HomeMethoden & WissenPMI – Post Merger IntegrationIntegrationstiefe: Zwischen Finanzbeteiligung und vollständiger Verschmelzung
Eine der wichtigsten strategischen Entscheidungen zu Beginn
einer Fusion ist, welche Integrationstiefe herbeigeführt werden soll, das heißt,
wie weit das übernommene Unternehmen mit dem übernehmenden
zusammengeführt werden soll. Die Gestaltungsmöglichkeiten
und Konstruktionen sind vielfältig und reichen vom völligen Getrenntlassen der Unternehmen (rei

Grad der Zusammen-führung

Übernahme ohne Integration

Verzicht auf Integration

Am einfachsten ist die “Integration” natürlich, wenn die gekaufte Firma völlig unabhängig bleibt und als rein Finanzbeteiligung geführt wird. Dann ist die Integration im Wesentlichen ein juristisches und finanztechnisches Problem. Vermutlich wird ein Gewinnabführungsvertrag geschlossen und der Aufsichtsrat neu besetzt; ansonsten aber ändert sich weder für das übernommene Unternehmen etwas noch für das übernehmende, sodass auch kein Bedarf für ein Integration Management entsteht. Allerdings entstehen auf diese Weise natürlich auch keine großen Synergieeffekte; allenfalls hat man sich auf diese Weise einen wichtigen Lieferanten oder Abnehmer und dessen “immerwährende Treue” erkauft.

Mögliche GründeDiversifikation

Nun kann man natürlich fragen, warum sich jemand ein Unternehmen kaufen sollte, wenn er keine Synergieeffekte erzielen will. Doch solche Gründe gibt es durchaus – zum Beispiel, dass man Kapital anlegen muss oder möchte. Wenn etwa eine Lebensversicherung oder ein Pensionsfond eine gute Verzinsung für die eingezahlten Gelder sucht, ist der Kauf von oder die Beteiligung an Unternehmen durchaus eine Alternative bzw. Ergänzung zu anderen Formen der Kapitalanlage.

Ein anderes Motiv ist – trotz heftiger strategischer Kritik – Diversifikation, also das Bemühen, branchentypische Risiken und Schwankungen durch die Verteilung des Risikos auf mehrere Branchen zu mindern. Oder – ebenfalls heftig diskutiert – der komplette Ausstieg aus dem alten Geschäftsfeld und der Einstieg in ein neues, wie ihn etwa der Röhrenhersteller Mannesmann (heute Vodafone) mit seinem folgenschweren Wechsel in die Mobilfunkbranche oder der Stahlverarbeiter Preussag (heute TUI) mit seinem Umbau zum Tourismuskonzern vorgemacht haben.

Portfolio-ManagementCorporate Raiders

Auch beim Portfolio-Management, also wenn Konzerne ihre Beteiligungen neu abmischen, geht es meist nicht um Integration, jedenfalls nicht am Anfang. Erst recht nicht bei den “Corporate Raiders”, den “Unternehmenskaperern”, die Unternehmen und selbst ganze Konzerne kaufen, um sie auszuschlachten und ihre Einzelteile zu einem sehr viel höheren Preis zu verkaufen als sie für das ganze Unternehmen bezahlt haben. Das ist zwar eine legalisierte Form von Raubrittertum, finanziell aber immer dann sehr lukrativ, wenn ein Unternehmen stark unterbewertet ist, sodass das Ganze weniger wert ist als die Summe der Teile. Deshalb häufen sich solche “Überfälle” in Zeiten schwacher Kapitalmärkte und kommen in guten Börsenzeiten weitgehend zum Erliegen.

Vorstufen zur Integration

Wertund Ertrags-steigerung

Keine Integration, aber deutlich mehr an Einflussnahme auf das operative Geschäft ist zu erwarten, wenn ein Unternehmen ein anderes aus der Überzeugung gekauft hat, dass es bei besserer Führung mehr an Ertrag abwerfen und/oder stärker wachsen könnte. In diesem Fall wird der Käufer vermutlich nicht bloß einige Schlüsselpersonen austauschen, sondern das Management insgesamt sehr viel stärker ergebnisorientiert führen. Was möglicherweise Personalabbau nach sich zieht, sicher aber anspruchsvollere Zielvorgaben und ein strafferes Controlling und Kostenmanagement.

Horizontale Integration

Ein ganz anderes Motiv für die Akquisition kann darin liegen, eine vor- oder nachgelagerte Wertschöpfungsstufe unter Kontrolle zu bringen (“vertikale Integration”), also beispielsweise einen wichtigen Zulieferer oder, am anderen Ende der Wertschöpfungskette, den Vertrieb oder Handel. So hat Coca-Cola Ende der neunziger Jahre etliche Konzessionäre übernommen, die ihre Produkte zumischten, abfüllen und vertreiben. Desgleichen haben manche Autohersteller wichtige Händler aufgekauft.

Bei diesem Gegenstück zum Outsourcing entstehen in aller Regel keine großen Synergien; es entfällt lediglich die Notwendigkeit zu immer neuen Vertragsverhandlungen (bzw. sie wird durch das Verhandeln über interne Verrechnungspreise ersetzt). Ansonsten brauchen nur noch Schnittstellen und Spielregeln definiert werden. Der eigentliche Nutzen liegt hier vor allem darin, dass das Verhalten des Partners berechenbarer wird – und seine Gewinne in die eigene Tasche fließen.

Schutz vor unerwünschten Einflüssen

Für manche Übernahmen ist auch das Motiv ausschlaggebend, ein Unternehmen, das eine kritische Bedeutung für den eigenen Erfolg hat, vor unerwünschten Entwicklungen zu schützen. Das könnte eine drohende Übernahme durch Konkurrenten oder Spekulanten sein, aber auch ein zu großer Einfluss der Banken, wenn das betreffende Unternehmen eine schwache Eigenkapitalausstattung aufweist und/oder sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Da die Interessen der Banken oder Eigentümer nicht deckungsgleich mit denen ihrer Kunden bzw. Lieferanten sein müssen, kann dies Grund für eine Übernahme sein.

Teil- und Vollintegration

Teilweise Integration

Wirkliche Synergien entstehen nur bei einer teilweisen oder vollständigen Integration. Auch hier gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle, und längst nicht immer ist eine vollständige Verschmelzung die beste Lösung. Eine teilweise Integration ist dann vorzuziehen, wenn beide Unternehmen in wesentlichen Teilbereichen so gut aufgestellt sind, dass eine Zusammenführung für den künftigen Geschäftserfolg eher Schaden als Nutzen brächte.

Beispielsweise könnten fusionierende Pharmaunternehmen darüber nachdenken, zwar Produktion, Vertrieb und Verwaltung zusammenzulegen, ihre hochspezialisierten Forschungszentren jedoch getrennt zu halten. Oder die fusionierenden Unternehmen können, wie etwa Renault und Nissan, ihre Marken in Produktion, Marketing und Vertrieb strikt getrennt halten, aber Logistik- und Verwaltungsfunktionen zusammenlegen. Ähnliches tun auch manche Versicherer, die nach der Fusion zwar unter mehreren Namen und mit mehreren Produktprogrammen und Vertriebswegen im Markt präsent bleiben, aber letztlich aus dem gleichen Haus (bzw. Computer) kommen.

Weniger Komplexität

Auf den ersten Blick scheint zwischen einer Teilintegration und einer vollständigen Verschmelzung kein wesentlicher Unterschied zu bestehen, stellen sich doch in beiden Fällen im Grunde die gleichen Probleme und Aufgaben, nur dass sie bei einer Telintegration ein oder zwei Nummern kleiner sind. Doch dieser Unterschied ist größer als er sich anhört, denn je überschaubarer die zu verschmelzenden Bereiche sind, desto geringer ist die Komplexität des Integrationsprozesses. Auch eine Teilverschmelzung ist noch komplex genug, denn unter den zu verschmelzenden Funktionen sind praktisch immer die Zentralfunktionen und meistens auch die IT. Und die sind erfahrungsgemäß für die Funktionsfähigkeit der direkt produktiven Bereiche wichtiger als denen oft bewusst ist.

Mischkonzerne

Einfacher stellt sich die Situation erstaunlicherweise bei der Fusion von Mischkonzernen und Konglomeraten dar, wie etwa beim Zusammenschluss von Krupp-Hoesch und Thyssen. Denn die sind ohnehin meist in Branchen-Holdings (wie zum Beispiel Automotive, Steel, Handel usw.) gegliedert; erst darunter versammeln sich die einzelnen konzernzugehörigen Unternehmen.

Da diese Einzelunternehmen aber weitgehend selbständig operieren (und sich daran auch allenfalls dann etwas ändert, wenn der andere Partner ein eng verwandtes Unternehmen mit in die Ehe gebracht hat), trifft sie die Fusion nicht unmittelbar. Im schlimmsten Fall werden sie einer anderen Industrie-Holding zugeordnet, und sie erhalten außer einem neuen Briefkopf möglicherweise auch strengere Ergebnisziele, um die Fusion zu finanzieren. Doch im Übrigen wird ihr Geschäft von der Verschmelzung der Konzernzentralen kaum beeinträchtigt. (Spitze Zungen behaupten sogar, dass das Geschäft dadurch eher erleichtert würde, weil die Zentralen dann für einige Zeit hinreichend mit sich selbst beschäftigt seien, um sich nicht ständig ins Geschäft einzumischen oder aufwändige Sonderprogramme aufzulegen.)

Schrittweise Integration – eher eine Notlösung

Schrittweise Integration

Nicht zu verwechseln mit einer Teilintegration ist eine schrittweise Fusion. Bei einer Teilintegration ist das Getrennt-Bleiben einzelner Bereiche oder Funktionen der angestrebte Endzustand; bei einer schrittweisen Integration ist es nur eine Zwischenstufe, die zum Zwecke oder Komplexitätsreduktion, die aus technischen oder anderen Gründen eingeschoben wird, während das Endziel eine vollständige Integration bleibt. Ideal ist solch eine schrittweise Integration in aller Regel nicht, weil Menschen schlecht damit leben können, dass in absehbarer Zeit noch einmal größere Veränderungen auf sie zukommen. Zuweilen ist sie aber nicht zu vermeiden, weil technische Gründe wie zum Beispiel die IT-Integration kein anderes Vorgehen zulassen.

Außerplanmäßig

Nicht selten wird aus einer Teilintegration allerdings nachträglich und entgegen den ursprünglichen Absichten eine vollständige Verschmelzung, einfach weil sich nach einiger Zeit herausstellt, dass die angestrebte teilweise Iintegration in der Praxis nicht funktioniert, aus welchen Gründen auch immer. Dann wird eben einige Jahre nach der Teilintegration doch noch eine vollständige Verschmelzung beschlossen und durchgeführt. Optimal ist das natürlich nicht, weil das Unternehmen so ein zweites Mal aufgemischt wird, aber was bleibt einem übrig, wenn der ursprünglich angestrebte Zustand sich nicht als haltbar erweist …

Vollständige Verschmelzung

Eine vollständige Verschmelzung schließlich hat das Ziel, aus den zwei (oder mehr) fusionierenden Unternehmen ein neues Ganzes zu schaffen, wie etwa aus Ciba-Geigy und Sandoz den neuen Konzern Novartis oder aus Hoechst, Marion und Russel das neue Unternehmen Aventis. Die vollständige Verschmelzung ist die umfassendste und komplexeste Form der Integration; entsprechend hoch sind die Anforderungen an das Integration Management.

Was ist die richtige Integrationstiefe?

Leichte und schwere Fälle

Wie lässt sich im konkreten Fall bestimmen, was die richtige Integrationstiefe ist? Es gibt Fusionen und Übernahmen, bei denen dies ziemlich offensichtlich ist. So liegt es beim Zusammenschluss von Konglomeraten auf der Hand, dass die Konzernleitungen und die sich überlappenden Industrie-Holdings vollständig verschmolzen werden müssen, die nachgeordneten Einzelunternehmen dagegen nur dort, wo es echte Überschneidungen gibt. Doch in den meisten Fällen ist der optimale Integrationsgrad nicht so leicht zu bestimmen.

Psychologische Fallen I

Dabei ist wichtig, nicht in eine psychologische Falle zu tappen, die lautet: Entweder ganz oder gar nicht. Wie die Gestaltpsychologie herausgefunden hat, ist unser Gehirn so konstruiert, dass es große Sympathie für klare, saubere, einfache Lösungen empfindet (“Gesetz der geschlossenen Gestalt”). Da die beiden einzigen glasklaren Optionen bei einer Übernahme aber zum einen die völlige Unabhängigkeit, zum anderen die vollständige Verschmelzung sind, ist die Versuchung stark, genau diese beiden Alternativen zu bevorzugen. Da eine völlige Unabhängigkeit aber oftmals ausscheidet, weil sie keine Synergien bringt, bewirkt dieser psychologische Mechanismus, dass wir “vom Bauchgefühl her” allzu schnell mit einer vollständigen Verschmelzung sympathisieren.

Teilintegration manchmal besser

Dabei wäre eine Teilintegration in vielen Fällen die bessere Lösung. Denn damit lassen sich manchmal im Sinne der 80:20-Regel bei sehr viel geringerem Integrationsaufwand und in deutlich kürzerer Zeit fast die gleichen oder – weil das Unternehmen schneller wieder handlungsfähig wird – sogar noch bessere Resultate erzielen als mit einer vollständigen Verschmelzung. Dies umso mehr, als bei manchen rechnerischen Marginal-Synergien durchaus fraglich ist, ob jemals über das Papier hinauskommen werden, auf dem sie errechnet bzw. geraten wurden.

Die Störung ist sicher, die Synergien nicht

Für jede einzelne Funktion oder Organisationseinheit, deren Verschmelzung Sie in Angriff nehmen, gilt: Die Ablenkung vom Tagesgeschäft, Unruhe und Demotivation, die die Zusammenführung mit sich bringt, haben Sie sicher – die geplanten Synergien noch lange nicht. Es erfordert zwar ein Stück Mut, sich dem Trend zur vollständigen Verschmelzung zu widersetzen und auf die rechnerischen Restsynergien zu “verzichten”, es bringt aber oftmals bessere Ergebnisse und hat zudem den Vorteil, den Konkurrenten weniger Angriffsfläche zu bieten.

Psychologische Fallen II

Eine zweite psychologische Falle ist, sich beim Bestimmen der Integrationstiefe von unreflektierten Ängsten leiten zu lassen und deshalb entweder mit unnötiger Ruppigkeit an das übernommene Unternehmen heranzugehen oder ihm, im genauen Gegenteil, aus Höflichkeit oder Konfliktscheu mehr Eigenständigkeit zuzugestehen als auf die Dauer durchzuhalten ist. Schließlich müssen ja Synergien abgeliefert werden und eine reibungslose Zusammenarbeit gewährleistet werden.

Solches Herumeiern kommt besonders bei Akquisitionen im Ausland häufig vor, weil wir Deutsche offenbar oft die Sorge haben, von anderen Nationalitäten als “deutsche Panzer” wahrgenommen zu werden, die rücksichtslos und ohne Feingefühl alles plattwalzen, was auf ihrem Weg steht. Doch diese Halbherzigkeit löst auf der anderen Seite meist mehr Irritation aus als Dankbarkeit. Ein amerikanischer Manager drückte das einmal so aus: “Was wir nicht verstehen: Wenn sie uns schon kaufen, warum führen sie uns dann nicht?!” Wer sich deshalb am Anfang allzu verständnisvoll und großzügig gibt, läuft Gefahr, diese Übertreibung später unter erheblichem Flurschaden und Glaubwürdigkeitsverlust korrigieren zu müssen.

Geringst-mögliche Integration

Eine gute Faustregel für das richtige Maß der Integrationstiefe ist, nicht die größtmögliche Verschmelzung anzustreben, sondern die geringstnötige, die erforderlich ist, um die strategischen Ziele zu erreichen. Dies gilt insbesondere für die Zusammenführung von annähernd gleich großen Unternehmen, weil dort die Belastung relativ zu den eigenen Ressourcen am größten ist. In der Tat gibt es Fälle, in denen die Akquisitionsziele nur durch eine vollständige Verschmelzung zu erreichen sind – und dann muss dieser Weg eben gegangen und das Integrationskonzept entsprechend ausgestaltet werden. In etlichen Fällen aber genügt aber eine Teilintegration – und dann ist sie mit einiger Wahrscheinlichkeit der bessere Weg.

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Über den Autor

Winfried Berner ist Autor von zahlreichen Fachbüchern zu den Themen Change-Management, gezieltem Kulturwandel, Post-Merger Integration und anderen Themen der Organisationsentwicklung. Seit 2024 ist sein Unternehmen Teil der initio Organisationsberatung. 

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