterstützung durch die Geschäftsleitung in aller Regel kein Problem.

Vorgehen zur Zielbestimmung

Erster Filter: Beitrag zum Geschäftserfolg

Umso wichtiger die nächste Frage: Wie bestimmt man die richtigen Ziele – und vermeidet es, die falschen festzulegen? Einen ersten wichtigen Schritt haben wir mit der obigen Unterscheidung schon getan: Indem wir strikt danach trennen, was zum Geschäftserfolg beiträgt und was dazu keinen erkennbaren Beitrag leistet. Das bleibt auch im weiteren Verlauf das oberste Prinzip bei der Festlegung der Kulturziele, denn sonst ist das Scheitern garantiert: Wo der geschäftliche Nutzen nicht erkennbar ist, fehlt früher oder später die Energie, diese Ziele konsequent nachzuhalten und durchzusetzen.

Deduktiv oder induktiv

Für die praktische Vorgehensweise zur Erarbeitung der Kulturziele gibt es zwei Methoden, nämlich eine induktive und eine deduktive. Induktiv heißt, von einem konkreten Problem bzw. einem als dringlich erkannten Handlungsbedarf auszugehen; deduktiv heißt, eine Gesamtbilanz der Stärken und Schwächen der bestehenden Kultur vorzunehmen und dann vor dem Hintergrund der geschäftlichen Chancen und Bedrohungen der kommenden Jahre festzulegen, was die kulturellen Bewahrungs- und Veränderungsziele sein sollen (siehe Grafik).

Zwei Methoden zur Bestimmung der Kulturziele

Zwei Vorgehensweisen zur Ableitung der Kulturziele aus der Strategie

Abb.: Zwei Vorgehensweisen zur Ableitung der Kulturziele aus der Strategie

“Wo tut’s denn weh?”-Ansatz

Welchen der beiden Ansätze man wählt, hängt von der Ausgangssituation ab, ist aber auch ein Stück Geschmackssache: Wer bei der bestehenden Kultur einen dringenden Veränderungsbedarf ausgemacht hat, kann ohne lange Umwege ganz gezielt dieses Thema angehen – so wie er bei einer Erkrankung oder Verletzung zum Arzt gehen würde, nicht um dort einen umfassenden Gesundheitscheck zu machen, sondern um sein konkretes Problem behandeln zu lassen. Der Arzt würde ihm die klassische Onkel-Doktor-Frage stellen: “Wo tut’s denn weh?” Auf dieses konkrete Leiden würde er seine Diagnostik und Therapie konzentrieren. In genau der gleichen Weise kann man die Kulturveränderung voll auf den erkannten Handlungsbedarf zuschneiden, ohne andere Aspekte überhaupt zu betrachten.

Breitband-Checkup – auf künftige Anforderungen bezogen

Wer dagegen keine besonderen Schmerzen oder Krankheitssymptome hat, sondern einfach einmal wissen möchte, wie er gesundheitlich beieinander ist, der kann einen breitbandigen Checkup durchführen lassen. In ihrem Rahmen werden all die Untersuchungen durchgeführt, die für eine umfassende Diagnose sinnvoll sind. Doch wenn der Arzt gut ist, wird er nicht nur seine Diagnose-Batterie abfahren, sondern sich erkundigen, ob der Patient denn konkrete Pläne hat, deretwegen er den Checkup durchführen lässt – ob er zum Beispiel eine längere Auslandsreise plant oder ein sportliches Ziel verfolgt, das erhöhte Anforderungen an die Kondition und körperliche Leistungsfähigkeit stellt. Auf diese besonderen Anforderungen würde er dann sowohl seine Diagnose als auch seine Handlungsempfehlungen ausrichten.

“Culture Follows Strategy”

Ableitung der Kulturentwicklung aus den künftigen Anforderungen

In ganz ähnlicher Weise kann man auch bei der Bestimmung der strategischen Kulturziele vorgehen: Mit einer klassischen SWOT-Analyse arbeitet man zunächst heraus, was die Stärken und Schwächen der bestehenden Kultur sind und vor welchen Chancen und Bedrohungen das Unternehmen in den kommenden Jahren steht. Je nachdem, mit welcher Strategie das Unternehmen diese Herausforderungen meistern will, muss es bestimmte schlechte Angewohnheiten überwinden, bestimmte Fähigkeiten fördern und die Kultur insgesamt entsprechend weiterentwickeln.

Kulturelle Kernbotschaften aus der Strategie herausziehen

Eine bewährte Möglichkeit, die strategischen Anforderungen an die Kultur zu bestimmen, ist, die vorliegenden Dokumente zur Unternehmensstrategie durchzugehen und all die Aussagen herauszuziehen, die sich entweder auf das Verhalten der Mitarbeiter beziehen (wie “kundenorientiert”) oder auf Ergebnisse (“kostengünstig”) oder auf die Fähigkeiten, die das Unternehmen insgesamt entwickeln und kultivieren muss (“effiziente Prozesse”). Diese Aussagen ordnet man zu Clustern, die ähnliche Anforderungen beschreiben, und fasst sie jeweils in Form prägnanter Botschaften zusammen. Typischerweise kristallisieren sich auf diese Weise eine Handvoll von Merkmalen heraus, die die Kultur künftig auszeichnen müssen, damit das Unternehmen optimal wettbewerbsfähig ist.

Alternative: Übergeordnetes Programm zur Kulturveränderung

Eine andere Möglichkeit des Vorgehens ist, die Ausgangssituation und den Veränderungsbedarf im Vorstand oder der Geschäftsführung zu diskutieren und daraus ein übergeordnetes Programm zu entwickeln. Wenn das Top-Management zum Beispiel zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Firma angesichts der absehbaren Entwicklungen in Markt und Wettbewerb vor allem schneller, präziser und effizienter auf die Anforderungen der Kunden reagieren muss, dann könnte die Ableitung für die Kultur lauten, den Aufbau interner Kundenorientierung zum Schwerpunkt der Kulturentwicklung zu machen.

Kulturentwicklung – klarer Bezug zur Geschäftsstrategie

Dies muss natürlich weiter präzisiert werden, weil “interne Kundenorientierung” zunächst nicht mehr ist als ein wohlklingendes Schlagwort. Und das Gleiche gilt im Zweifelsfall auch für die Kulturmerkmale, die aus der Strategie abgeleitet wurden. Das heißt, diese Ziele müssen im nächsten Schritt so auf beobachtbare Indikatoren heruntergebrochen werden, dass jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter weiß, welches konkrete Verhalten künftig von ihr bzw. ihm erwartet wird und welches nicht mehr zu beobachten sein soll. Trotzdem ist damit zumindest die strategische Grundrichtung klar, an der sich die Kultur zu orientieren hat. Und vor allem steht diese Grundrichtung in einem klaren Zusammenhang zu der verfolgten Geschäftsstrategie, und es ist klar, dass die Kultur einen wichtigen Beitrag zu ihrem Erfolg leisten soll und muss.

Kein Abschluss, sondern Auftakt der Umsetzung

Entwicklung eines “Fitness-Programms”

Dennoch ist wichtig, sich bewusst zu machen: Wenn die Kulturziele geklärt und festgelegt sind, weiß man damit zwar, welche besonderen kulturellen Fähigkeiten das Unternehmen zur Realisierung seiner Strategie benötigt, praktisch ist aber noch nichts geschehen. Wenn danach nichts weiter geschieht, hat man damit nicht mehr erreicht als ein Mann, der zu der Erkenntnis gekommen ist, dass er 20 Kilogramm abnehmen sollte. Eine wirkliche Veränderung wird daraus erst, wenn auf dieser Basis ein Umsetzungsprogramm erarbeitet und festgelegt wird, auf welche Weise das Unternehmen die erforderlichen Fähigkeiten aufbauen will.

Wenn die Ziele klar sind, ist die Kultur noch nicht verändert

Eine Kulturveränderung steht und fällt zwar mit der Klarheit ihrer strategischen Ziele, aber endet damit nicht – die eigentliche Arbeit der Umsetzung beginnt damit erst. Heißt konkret: Sobald die Ziele geklärt sind, geht es darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, damit das gewünschte Verhalten für die Mitarbeiter und Führungskräfte aus ihrer subjektiven Sicht vernünftig ist, was zum Beispiel erfordert, die Mess-, Controlling- und Beurteilungssysteme entsprechend auszurichten, die materiellen und immateriellen Anreize konsistent mit den strategischen Zielen zu machen und die Rahmenbedingungen des Handelns zu überprüfen. und nicht zuletzt geht es dann darum, die gewünschten Verhaltensänderungen mit der erforderlichen Konsequenz nachzuhalten.

Literatur: Berner, Winfried (2015): Culture Change – Praktische Strategien zur Veränderung der Unternehmenskultur; Schäffer-Poeschel


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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung

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